1.)Im engeren Sinne versteht man unter Expressionismus in der Musik eine bestimmte Bewegung des 20.Jahrhunderts, die sich in drei Zeitabschnitte gliedern lässt. Als erstes den Frühexpressionismus seit Anfang des Jahrhunderts (Skrijabin), dann den Hochexpressionismus seit 1907 mit Werken von Schönberg, Weber und Ives und zuletzt kam ab circa 1914 der Spätexpressionismus(Bartök). Mit dem musikalischen Expressionismus dieser Zeit hängen eng die Erweiterung und Auflösung der Tonalität, die explosionsartige Zersplitterung traditioneller Formen und der Versuch neue Kollektivkräfte zurückzugewinnen und zu mobilisieren, zusammen.
Der Expressionismus ist eine extrem ich bezogene durchaus subjektive Kunst.
Bei der Subjektivierung der Expression ist die Musik die Sprache des individuellen Fühlens. In seinem Werk oder seinem Spiel, sofern er improvisiert, drückt der Komponist sich selbst aus, er teilt sich mit, in der Komposition legt er sein subiektives Fühlen nieder, er gibt Kunde von seinen Emotionen, seinen Affekten, den Erregungen seines Seelenlebens.
Goethe sagte :\"Ihm gab ein Gott zu sagen, was er leidet.\" Seine Musik ist ganz persönlicher Ausdruck.
2)Bevorzugte Themen des Expressionismus sind die Dramatik des Krieges, die Wiedersprüche des Lebens, die menschliche Einsamkeit, das religiöse Fragen, Grauen und Größe der Stadt, die Revolution gegen das Bestehende , das Suchen nach einer neuen Humanität, das soziale Elend, der politisch-sozialistische Aktivismus, Krankheit Tod und das Proletariat.
Der Expressionismus ist erfüllt vom Erleben des Leidens. Er spricht Mitleid und starkes soziales Empfinden aus.
3)Von heute aus gesehen, liegt der Kernprozess des musikalischen Expressionismus darin, dass auf dem Höhepunkt des Expressionismus die Bauelemente des Neuen, die Grundkräfte, als reine Möglichkeit erkannt und zu Trägern eines neuen Aufbaus umgewertet werden. Für den Aufbau der Musik gab es eine neue Gestaltgebung zu beleuchten. Es werden vier Hauptmomente herausgearbeitet(Irritation, Expression, Reduktion, Abstraktion).
3.1)Die expressionistische Irritation(Erregung) ist eine Aktivierung der kinetischen Kräfte der Musik. Sie zeigt sich in einer Vitalisierung und Schärfung, besonders in der Frühphase des Expressionismus. Die musikalischen Kriterien sind: schneller Wechsel in der melodischen Richtung, unvermitteltes Nebeneinander der Harmonien mit schroffen Dissonanzen, Unruhe der Motive, Aufsuchen extremer Höhen,- und Tiefenlagen, Neigung zum freien Rhythmus, dauerndes Rubato und Linien mit Klangballungen. Die Zugspitze der Irritation führt zur Exaltation.
3.2)Der Ausdruck Expression in der Wortbildung Expressionismus trifft einen zentralen Zug dieser künstlerischen Bewegung, in dem er die Richtung, die Gewalt und den Ursprungspunkt anzeigt. Die expressionistische Gestaltung trägt alle Merkmale des Expansiven.
Der Expressionismus begreift die Welt als einen von geheimen Kräften durchwirkten Raum von irrationaler Qualität. Er ist dichtgefüllt mit wirkenden Kraftpunkten , denn alle Dinge und Wesen stellen sich als ein solches Kraftzentrum dar. Auch der Mensch erfährt sich als ein solches Kraftzentrum, daher die Tendenz zur Ergreifung des Raumes, zur Expansion. Musikalisch zeigt sich in der "Raumergreifung\" die lineare Führung, der Akkordbildung, im Zusammen und Gegeneinander der Stimmen.
(5) E. Krenek, op. 26 Nr. 1, Schlußtakte
3)Reduktion ist der andere Aspekt des Unendlichkeitsdranges, nämlich der leidenschaftliche Wille. die in der Tiefe wirkenden Mächte zu entdecken. Wenn das innere der Dinge gesucht wird, enthüllt sich das überflüssige als zufällig. Die starke Konzentration Auf das Wesenhafte schließt alle Umspielung, alles schmückende, Gesprächige, aber auch das Vorbereitende und langsam Abklingende aus.
Zum Begriff der Reduktion gehört auch die Vereinfachung des Orchester-Apparats. Ist die Reduktion als Konzentration auf die Vereinfachung erreicht, so erfolgt eine Aufspaltung. Sie äußert sich in höchst selbstständigen Kontrapunkten, in der Verselbstständigung von psychologisch deutenden oder tonmalerischen Begleitungsfiguren, in der höchsten Differenzierung des Klanglichen. Sie äußert sich ferner in der Verwendung von Viertel- bis zu Sechaehnteltönen, der Polyrhythmik, der Verteilung der Thematik tonweise auf einzelne Instrumente.
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(ä) A. Schönberg, Hängende Gärlen XV
3.4)Die Abstraktion: Das durch die Reduktion gewonnene neue Material wird in der Spätphase des Expressionismus durch rational-gliedernde Kräfte neugeordnet. Eine extreme Haltung im späteren Expressionismus erkennt das Emotionale und Irrationale nicht mehr an. So erfolgt eine letzte Konsequenz der Reduktion, die das Gefühl aufhebt. Das Ziel dieser Phase ist die Befreiung von der Materie durch Vergeistigung und die Errichtung einer rein geistigen Welt als Erscheinung einer reinen Idee und im Wirken reiner Kräfte.
4)Durch die Wandlung des Terminus Atonalität von einem Material- zu einem Stilbegriff hat in neuer Zeit der Begriff Expressionismus für die Musik an Bedeutung verloren, zumal seine EingFenzung Schwierigkeiten bereitet. Die Vereinnahmung anderer Komponisten, die mit der Tonalität brachen. Eine erweiterte Vorstellung von musikalischem Expressionismus begegnet jedoch im Ausland, wo der Expressionismus in seiner Widersprüchlichkeit zwischen Weltschmerz und Utopie als Inbegriff der deutschen Kunst vor dem 2. Weltkrieg gilt.
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