2.1 Vorgeschichte(n)
/
Bereits im Februar 1994 wurde die Media Service GmbH bestehend aus Telekom, Bertelsmann und Kirch gegründet und noch im gleichen Jahr von der EU-Kommission aus wettbewerblichen Gründen gestoppt. Im November 1995 stellt die Nachfolgeorganisation Multimedia-Betriebsgesellschaft (MMBG), an der auch ARD und ZDF beteiligt sind, einen Digitaldecoder namens Mediabox vor. Dabei wird der Entscheidung der EU insofern Rechnung getragen, als das Anteile der Gesellschaft für interessierte Unternehmen "reserviert" werden. Parallel dazu entwickelt Kirch die auf einer anderen Technik aufbauende d-box und bestellt bei Nokia eine Millionen Stück (wie es heißt, weil die Firma aus Risikogründen ansonsten nicht bereit wäre, diese zu produzieren. Später sollte der Ballast unverkaufter d-Boxen zum unverhandelbaren Teil der Einigungsgespräche mit Bertelsmann werden.)
Verhandlungen zum Beitritt Kirchs an der MMBG scheitern im Februar 1996, auf der anderen Seite führt Bertelsmann Gespräche mit Murdoch, Canal+ und Havas. Im September 1996 zerfällt die MMBG, die Telekom kündigt ihren Rückzug an und plant, selbst Fernsehprogramme zu veranstalten. Murdoch hat zwischenzeitlich die Seiten gewechselt und will sich mit 49% bei Kirchs im Juni 1996 gestarteten DF1 einkaufen. Im September 1996 stoppt Bertelsmann sein digitales Fernsehprojekt (Club RTL). Im März 1997 zieht sich Murdoch mit seinem BskyB vermutlich vor dem Hintergrund der nicht eingetroffenen Prognose der Abonenntenzahlen und der rechtlich unsicheren Lage aus der geplanten Beteiligung an DF1 zurück und trägt damit dazu bei, daß Kirch in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten gerät. Im März 1997 schließlich schlägt die Telekom, die zwischenzeitlich auch die Einführung eines Dekoders angekündigt hatte, die Bildung eines Runden Tisches vor, an dem alle Programmanbieter beteiligt sein sollen. Die Allianz von Bertelsmann (genauer: CLT/UFA), der Kirch-Gruppe und der Telekom sind Ergebnis der damit einsetzenden Gespräche.
Die langwierigen Bemühungen, in unterschiedlichen Zusammensetzungen und Verhandlungsrunden digitales Fernsehen in Deutschland einzuführen, können als Indiz für die damit verbundenen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verstanden werden.
Für die Verhandlungen im Vorfeld der beschlossenen Allianz prägend war die Mischung aus Einsicht zur Zusammenarbeit und eigenen Ambitionen, die vor dem Hintergrund sich erst entwickelnder (und sich wieder ändernder) Pläne der Beteiligten zu wechselnden Koalitionen führte. Zudem ist zu vermuten, daß über all dem eine mißtrauische Grundstimmung vorherrschte, die sich daraus erklärt, daß sich hart konkurrierende Wettbewerber nun zu gemeinsamen Verhandlungen veranlaßt sahen, bei denen die Angst, "über den Tisch gezogen zu werden", latent vorhanden war.
2.2 Die Digital-Allianz aus CLT/UFA, Kirch und Telekom
2.2.1 Die Pläne der beteiligten Akteure
Die Interessenlage der verschiedenen Akteure, die letztlich zum nachfolgendem Ergebnis geführt hat, sind in Abbildung 1 festgehalten.
Abbildung 1: Verhandlungskonstellation bei den Gesprächen
Deutlich wird der hohe Verhandlungsdruck, unter denen die Unternehmen standen. Kirch mußte seine Verträge hinsichtlich der hohen den Studios beim Rechteeinkauf versprochenen Abonnentenzahlen einhalten, zudem war er nach dem Nichteinstieg von Murdoch in finanzieller Verlegenheit. Mit der Blockade von Kirch, der mit seiner Ankündigung, Premiere nicht weiter aus seinem Programmstock mit Premiumfilmen zu versorgen, die Existenz des Senders aufs Spiel und damit wiederum auf den Verhandlungstisch setzte, wurde auf der anderen Seite Bertelsmann unter Druck gesetzt .
Zur Erklärung der Unternehmenshandlungen im Digitalbereich wird davon ausgegangen, daß die eher zögerliche, skeptische Haltung des Bertelsmannkonzerns hinsichtlich eines diesbezüglichen Engagements gegenüber eines fast überhasteten, riskanten Engagements der KirchGruppe teilweise in der unterschiedlichen Struktur der beiden Akteure begründet liegt. Zum einen spielt die Organisation der Konzerne im allgemeinen eine Rolle. Der dezentrale, in allen medialen Geschäftsfeldern tätige und demokratisch organisierte Bertelsmannkonzern gab und gibt kraft dieser Struktur nach außen kein einheitliches Bild ab. Demgegenüber kann der von Kirch gegründete und auf die Person Leo Kirchs zugeschnittene Unternehmenskomplex auch bei Entscheidungen der Tragweite des rigorosen Einstiegs in das digitale Pay-TV wenig zerstritten sein. Dennoch lassen sich die Handlungen von Kirch nur dann hinreichend erklären, wenn man im besonderen die kirchspezifische Eigenschaft des "Gamblers" hinzuzieht, die sich in einer risikobeladenen betriebswirtschaftlichen Vorgehensweise niederschlägt (vgl. etwa Glotz in der Woche 23/98: 3).
Die Pläne sahen vor, DF1 und DSFplus in Premiere aufgehen zu lassen, das nach dem Wegfall von canal+ (Anteil: 37,5%) zwischen Bertelsmann und Kirch paritätisch aufgeteilt werden und zur digitalen Plattform ausgebaut werden sollte. Die Pay-TV-Rechte beider Unternehmen sollten Premiere zur Verfügung gestellt werden. Die Anlaufverluste von DF1 sollte CLT/UFA im Gegenzug zur Hälfte übernehmen. Mit dieser Vereinbarung koppelte man den vorhandenen Filmrechtefundus des DF1 mit dem ansehnlichen Abonenntenstamm von Premiere (1,6 Mio.), überdies wurde die preisgestaltende Konkurrenzsituation im Handel um Pay-TV Rechte gemildert.
Bertelsmann und Telekom akzeptierten Kirchs Conditional-Access-(CA) und Decoder-Technologie und sollten an der Softwareentwicklungsfirma BetaResearch von Kirch zu je einem Drittel beteiligt werden. Mit der Einigung auf diesen Quasi-Standard war ein Element der Zugangskontrolle der Unternehmen verbunden, die über ihre Lizenzpolitik bei den Schnittstellen Beeinflussungen bis hin zur faktischen Zugangskontrolle hätten ausüben können.
In einer seperaten Verständigung mit der Telekom einigten sich die Akteure über die Einspeisung des digitalen Fernsehangebotes in die Kabelnetze, wobei die Telekom eine für Programmanbieter neutrale technische Plattform betreiben sollte ohne selbst Anbieter von Inhalten zu werden (siehe Kleinsteuber/Rosenbach, 1998:10).
2.2.2 Die Verhandlungen mit und die Entscheidung der EU-Kommission
Die nunmehr vereinbarte Fusion und die Zusammenarbeit mit der Telekom waren von der EU-Kommission nach den wettbewerbsrechtlichen Regelungen der Union zu genehmigen. Sie wurde dabei vom beratenden Ausschuß, in dem die Kartellämter der Mitgliedstaaten zusammengefaßt sind, beraten (siehe Abbildung).
Abbildung 2: Schaubild der Akteurskonstellation bei der \"Bertelkirch\"-Entscheidung
Frühzeitig war vor allem an den Stellungnahmen des Wettbewerbskommissars van Miert abzulesen, daß die Pläne - zumal in der vorliegenden Form - wahrscheinlich nicht die Zustimmung der Kommission wird finden können. So untersagte er bis zur Entscheidung der Kommission in dieser Frage die Vermarktung der planmäßig gemeinsamen d-box durch Premiere digital ausgerechnet im Weihnachtsgeschäft 1997.
Spätestens von diesem Zeitpunkt an betrieben die beteiligten Unternehmen intensiv Überzeugungsarbeit und Kompromißsuche. Bertelsmann beispielsweise brachte folgende Argumente für die geplante Fusion hervor :
"Durch den Abbau von Markteintrittsbarrieren [gemeint ist wohl die durch die Fusion attraktiv werdende Anschaffung von Dekodern, sowie die durch die Vereinbarungen für den Kunden gewonnene Sicherheit bzgl. der technischen Standards; H.P.] wird eine offene diskriminierungsfreie Struktur für zukünftige Wettbewerber erst geschaffen." Argumentiert wird in diesem Zusammenhang mit Frankreich, wo auch zu einem späteren Zeitpunkt neue Wettbewerber in den Pay-TV Markt drangen. Zum anderen werden "europäische Anbieter nach Durchdringung ihrer Teilmärkte (...) auf die jeweiligen anderen Heimmärkte drängen können und so einen europaweiten Wettbewerb herstellen."
Für den Fall des Scheitern der Pläne wird eine zweite Argumentationslinie aufgeführt: Es wird die Gefahr einer Dominanz von US-Anbietern beschworen, die "im Gegensatz zu deutschen Anbietern auf einen funktionierenden Heimatmarkt und umfangreiche Programmressourcen zurückgreifen, die sie auch in Europa verwerten können." Zusammenfassend: "Wenn Wettbewerb bereits beim Einstieg in eine neue Technologie zur Bedingung gemacht wird, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß die eigenen Player verhindert werden, der Markt Anbietern von außen überlassen wird und die Arbeitsplätze außerhalb Europas geschaffen werden."
Im Laufe der Verhandlungen ging die Allianz weitere Zusagen ein. So erklärte sie sich bereit, 25% von BetaResearch "freizuhalten", die Einrichtung eines technischen Sachverständigenrates, der allen mit digitalen Fernsehen Befaßten offensteht, sollte beraten, in Zweifelsfällen sollte eine unabhängige Schiedsinstanz entscheiden; CA- und Dekoder-Hersteller-Lizenzen wollten die Beteiligten an jedem interessierten Unternehmen vergeben. Bertelsmann, Kirch und die Telekom erklärten sich überdies bereit, Premiereprogramme (allerdings ohne die Möglichkeit, diese zu entbündeln) durch andere Kabelnetzbetreiber vermarkten zu lassen. Bezüglich des Rechtehandels konnten sich Bertelsmann und Kirch bei entsprechender Nachfrage Dritter auf die Weitergabe eines Viertels ihrer Film- und Sportrechte verständigen.
Van Miert schlug in der Schlußphase der hektischen Pendeldiplomatie vor, den privaten Kabelnetzbetreibern unter Mitwirkung der Telekom eine Plattform zu schaffen, auf der sie einen Zugang zu Premiere (digital) mit entsprechenden Zugriff auf die Programme bekommen hätten. Dabei machte sich der Wettbewerbskommissar im wesentlichen die Position des Verbandes der privaten Kabelnetzbetreiber (ANGA) zu eigen, welche argumentierte, eine neutrale Plattform sei nur möglich, wenn sie von allen Netzbetreibern betrieben wird (siehe MedienDialog 7/97: 11). Der Kompromißvorschlag wurde von Kirch und der Telekom angenommen, von Bertelsmann jedoch als zu weitreichend abgelehnt . Damit war die Grundlage für den einstimmig negativen Bescheid der Kommission gelegt. Insbesondere argumentierte sie dabei, daß es auch auf neuen Märkten eine Chance auf Wettbewerb geben müsse, diese Chance aber aufgrund der vereinbarten Konstellation so gut wie nicht bestehe, weder hinsichtlich der Dekodertechnik noch der Entwicklung einer alternativen Programmplattform oder der Durchsetzung neuer Vermarktungsanbieter. So liegen beispielsweise alle Pay-TV-Rechte bei CLT-Ufa und Kirch. Ein neuer Veranstalter müßte zunächst Ausstrahlungsrechte erwerben, braucht aber, um hier Erfolg zu haben, bereits einen Stamm an Abonnenten, da die Möglichkeit der (Rechte-)Einnahmen und damit das Interesse an Verhandlungen seitens der großen Studios erst mit wachsender Anzahl der potentiellen Seher steigt. Hohe Investitionen der privaten Kabelnetzbetreiber wären notwendig, um eine alternative Technikplattform für digitales Kabelfernsehen zu entwickeln. Diese aber würden nur getätigt, wenn entsprechende Marktdurchdringungschancen bestehen würden, die wiederum äußerst gering zu sein scheinen.
Bei dem neuen Markt des Pay-TV findet sich somit eine Situation wieder, die der Struktur eines Dilemmas ähnlich ist: Zum einen erklärt sich die Zusammenarbeit der im Fernseh- und Netzbereich potentesten, und sich im übrigen teilweise ablehnend gegenüberstehenden Veranstaltergruppen aus den Umständen heraus (sehr hohe Investitionen, inhärenter Druck auf technische Standardisierung) sowie den teuren fehlgeschlagenen Versuchen der einzelnen zuvor (ClubRTL, DF1). Die angestrebte Zusammenarbeit ist Ausdruck einer Einsicht und nicht das Ergebnis von ins Auge gefaßter Marktabschottung und -beherrschung (so sie auch von den Beteiligten dankend in Kauf genommen werden mag). Auf der anderen Seite steht die EU-Kommission, die auf der Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Regelungen auch auf einem neuen Markt Wettbewerb einfordert und (zu Recht) eine starke Betonung darauf legt, wie die Bedingungen aussehen müssen, respektive wie sie nicht aussehen dürfen, um den Markt für Wettbewerber offen zu halten. Daher lautet die zentrale Frage, wie unter den gegebenen gesetzlichen Vorschriften überhaupt dieser schwierige Markt erschlossen werden kann. Die schwierige, weil investitionsintensive Markterschließung im allgemeinen, sowie die deutsche Marktsituation mit einem zentralen Netzverwalter und zwei Rechteinhabern/Programmveranstaltern im Besonderen lassen schon in Ermangelung anderer Akteure eine grundsätzlich andere Alternative zum abgelehnten Vorgehen als unrealistisch erscheinen. Sogesehen liegt das Problem der rechtlich unbedenklichen Einführung des digitalen Fernsehens mittels Pay-TV auch in der deutschen Unternehmensstruktur eines Quasi- Duo- (Veranstalter) bzw. Quasi-Monopols (Netzbetreiber) begründet.
|