Der Fauvismus, eine Richtung der französischen Malerei, hatte etwa von 1905 bis 1909 seinen Bestand und revolutionierte das Farbkonzept der modernen Kunst. Er baut auf dem Grundsatz der Reinheit und Autonomie der Farbe auf und stellte keine Schule mit Programm und Theorie dar, sondern entstand aus dem vorrübergehenden Zusammenschluss einiger gleichgesinnter Maler, die der Zufall zu einer produktiven Bewegung vereinte.
Im Jahre 1905 stellten ca. zwölf Maler um Henri Matisse im Pariser Herbstsalon ihre Werke aus und erregten durch die Explosivkraft ihrer Malerei und die Freiheit in der Bildgestaltung öffentliches Ärgernis. Der Kunstkritiker Louis Vauxcelles , der auf dem Salon zugegen war und auf den auch die Bezeichnung Kubismus zurückgeht, sah eine Bronzeskulptur, die stilistisch an den Florentiner Bildhauer Donatello erinnerte, inmitten der äußerst farbstarken Werke von Andre Derain, Henri Matisse und Maurice de Vlaminck und äußerte sich leicht aufbrausend mit den Worten: Donatello parmi les fauves (Donatello unter wilden Tieren!). Diese ursprünglich abwertende Bezeichnung Les Fauves für die locker verbundene Gruppe fand jedoch nie die Billigung dieser Maler und wurde auch ihren heiteren und subjektiven Bildern nie gerecht.
Um den bedeutendsten Vertreter und Initiator der Bewegung, Henri Matisse, sammelten sich nacheinander drei Hauptgruppen unterschiedlicher Herkunft, zu denen als Unabhängiger noch Kees van Dongen kam:
1. die Gruppe vom Atelier Gustave Moreau und der Akademie Carriere: Albert Marquet, Henri-Charles Manguin, Charles Camoin und Jean Puy
2. die Maler aus Chatou: Andre Derain und Maurice de Vlaminck
3. die Gruppe aus Le Havre: Emile-Othon Friesz, Raoul Dufy und Georges Braque
Der Salon des Independants des Jahres 1906, an dem erstmals Braque teilnimmt, und der Herbstsalon desselben Jahres, in dem mit der geschlossenen Fauves-Riege auch van Dongen ausstellt, bestätigt den Durchbruch des Fauvismus.
Dessen wesentliche Gestaltungsabsichten lassen sich wie folgt zusammenfassen:
n Licht und Raum sollen durch die reine Farbe wiedergegeben werden, welche die ebenen Flächen ohne illusionistische Modellierung durch plastische Werte oder Helldunkel zum Glühen bringen.
n Durch Reinheit und Einfachheit der Mittel soll die Komposition eine vollkommene Entsprechung zwischen dem Gefühlsgehalt (Ausdruck) und dem dekorativen Arrangement oder der inneren Bildordnung darstellen.
n Der Fauvismus vertritt einen dynamischen Sensualismus (Schockwirkung des Farbenschauspiels auf die Sinne), der durch Synthese gebändigt (Verdichtung der Empfindungen) und der Bildökonomie unterworfen wird (alles was nicht nützt, ist allein schon dadurch schädlich)
n Die Ausdruckskraft soll durch die kraftvolle Linienführung, vereinfachte, aber dramatische Oberflächengestaltung und intensive Farbgebung erreicht werden
Die Farbgebung der Fauvisten, welche die spontane Schöpferkraft, subjektive Wahrnehmung und innere Verfassung der jungen Künstlergeneration ausdrückten, geht auf Experimente von Matisse in Saint-Tropez im Sommer 1904 zurück, der mit neoimpressionistischen Malern zusammenarbeitete, die reine, unvermischte Farben nebeneinander auf die Leinwand setzten. Im Sommer 1905 malten Matisse und Derain gemeinsam in Collioure und begannen reine Komplementärfarben zu benutzen, die mit flachen, kräftigen Strichen aufgetragen wurden. Mit leuchtend hellen Farben wollten sie das mediterrane Licht auf der Leinwand wiedergeben. Matisse betonte in einem Kommentar zu den Grundlagen seiner Arbeit, dass "... die Wahl der Farben auf keiner wissenschaftlichen Theorie beruht. Sie basiert auf der Beobachtung, dem Gefühl und der eigentlichen Natur jeder Erfahrung."
Gegen Ende des Jahres 1907 beginnt sich der aufkommende Kubismus durchzusetzen, zu dem Matisse und Derain übrigens ebenso beitragen wie Braque. Die ehemaligen Fauves arbeiten in unterschiedliche Richtungen weiter, nachdem die Farbgebung zum individuellen Ausdrucksmerkmal des modernen Künstlers geworden war. Einzig Matisse und auf seine Weise Dufy bleiben bei einem gemäßigten fauvistischen Stil.
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