An der Digitalisierung von Rundfunkprogrammen knüpfen eine hohe Anzahl an ordnungspolitischen Fragen und Problemen an, die in drei Gruppen unterteilt werden können. Die übergeordnete Fragestellung ist jene nach der mit der Digitalisierung ggf. notwendig werdenden neuen Kommunikationsordnung. Hierauf wird im fünften Abschnitt eingegangen.
Konkreter sind hingegen die Fragen, die sich im direkten Zusammenhang mit dem Übergang von analoger zu digitaler Technik stellen (4.1). Eine dritte Gruppe von ordnungspolitischen Problemen betrifft die Frage, welche Regelungen den chancengleichen und nichtdiskriminierenden Zugang von Veranstaltern und Netzbetreibern gewährleisten sollen (4.2).
4.1 Der Übergang von analoger zur digitalen Übertragung
Unabhängig vom Fortgang des Pay-TV Sektors wird die digitale Umstellung aufgrund der technischen Vorteile erfolgen. Allerdings wurde ein 'natürlicher' Motor für diese Umstellung - das nämlich zahlreiche Kunden von Abo-TV eine Umstellung auf das digitale Pay-TV mit dem Kauf eines Dekoders von sich aus mitmachen und damit den Übergang in den Gang setzen - mit der Brüsseler Entscheidung geschwächt.
Mit dem Beschluß des Bundeskabinetts vom 17.12.97 wurde die "Initiative Digitaler Rundfunk" eingesetzt, deren Besetzung (Vertreter des Witrschafts- Bildungs-/Forschungs- und Innenministerium, der Staatskanzleien der Länder, Netzbetreiber, öffentlich-rechtlichen Programmanbieter etc.) das Ziel der Initiative widerspiegelt: Auf breiter Basis und wenn möglich im Konsens der entscheidenden Akteure einen "Strategievorschlag" für den Übergang vom analogen zum digitalen Rundfunk in Deutschland zu entwickeln. Vor allem wurde mit dem im August 1998 vom Kabinett "zustimmend zur Kenntnis" genommenen Bericht der Initiative ein Zeitrahmen getrennt für terrestrische Sender, Kabel und Satellit für die Umstellung vereinbart, "für dessen Erreichen sich alle Beteiligten ungeteilt einsetzen." (Kurzfassung des Berichts: 1) So soll die Digitalisierung der terrestrischen TV-Netze im Jahr 2010 abgeschlossen sein, "analoge TV-Übertragungen sollen bis dahin auslaufen." (Ebd. S.2) Für digitales Fernsehen über Kabel und Satellit soll bis spätestens 2010 "eine Marktdurchdringung mit Endgeräten, die auch digital empfangen können, von >95% je Versorgungsgebiet" erreicht und auf diese Weise der Markt für analoge Rundfunk- und weitere Dienstangebote substituiert werden (siehe ebd.). Das die Verbraucher nicht von vorneherein über die auf sie zukommenden Investitionen mit freudig-erhöhtem Pulsschlag reagieren werden scheint der Initiative bewußt, wenn sie den "Mehrwert der neuen Dienste und Geräte dem Kunden durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit" zu vermitteln trachtet (ebd. S.5). Damit wird das zentrale Problem deutlich: Dem Bürger die politisch zuvorderst aus wirtschaftlichen Gründen (aber auch gesellschaftlich zu begründende) angestrebte Digitalisierung und die damit einher gehende Einstellung analoger Übertragung begreiflich zu machen, auch wenn er mit dem für ihn verfügbaren Fernsehangebot in der Regel vollauf zufrieden ist . Der Mehrwert der Dienste könnte zudem mit der steigenden Bedeutung des Internets bis zum Jahre 2010 nahe Null liegen.
Neben einer gemeinsamen Strategie, auf die sich Akteure aus Bund und Ländern sinnvollerweise mit der Initiative verpflichten, gibt es die politische Herausforderung, die bestehenden Gesetze und Richtlinien insbesondere zum Jugendschutz im herannahenden digitalen Zeitalter weiter Geltung zu verschaffen. Dabei läßt sich absehen, daß bei steigender Anzahl der Programme vor allem weitere Institutionen der Selbstkontrolle mit der Implementation entsprechender Vorschriften betraut werden.
Darüber hinaus wird mit der digitalen Übertragung der Signale die Frage nach der Rolle der öffentlich-rechtlichen Sender gestellt, z.B. diejenige nach dem Grad der Spartisierung des Programmes. So äußerten in der Enquete-Kommission zur Zukunft der Medien die Vertreter von CDU/FDP (im Gegensatz zu SPD/Grüne) den Wunsch, der Bevorzugung der Öffentlich-Rechtlichen eine Gleichbehandlung mit den Privaten auch bei der Berücksichtigung von Übertragungswegen folgen zu lassen.
Allgemein ist im Zuge der technischen Umwälzungen politisch die Frage zu beantworten, wie groß der Anteil der Programme sein wird, den die Kabelnetzbetreiber zukünftig transportieren müssen (must carry) und unter welchen Aspekten (Meinungsvielfalt, Bevorzugung öffentlich-rechtlicher Sender?) die Landesmedienanstalten Programme als Must-carry Programme definieren sollen. Desweiteren werden Strukturvorgaben wie etwa die Berücksichtigung regionaler Programme für den Non-must-carry-Bereich diskutiert (siehe hierzu die Vorschläge der Länderchefs in MedienDialog 7 und 8/97).
4.2 Ausgestaltung des chancengleichen Zugangs
Auf dem Weg zum Rezipienten durchläuft digitales Fernsehen mehrere neue Dienstleisungsebenen, an denen sich Zugangshindernisse herausbilden können. "Vornehmliches Ziel aller Regelungsversuche im Bereich des digitalen Fernsehens muß es sein, die Problematik der 'Gatekeeper' oder 'Flaschenhälse' durch die rechtliche Gewährleistung eines offenen Zugangs zu diesen Techniken zu überwinden." (Holznagel/Schulz/Seufert, 1998: 5)
Zu diesen neuralgischen Punkten, an denen jene, die diese Dienstleistung vollbringen, potentiell die Macht zufällt, ob und welches Programmangebot unter welchen Bedingungen den Zuschauer erreicht, gehören folgende Dienstleistungen (siehe ebd.; zur Technik vgl. Eckstein in Tendenz IV/1997: 8ff.):
. Multiplexing: Hier findet die durch die Digitalisierung der Signale möglich gewordene Reduktion der Daten statt, wodurch die Zusammenfassung mehrerer Programme zu einem Paket pro Übertragungskanal ermöglicht wird. "Multiplexing kann insofern rundfunkrechtlich relevant werden, als die technische Bündelung Vorentscheidungen für die Verbreitung (...) setzt." (Holznagel et al, 1998: 9)
. Navigationssystem: Elektronischer Programmführer (EPG), Frage nach nichtdiskriminierender Berücksichtigung aller Programmeveranstalter (z.B. durch "T.O.N.I." der d-box) sowie Möglichkeit anderer Veranstalter, ihren EPG - ggf. samt Sonderfunktionen wie Lesezeichen - auf dem Dekoder abzubilden (Notwendigkeit einer Software-Schnittstelle - API).
. Conditional Access: Sämtliche Systemkomponenten, die den Zugang von gebührenpflichtigen Programmen regeln. Hier werden je nach Hersteller der Dekoder unterschiedliche CA-Module verwendet. In Zukunft ist denkbar, mittels des sog. Symulcrypt-Verfahrens oder eines Common-Interface (CI) Dekodertyp und CA-Module voneinander unabhängig zu machen.
Bereits nach dem geltenden Rundfunkstaatsvertrag müssen die Anbieter solcher Dienste allen Veranstaltern zu chancengleichen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen diese Dienste anbieten (§53 I). Mit dem neuen Staatsvertrag (Entwurf vom 25.6.1998) werden den Landesmedienanstalten voraussichtlich weitreichende Instrumentarien zugeteilt (z.B. Feststellung durch Bescheid, ob Dienste den genannten Anforderungen genügen), die die Zugangsfreiheit gewährleisten sollen. Die notwendigen Voraussetzung für die Zugangsfreiheit werden darüber hinaus im Entwurf dadurch angestrebt, daß Anbieter der benannten Dienste der zuständigen Landesmedienanstalt und Dritten, die ein berechtigtes Interesse geltend machen, alle technischen Parameter offenlegen müssen, "deren Kenntnis erforderlich ist, um den Zugang nach den Absätzen 1 [s.o.] und 2 [betrifft die Anforderungen an Navigatoren] zu ermöglichen".
Damit wird der wesentliche Unterschied zur Entscheidung der EU deutlich: Diese legte den Schwerpunkt auf die Schwierigkeiten, nach Vollziehen der Fusion Wettbewerb entstehen zu lassen. Dabei wurde auf die marktabschottenden Wirkungen, insbesondere auf die Möglichkeit der Allianz, Marktzutrittsbedingungen für andere Veranstalter zu diktieren, hingewiesen. Hier geht der Gesetzgeber das Problem von der anderen Seite an, indem er versucht, mit strukturellen Vorkehrungen, und das heißt in diesem Fall vor allem mit umfassenden Handlungsoptionen ausgestattete Landesmedienanstalten, die Option für künftigen Wettbewerb offenzuhalten, ohne ihn zu Beginn des digitalen Pay-TVs zwingend vorauszusetzen.
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