(aus Hamburger Verfassungsschutzbericht 1997)
Die rechtsextreme Gewalt ist weitestgehend unorganisiert. Es gibt derzeit keine Koordinierung zwischen den einzelnen Straftaten. 70 Prozent der Straftäter sind unter 21. Oft handelt es sich um Personen mit niedrigem Bildungsstand und einer "diffusen" Gewaltbereitschaft. Diese erwächst aus sozialen Schwachpunkten, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit und Orientierungslosigkeit. Dazu kommt erheblicher Alkoholkonsum, wodurch die Hemmschwelle sinkt. Die Gewalt äußert sich vornehmlich gegen Ausländer. Die Gewaltbereitschaft steigert sich durch die Einbindung in lose, unstrukturierte Gruppen, die sich zum Teil aus Skinheads, Hooligans, kriminellen oder sonstigen gewaltbereiten Personen zusammensetzen. Gewalttaten dieses Spektrums sind häufig von äußerster Brutalität gekennzeichnet. In Ostdeutschland hat sich ein größeres Potential dieser Art herausgebildet, als in den westlichen Ländern.
Bundesebene / Gewalttaten / Tatrichtungen: Anteil 1997 (rund):
Fremdenfeindliche Gewalt 58,5 %
Antisemitische Gewalt 1,4 %
Gewalttaten gegen politische Gegner
14,4 %
Sonstige rechtsextremistische Gewalttaten 25,7 %
"Fremdenfeindliche Gewalttaten" und "Sonstige rechtsextremistische Gewalttaten" werden zudem differenziert nach
. Tötungsdelikten,
. Sprengstoffanschlägen,
. Brandanschlägen,
. Landfriedensbrüchen
. Körperverletzungen.
In der Summe der 1997 vom Bundeskriminalamt (BKA) erfaßten 790 Gewalttaten sind 1 Sprengstoffanschlag und 38 Brandstiftungen enthalten. 1996 wurden 624 Gewalttaten registriert, darunter 33 Brandstiftungen, aber keine Sprengstoffexplosionen.
Diese Gewalttaten addieren sich mit der weitaus höheren Zahl weiterer Straftaten, wie Sachbeschädigungen, Nötigungen/Bedrohungen, Verbreitung/Verwendung verbotener Propagandamittel, Volksverhetzung/Aufstachelung zum Rassenhaß usw. (1996 = 8.106, 1997 = 10.929) zu der einleitend vorangestellten Gesamtsumme von 11.719 (1996: 8.730).
Von den 1997 insgesamt erfaßten 790 Gewalttaten waren 462 fremdenfeindlich motiviert (1996: 372) - ein Anstieg um 24,2 % gegenüber dem Vorjahr. Antisemitische Gewalttaten blieben mit 11 (1996: ebenfalls 11) in beiden Jahren auf einem - relativ - niedrigen Niveau. Die Zahl der Gewalttaten gegen politische Gegner stieg von 79 auf 114, die der sonstigen rechtsextremistischen Gewalttaten von 162 auf 203.
Als neuartiges Phänomen ragten 1997 drei Brandstiftungen in Lübeck mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation gegen Kirchen bzw. kirchennahe Objekte heraus - Ereignisse, die in Form mutmaßlicher Nachahmungstaten auf andere Städte, mit zum Teil verworrenem Motivhintergrund auch nach Hamburg, ausstrahlten. Anschlagsobjekte in Lübeck waren am:
. 27.02.1997: die Gartenlaube eines Bischofs,
. 25.05.1997: die St. Vicelin-Kirche,
. 29.06.1997: das Gemeindehaus der St. Augustinus-Kirche.
Insbesondere nach dem Brandanschlag auf die St. Vicelin-Kirche am 25.05.97 - verübt offenbar aus Haß gegen das Engagement von Kirche und Pastor in der Ausländerbetreuung/Flüchtlingshilfe - ereigneten sich 19 (16 Propagandadelikte, 3 Brandstiftungen) von bundesweit insgesamt 36 Straftaten gegen Kirchen bzw. kirchennahe Einrichtungen im ersten Halbjahr 1997. Der Lübecker Brandanschlag hatte somit offenbar monatelang Fanalwirkung für rechtsextremistisch - aber zumindest in Hamburg auch anders - motivierte Gewalt- und Propagandadelikte gegen Kirchen. Ähnliche Effekte, wenn auch mit breiterer Auswirkung, hatten in der Vergangenheit bereits die fremdenfeindlich motivierten Ausschreitungen in Hoyerswerda (1991) und in Rostock (1992), nach denen ein steiler Anstieg fremdenfeindlich motivierter Straftaten festzustellen war.
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