\"Das Lernen von Mathematik ist umso wirkungsvoller ..., je mehr es im Sinne eigener aktiver Erfahrungen betrieben wird, je mehr der Fortschritt im Wissen, Können und Urteilen des Lernenden auf selbständigen entdeckerischen Unternehmungen beruht.\"3)
Winter führt für diese These folgende Argumente an:
Lernen mit und durch Einsicht ist auf Dauer wirkungsvoller und ökonomischer, da aufgrund der emotionalen Anteilnahme des Lernenden am Entdeckungsprozess die selbst entdeckten Inhalte häufiger richtig und langanhaltend behalten und leichter wieder erinnert werden können, als durch das Auswendiglernen eines für den Lernenden bedeutungslosen Stoffes im Allgemeinen möglich. Durch die Erfahrung des Entdeckenden Lernens werden die Chancen der emotionalen und intellektuellen Identifikation des Lernenden mit dem Inhalt auch in künftigen Lernsituationen verbessert und ihm Möglichkeiten zum Aufbau oder Revidieren seines Selbstkonzeptes gegeben. Das Verstehen des zu Lernenden kann nicht von außen erzwungen werden, da es sich bei dem Gewinnen von Einsicht um einen Prozess handelt, den jeder Lernende individuell vollziehen muss und in dessen Verlauf verschiedene Grade der Einsicht, also sowohl besseres oder anderes Verstehen als auch plötzliches Nicht-mehr-Verstehen möglich sind. Selbständiges Arbeiten stellt durch das Einbeziehen vorhandenen Wissen eine intensive und sinnerfüllte Form des Übens dar.
Möglich wird Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht dadurch, dass mathematische Inhalte eine hohe innere logische Verflechtung besitzen und viele von ihnen in anschaulichen Situationen dargestellt werden können. Ferner kommt einerseits das Entdeckende Lernen der natürlichen Neugier und Wissbegier, mit denen Winters Ansicht nach jeder Mensch ausgestattet ist, zugute, andererseits muss der Lehrer, der entdecken lassen möchte, gerade auf diese Fähigkeiten seiner Schüler vertrauen.
An dieser Stelle halte ich Schwierigkeiten für möglich:
Ich denke dabei an Probleme aufgrund des Heranwachsens und an Schüler, die bereits einige Schuljahre nur noch stur auswendig gelernt und großes Geschick beim Aufspüren der - im Sinne der Lehrer und Erzieher - \"richtigen\" Antworten entwickelt haben. Sicherlich wäre es in einer solchen Klasse eine Illusion, Entdeckendes Lernen von einer Stunde auf die andere einzuführen und sich davon Erfolge hinsichtlich der Motivation und Eigenverantwortung der Schüler zu erhoffen. Hier könnte aufgrund der Überforderung der Schüler sogar eine Verschlechterung der Lage eintreten: Arbeitsverweigerung, vermehrte Disziplinstörungen bis hin zum Chaos. (Vielleicht bietet auch eine solche Phase - falls sie nicht zu lange anhält - die Möglichkeit des Entdeckens: Die Schüler könnten zum Beispiel feststellen, dass Leistungsverweigerung auf Dauer langweilig ist und Lernen durchaus auch Chancen mit sich bringt. Ich möchte in meinen ersten Berufsjahren jedoch lieber nicht in eine solche Situation geraten.) Vielmehr halte ich ein schrittweises Heranführen der Schüler an Situationen des Entdeckens für sinnvoller: In dieser Zeit können verschütteter Lernwille, vor den Mitschülern versteckte Wissbegier, lange nicht geübte Eigenständigkeit und Übernahme von Verantwortung wieder geweckt oder geübt werden.
Entdeckendes Lernen kann und muss deshalb von Klasse zu Klasse variieren, um sowohl den einzelnen Schülern als auch der gesamten Gruppe gerecht werden zu können. Hier bestätigt sich für mich Winters Bild des Lehrers als im Rahmen des Entdeckenlassens selber Lernender.
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