Ionische und dorische Tempelarchitektur verfügen über grundlegende, gemeinsame Elemente, in Io¬nien entwickelt sich jedoch stammesbedingt eine andere architektonische Struktur. Vitruv vergleicht sie mit der Anmut einer Frau. Insgesamt wirkt ein ionischer Tempel besonders durch seine Orna¬mente sehr organisch, das Bauwerk scheint nur als Gerüst für etwas \"Lebendiges\" zu dienen.
Der ionische Stereobat unterscheidet sich nicht von dem dorischen, allerdings stehen die Säulen auf Basen. Man unterscheidet 3 Basentypen (vgl. Abbildung 13):
1. Inselionisch: Die samische Basis besteht aus einem kräftigen Wulst (Torus), der auf einem leicht konkaven Zylinder (Speira oder Spira) ruht. Eine horizontale Gliederung wird durch Anwendung von Stabprofilen und Kanneluren erreicht.
2. Kleinasiatisch-ionisch: Bei der populären ephesischen Form ruht auf einer Plinthe (quadratische Fußplatte) eine durch 3 Einzel- oder Doppelstabprofile und doppelten Trochilus horizontal geglie¬derte Spira, auf der der Torus aufliegt.
3. Attisch: Ein ausladender Torus ist durch einen Trochilus vom oberen (kleineren) Torus getrennt. In römischer Zeit kommt eine Plinthe hinzu.
Der schlankere Säulenschaft (Höhe = unterer Durchmesser*8) wird an beiden Enden durch ein Astragal, ein \"halbkreisförmiges Profil mit plastischen oder gemalten alternierenden Halbkugeln und Scheibchen\" , begrenzt. Im Gegensatz zum dorischen Säulenschaft, findet man häufig sehr enge Kannelierungen vor (24 - 48 halbkreisförmige bzw. flach-konkave Kanneluren). Bisweilen wird der Säulenhals durch Anthemien (Lotos-Palmetten-Verzierung) umkränzt.
Das Kapitell setzt sich aus dem schon erwähnten Astragal, einem Echinus mit ionischen Kymation- (Eierstab-) Verzierungen, einem Volutenteil, sowie einem kymationverzierten Abakus zusammen. Der Volutenteil springt beiderseits über den Schaft hervor und bildet schneckenförmige Voluten. Der sog. Kanalis verbindet beide Voluten, deren Seitenansicht, das Pulvinum (Polster), von einem Balteus (Gürtel) zusammen\"geschnürt\" wird. In der ionischen Ordnung gibt es ein dediziertes Eckkapitell, das insgesamt drei Voluten bildet. Dabei bildet die (verlängerte) Achse der mittleren Volute einen 45° Winkel zum Innenwinkel des Architravs.
Die ionischen Architraven gliedern sich in drei Fascien (stufenartige Vorsprünge). Die Gestaltung oberhalb des Architravs divergiert je nach Region. Bei kleinasiatisch-(ost-)ionischen Bauten ruht auf dem Architrav ein von Kymatien eingefaßter Zahnschnitt (\"Geisipodes\") . Dieser Zahnschnitt hat sich als dichte Reihe von stilisierten Balkenköpfen aus der Zeit des Holztempels erhalten. Es folgt das Geison, welches eine anthemienverzierte Sima trägt oder mit Palmettenantefixen verziert ist. Der übrige Aufbau (Dach- und Giebelbildung) unterscheidet sich nicht von einem dorischen Tempel. Im inselionisch-attischen Gebälk erscheint kein Zahnschnitt, dafür befindet sich oberhalb des Architravs ein Relieffries (Zophoros). Im kleinasiatisch-hellenistischen Stil wird solch ein Fries mit einem Zahn¬schnitt kombiniert (vgl. Abbildungen 9 und 12).
Die Anten werden erst ab dem 4.JH.v.Chr. von den Seitenwänden des Naos abgesetzt, zeichnen sich jedoch durch spezielle Kapitelle aus. Besonders prachtvoll werden zusätzlich die Türen zur Cella ver¬kleidet.
Vitruv widmet sich in einem seiner Kapitel (III, 3, 6) ausführlich dem Begriff \"eustyl\" im Zusam¬menhang mit Säulenabständen. Dieser Begriff sei von Hermogenes entwickelt worden; Vitruv hat Hermogenes jedoch schon in (III, 3, 8) fälschlicherweise die Erfindung des octastylen Pseudodip¬terons zugedichtet, insofern ist diese Information nicht gesichert. Vor der Entwicklung des eustylen Typs orientierte man sich entweder am pycnostylen (Abstand zweier Säulen -nicht deren Achsen! - = 1 1/2 * unterer Säulendurchmesser), am systylen (Abstand zweier Säulen = 2 * unterer Säulendurch¬messer) oder am diastylen (Abstand zweier Säulen = 3* unterer Säulendurchmesser) System. War der Säulenabstand größer als 3*(unterer Säulendurchmesser), bezeichnete man den Säulenabstand als aerostyl. Liegt ein eustyles System zugrunde, beträgt der Säulenabstand 2 1/4 untere Säulendurch¬messer. Nur das mittlere Intercolumnium sollte einen diastylen Abstand aufweisen (das stellte eigent¬lich keine Neuerung dar, denn dieses Intercolumnium war normalerweise immer ein wenig größer dimensioniert).
Mit dem Beginn des Hellenismus werden zunehmend ionische Großtempel gebaut, oft sog. Dipteroi (z.B. Apollon-Tempel in Didyma bei Milet). Dipteroi zeichnen sich durch zwei den Naos umgebende Säulenkränze aus. Die Cellastruktur derartiger Großtempel unterschied sich z.T. von orthodoxen Formen, so entfallen Opisthodome, oder im Innern der Cella befindet sich ein Naiskos, ein kleiner Schrein.
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