Wer ist er nun dieser sooft proklamierte Übermensch ? Wir wissen nun, wie er entsteht. Er steigt als Sieger aus dem Nichts nach dem Tod Gottes empor. Er ist der Mensch, der sich nicht am allgemein Menschlichen misst, nicht an dem was ein Mensch sein sollte, sondern der ja zu sich selbst sagt, dazu, wie er im Unterschied zu allen anderen Menschen ist. Es ist der unverwechselbare einzelne Mensch, der seinen Wert in sich hat und sich von der formlosen Masse durch sich selbst - und nicht durch die Anlehnung an einen selbsterschaffenen Gott, vor dem er sich selbst demütigt - von anderen hervorhebt.
Zitat:"Mein ich ist etwas, das überwunden werden soll : mein ist die große Verachtung der Menschen"
Der Übermensch muss sich also selbst überwinden, er muss einsehen, dass er nichts ist, solange er der bleibt, der er ist.
Es mag ja sein, dass die Welt insgesamt sinnlos ist, aber Sinngebung des eigenen Lebens ist wohl möglich, auch wenn man dadurch nur einen winzige Sinninsel schafft im Ozean des Sinnlosen. Der Übermensch, der sich selbst überwindet, kann sich den Sinn durch die Proklamation des Willens zur Macht geben. Die übliche Formulierung des Willens zur macht lautet
Zitat:"Du sollst Herr über dich werden, Herr über deinen eigenen Tugenden. Frührer waren sie deine Herren; aber sie dürfen nur deinen Werkzeuge neben anderen Werkzeugen sein. Du sollst Gewalt über dein Für und Wider bekommen und es verstehen lernen, sie aus und wieder einzuhängen, je nach deinem höheren Zwecke."
Diesen höheren Zweck muss sich jeder selbst geben. Dafür gibt es keine absolute Wahrheit, sondern nur Perspektiven jedes einzelnen, das wiederum heißt, dass dies jeder für sich selbst wahr machen muss. Das Kriterium für die Wahrheit der Wahrheit liegt nicht darin, dass sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt, sondern, dass sie mächtig wird. Die Wahrheit der Wahrheit ist ihre Macht, dass sie Wirklichkeit hervorbringt. Jeder für sich muss seine Wirklichkeit finden und der Übermensch ist nun auf dieser Bühne der Selbstgestaltung derjenige, der aus seiner Lebensmaterie - physiologisch, kulturell, sozial - in die er hineingeboren wird und die er als Kontingenz, das heißt als Schicksal, vorfindet, das Beste macht. Das ist der Übermensch in der persönlichen Version, doch bei Nietzsche gibt es ja auch immer eine welthistorische Version. Und in dieser ist der Übermensch nicht nur der Virtuose der Diesseitsheiligung, ein spielerischer Perspektivist und Lebenskünstler , sondern auch einer, der ohne Mitleid am eigenen Werk der Selbststeigerung arbeiten soll, der stolz, hart und klug ist. Er ist ein Napoleon Bonaparte, der sich durch seinen Willen zur Macht als Mensch ins Unermesslich hinaufhebt; ein Meister der Selbstdarstellung, der nicht Rücksicht nimmt auf die Leiden der Schwachen und Demütigen, denn er selbst ist stark. Das ist die dunkle Seite des Übermenschen.
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