Kleine und kleinste Ursachen beziehungsweise Unterschiede bei den Anfangsbedingungen in rückgekoppelten Systemen erzeugen größte Wirkungen und unvorhersehbare Abweichungen. Auf die Frage: "Wie stabil ist unser Sonnensystem?" gab es grundsätzlich keine Antwort. Erst mit Hilfe des Computers und dessen riesigen Kapazitäten zur Datenverarbeitung gelang es, die für de Verlauf der drei unterschiedlichenHimmelskörperbahnen notwendigen Differentialgleichungen zu berechnen. Die Ergebnisse zeigten, daß chaotisches Verhalten dennoch differenziert geordneten Mustern folgt, die man auch Attraktoren nennt.
Diese Attraktoren beschreiben die Systemzusände, auf die sich das Gesamtsystem einschwingt. In der dynamischen Systemforschung gibt es im wesentlichen vier Attraktoren: den Fixpunkt, den Grenzzyklus, den Torus und den seltsamen (chaotischen) Attraktor.
Der Lorenz-Attraktor veranschaulicht, warum schon mittelfristige Wettervorhersagen unmöglich sind: Innerhalb der "Wolke der Ungewissheit" verliert sich der vorhersagbare Verlauf des Wetters nach kurzer Zeit - es liegt dann buchstäblich irgendwo auf dem Attraktor. Insgesamt allerdings entwickelt sich das Wetter somit niemals rein zufällig, sondern folgt wie andere chaotische Systeme dem Prinzip "lokal unvorhersagbar, global stabil".
Könnte man alle Anfangsbedingungen exakt bestimen, wäre auch - zumindes rein theoretisch - deterministisches Chaos bei Kenntnis seiner verhaltensbestimmenden Attraktoren vorhersagbar. Praktisch scheint das allerdings unmöglich, da aufgrund der physikalisch unaufhebbaren Unschärfen und Meßprobleme die anfänglichen Systemzustände niemals alle genau gemessen, berechnet oder wiederhergestellt werden können.
Die Chaostheorie hat vor allem im Rahmen der Attraktorenforschung demonstriert, daß sich im vermeintlichen Chaos und unvorhersagbarem Systemverhalten dennoch eine ganze Menge geordneter Strukturen erkennen lassen.
Dies gilt vor allem für die Entdeckung sogenannter Bifurkationen (Lat. Bi: zwei, furca: Gabel). Dabei handelt es sich um eine Art Gabelung oder Verzweigung in einem System, das sich an entsprechenden Bifurkationsstellen zwischen zwei oder auch mehreren Wegen entscheiden muß.
Der Chaosforscher Otto E. Rössler gelang es nachzuweisen, daß die Tropfen eines Wasserhahns nicht beliebig, sondern - vereinfacht ausgedrückt - geordnet fallen: zunächst zwei Tropfen, dann vier, acht 16 usw. Diese Regelmäßigkeit nennen Chaosmathematiker Periodenverdoppelung.
Dem amerikanischen Mathematiker Mitchell Feigenbaum und dem deutschen Physiker Siegfried Grossmann gelang mit dem sogenannten Feigenbaum-Szenario schließlich der Nahcweis, daß solche Bifurkationen und Periodenverdoppelungen von universeller Gültigkeit sind - unabhängig davon, ob es sich beispielsweise um turbulente Flüssigkeiten, strömende Gase, akustisches Rauschen oder biologische Prozesse wie das Bevölkerungswachstum im jeweiligen ökologischen Rahmen handelt. Al geradezu sensationell empfinden viele Chaosforscher die Tatsache, wonach Bifurkationen so regelmäßig verlaufen, daß sie, ebenso wie die Ludolphsche Zahl Pi durch eine Universalkonstante bestimmt werden können: der sogenannten Feigenbaumschen Zahl = 4,669201. Dies ist eine universell gültige Konstante, der alle sprunghaften Übergänge in der Natur folgen.
Der Mathematiker Heinz-Otto Peitgen hat die grundlegenden Prämissen, Einsichten und Zusammenhänge dieser zukunftsweisenden Erforschung des Chaos und der nichtlinearen Dynamik folgendermaßen zusammengefaßt:
1. Viele Phänomene und Systeme sind in ihrem Verhalten trotz streng naturgesetzlichen Determinismus prinzipiell nicht vorhersagbar.
2. Das Chaos selbst ist nicht regellos, es gibt vielmehr eine Ordnung und Struktur im Chaos, die sich bildlich in komplexen Mustern - Attraktoren oder Fraktalen - darstellen läßt.
3. In komplexen, nichtlinearen Systemen existieren Chaos und Ordnung gleichzeitig und nebeneinander, wobei der Übergang von der Ordnung ins Chaos in aller Regel ebenfalls streng geordnet (in Bifurkationen) verläuft.
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