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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die projekte des roten wiens



Der Komunalpolitik standen, nachdem Wien 1920 ein eigenes Bundesland geworden war, völlig neue Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung, und Wien wurde zur einzigen Umsetzungsmöglichkeit der austromarxistischen Theorien im öffentlichen Bereich. Das rote Wien wurde zum ersten Beispiel einer langfristigen sozialistischen Strategie zur Umformung einer gesamten metropolitanen Infrastruktur. Kernstücke der kommunalen Reformstrategie waren die Schulreform von Otto Glöckel, die Wohnungspolitik von Finanzstadtrat Hugo Breitner und das von Julius Tandler geprägte Fürsorgewesen, das als "wiener System" Berühmtheit erlangen sollte.

Der Wohnbau

Die ersten Vorgänger des Wohnbauprogramms des roten Wiens entstanden bereits lange vor dem ersten Weltkrieg. Um die unvorstellbaren Wohnbedingungen der Arbeiter in den Zinshäusern der Gründerzeit (Keine Fenster, sanitäre Anlagen und Wasser am Gang, viel zu wenig Platz, zu hohe Mieten, Bettgeher) zu verbessern, wurde von der "Kaiser Franz Josef I Jubiläumstiftung für Volkswohnbau und Wohlfahrtseinrichtungen" nach einem ausgeschriebenem Wettbewerb der Lobmayerhof in Ottakring errichtet, der über Belichtung und Belüftung, einem WC im Wohnverband, einer Mindestwohnungsgröße, Kindererholungsräume, Sport- und Badeanlagen und Bibliotheken verfügte.
Der Wohnbau der Gemeinde Wien begann mit der Kommunalisierung der Gas- und Elektrizitätswerke unter Bürgermeister Karl Lueger. Im Zuge der Umbauarbeiten dieser werke wurden auch neue Bahnhöfe errichtet und Wohnbauten für die Tramwaybediensteten geschaffen, bei den letzten dieser Bauten, befinden sich Sanitäranlagen bereits innerhalb des Wohnungsverbandes und für ausreichende Belichtung ist gesorgt.
Nach dem ersten Weltkrieg sah die Wohnungssituation in Wien aufgrund der Zerstörung noch katastrophaler aus als davor. Als erster Versuch zur Linderung der Wohnungsnot stellte das 1921 erlassene "Anforderungsgesetzt dar, das es der Gemeinde Wien erlaubte, ganze leerstehende Gebäude, Wohnungen und Räume in Besitz zu nehmen und gegen Unkostenersatz weiter zu vermieten. Insgesamt wurden bis 1925 45.000 Wohnungen und eine unbekannte Zahl an Räumen "angefordert", trotzdem stellte sich keine wesentliche Besserung ein.
Als das Ermächtigungsgesetzt 1925 auslief, wurde es nicht verlängert. Am 21. September 1923 hatte der wiener Gemeinderat ein auf fünf Jahre berechnetes Wohnbauprogramm beschlossen, wobei ab 1924 jährlich 5000 Wohnungen errichtet werden sollten. Bereits 1927 war das Plansoll erfüllt, und es wurde der Bau von weiteren jährlich 6000 Wohnungen bis 1932 beschlossen und 1933 verwaltete die Gemeinde insgesamt 58.667 Wohnungen und 5.257 Siedlungshäuser, in denen 10.8% aller Wiener wohnten. Trotz der kurzen Dauer - 1932 mußte der Wohnbau aufgrund der finanziellen Situation aufgrund der neuen Gesetzen der Regierung Dollfuß fast eingestellt werden - ist der Gemeinde ein beachtliches Werk gelungen, das noch heute Verwendung findet und bewundert werden kann.
Im Gegensatz zu den damals von der internationalen Architektengemeinschaft bevorzugten Gartenstädten (sie bestanden aus lauter am Stadtrand errichteten kleinen Einfamilienhäusern mit Gärten) ließ die Gemeinde teilweise gewaltige Superblocks - die sogenannten Volkswohnpaläste - errichten, "proletarische Monumente", mit denen die Partei nicht nur Wohnraum, sondern sich selbst überdimensionale Denkmäler schuf.
Die wahre Größe der Bauten lag aber nicht in ihrer architektonischen Neuheit, sondern in dem Versuch, der Arbeiterschaft durch Verzicht auf kapitalistisches Mietzinsdenken ein gesichertes und menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen. Die oft von Otto-Wagner-Schülern gestalteten Bauten lagen nicht immer am Stadtrand, sondern fügten sich in die großräumige Stadtstruktur oder wurden in alten Baulücken errichtet. Die Wohnungen verfügten alle über eigene Sanitäranlagen, Wasser- und Kochstellen, Gas und Elektrizität, bestanden aus mindestens zwei Zimmern und waren belichtet und belüftet. Die Bauten selbst verfügten fast alle über Horte, Kindergärten, Mutterberatungstellen, Zahnkliniken, Versammlungsräume, Bibliotheken, Zentralwaschküchen, Turnhallen, Tuberkuloseberatungstellen usw. Außerdem galt für sie eine Maximalverbauung von 40% (im Gegensatz zu den alten Zinskasernen mit Verbauungsraten bis zu 85%) was großzügig angelegte Höfe möglich machte. Diese Höfe sorgten nicht nur für Licht und Luft, sondern förderten mit ihren Spiel- und Sportplätzen, den teilweise vorhandenen Kinderbädern und den stets in ihrer Mitte angelegten Gemeinschaftseinrichtung für eine verstärkte Gemeinschaft ihrer Bewohner. Durch die zahlreichen Einrichtungen hatte die Partei die Möglichkeit, das Privatleben der Mieter maßgeblich mitzugestallten und somit ihr Ziel eines "neuen, sozialistischen Menschen" weiter zu verfolgen.
Finanziert wurden diese großen Projekte aus den Mitteln der Wohnbausteuer, eine von Finanzstadtrat Hugo Breitner eingeführte, zweckgebundene Steuer, die, wie das gesamte Breitnersche Steuersystem, zu Lasten des Luxuskonsums und des ausländischen Anlagemarktes ging. Die Bauten kosteten allerdings nicht nur Geld, sie schufen auch Tausende neue Arbeitsplätze und ermöglichten mit ihren zahlreichen Skulpturen das Überleben zahlreicher von der Gemeinde beschäftigter Künstler, die nach Zusammenbrechen des neuen Marktes um ihr Überleben kämpfen mußten.
Doch so wunderbar es klingen mag, zur Vollendung des Bauprojektes des roten Wiens ist es nie gekommen. Eine Exponentin der sozialdemokratischen Frauenfraktion, Käthe Leichter, erhob 1932 die Arbeits-, Lebens- und Wohnverhältnisse von Industriearbeiterinnen. Sie fand heraus, das insgesamt nur etwas mehr als die Hälfte der Arbeiterinnen in einer eigenen Wohnung wohnten, mehr als ein drittel wohnte bei den Eltern und immerhin noch 1.5% als Bettgeherinnen. Somit blieb weiterhin die elterliche Familie die Überlebenssicherung der Arbeiter. In mehr als 50% der Fälle schliefen drei bis vier Personen im "Zimmer", das alle Lebensbereiche in sich vereinte, und nur 86% der Befragten hatten ein eigenes Bett, der Rest teilte mit Geschwistern oder Eltern. Nur rund 18% der Arbeiterinnen hatten in ihrer Wohnung Gas, Strom und Wasser. Außerhalb der Gemeindebauten herrschte also noch immer, trotz der Sozialpolitik des roten Wiens, die selben Zustände wie in der Gründerzeit


Die Fürsorge

Die kommunale Fürsorgepolitik des roten Wiens unterschied sich deutlich von der der anderen Bundesländer, in denen es bis auf die unter dem revolutionären Druck 1919 entstanden bundesweiten Verbesserungen (Arbeitslosenversicherung, bezahlter Urlaub...) kaum eine Änderung gegenüber der K. und K. Zeit gab. Das wiener Wohlfahrtswesen, das später als wiener System Berühmtheit erlangte, war hauptsächlich das Werk des Universitätsprofessor für Anatomie Julius Tandler, der bereits 1920 zum Stadtrat für das Wohlfahrtswesen bestellt wurde. Sein Konzept orientierte sich an einem ganzheitlich gesunden "Volkskörper", der in Zukunft nicht nur Kosten sparen sondern auch die Produktivität steigern sollte. Es basierte auf 4 Grundsätzen, die 1926 so formuliert wurden: "Die Gesellschaft ist gegebenenfalls auch ohne gesetzliche Vorschriften verpflichtet, allen Hilfsbedürftigen umfassende Hilfe zu gewähren. Individualfürsorge kann rationell nur in Verbindung mit Familienfürsorge geleistet werden. Aufbauende Wohlfahrtspflege ist vorbeugende Fürsorge. Die Organisation der Wohlfahrtspflege muß in sich geschlossen sein:" (Vor allem der letzt Punkt stand in krassem Gegensatz zu dem System der Monarchie, wo sich die Wohlfahrt größtenteils aus verschiedenen, voneinander unabhängigen, privaten Vereinen zusammensetzte)
Außerdem versuchte man, mit der privaten Fürsorge zusammen zu arbeiten und die Zentralisierung zu verwirklichen, indem 1921 das zentrale Wohlfahrtsamt der Stadt Wien gegründet wurde, das alle Wohlfahrtsaufgaben (Jugendfürsorge, Gesundheitsfürsorge,...) in sich vereinte. Das Modell Tandlers verlangte zwangsläufig einen Akzent zugunsten der Vorsorge, was in der Jugendfürsorge, die als Fundament jeder Fürsorge galt, seinen Ausdruck fand.
Da die Ausgaben für die Fürsorge bald ein drittel der Gesamtausgaben erreicht hatten, unterschied man zwischen "produktiven" (Jugend- und Gesundheitsfürsorge) und "unproduktiven" (z. B. Altenversorgung) Ausgaben, wobei es natürlich galt, erstere zu fördern und zweitere zu vermeiden. Daneben waren der Gemeinde auch Ausgaben für Ausländer oder nicht in Wien wohnhafte ein Dorn im Auge, was zu erheblichen Mängeln in der Armenpflege führte. Außerdem erwartete man von einem Befürsorgten, ein deutliches Bemühen, sich wieder in die Gesellschaft gewinnbringend einzugliedern, was dazu führte, das Bettler oder Landstreicher als "antisoziale" Menschen mit einem "Mangel an Verantwortungsgefühl" den verantwortungsbewußten Proletariern gegenübergestellt wurden, obwohl zu dieser Zeit viele Menschen aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in diese Situationen gezwungen wurden. Somit muß gesagt werden, daß das wiener System keineswegs ein nicht wertendes, allen Menschen offenstehendes soziales Netz darstellte, trotz alledem gelang es hier aber, eine viel umfangreichere und planvollere soziale Absicherung zu schaffen, als es andere Länder zu dieser Zeit aufweisen konnten.
Das Kernstück der Jugendfürsorge stellte das Jugendamt dar, das alle Angelegenheiten benachteiligter Kinder regelte (Übernehmen der Vormundschaft, Versorgung der in Familien untergebrachten Kinder durch Finanzmittel und Naturalunterstützung, Elternberatung, psychologische Betreuung), wobei das Heim als letzte Alternative angesehen wurde und die Familie als kleinste "Keimzelle" der Gesellschaft vorgezogen wurde. 1931 verfügte die Stadt Wien über 111 Kindergärten, in denen die Kinder medizinisch und psychologisch (teilweise mit Montessorimethoden) betreut wurden und drei Mal täglich essen konnten, was die Erwerbstätigkeit der Mutter möglich machte. Für die älteren Kinder wurden Horte errichtet, um sie vor der "Bedrohung der Verwahrlosung" zu bewahren, da die meisten aus "tiefsten proletarischen Milieu" stammten. Die alten Erziehungsanstalten wurden zu Resozialisierungszentren umgewandelt, um das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zu mildern, wurden Tagesheime eingerichtet, in denen die Jugendlichen essen und lernen konnten, später entstanden gemeinnützige Arbeitsprogramme, bei denen die Mitarbeiter als Belohnung ein warmes Mittagessen erhielten.
Die Gesundheitsvorsorge zielte vor allem darauf ab, den Menschenverlust des ersten Weltkrieges auszugleichen und die katastrophalen sanitären und gesundheitlichen Bedingungen allgemein zu verbessern. Die Betreuung begann schon im Kleinkindalter, alle Geburten mußten gemeldet werden, die medizinische Betreuung der Mutter und des Kindes war kostenlos, Beratungsstellen unterstützten die Eltern bereit während der Schwangerschaft und die Ausgabe von Gratiswindeln verhinderten den damals üblichen Einsatz von Zeitungspapier zum wickeln. In der Schule wurden die Kinder von Schulärzten und 15 Schulzahnkliniken betreut, die sich auch um die Ausspeisung der Kinder kümmerten. Der Unkostenbeitrag lag bei niedrigen 70 Groschen, trotzdem leisteten nur 5% den vollen Betrag, im Gegensatz zu 75% Freiessern.
An erwachsene Personen wurde ein "Erhaltungsbeitrag" gezahlt, wenn diese nicht im stande waren ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Wichtiger als Geldzuwendungen, die als nicht geeignete Mittel betrachtet wurden, waren Natural- und Sachaushilfen wie die Ausgabe von Brennstoffen, Kleidern, Schuhen und Nahrungsmittel. Auch die Errichtung von sogenannten "Wärmestuben" trug maßgeblich zur Besserung der Lebensbedingungen der Bedürftigen, vor allem im Winter, bei.
Finanziert wurde diese an sich ambitionierte Kommunalpolitik aus zwei Quellen, den sogenannten Ertragsanteilen an der Bundessteuer, wobei Wien durch seine Stellung als Gemeinde und Bundesland bevorzugt war, und aus den Einnahmen aus den eigenen Gemeindesteuern, aus den Erträgen der "Fürsorgeabgabe" und der "Biersteuer". Als im Zuge der Angriffe auf die wiener Regierung unter der Regierung Dollfuß die finanziellen Zuschüsse stark verringert und Wien sogar zu Abgaben gezwungen wurde, mußten die Wohlfahrtsausgaben allerdings stark eingeschränkt werden.


Die Bildungspolitik

Als Wien 1922 endgültig von Niederösterreich getrennt wurde, mußte für das neue Bundesland auch eine eigene Schulbehörde geschaffen werden. Dabei wurden der Gemeinde- und der Landesschulrat zusammengelegt und der wiener Stadtschulrat gegründet, der, nicht wie die alte Behörde, auf einige Zimmer im Rathaus beschränkt war, sondern ein eigenes Ringstrassenpallais unweit des Parlaments zur Verfügung gestellt bekam. Mit der Leitung dieser demokratischen Institution, in der die Sozialdemokraten die Mehrheit hatten, wurde der ehemalige Volksschullehrer Otto Glöckel betraut. Glöckel hatte schon zu Zeiten der großen Koalition auf Bundesebene als Staatssekretär für Bildung versucht, eine Schulreform einzuleiten, war aber aufgrund der kurzen Dauer der Koalition gescheitert. Nun nütze er seinen neuen Posten, um seine Reform voran zu treiben. Aufgrund der neuen Staatsform galt es, nicht länger gehorsame Bürger einer Monarchie, sondern selbstständige, freidenkende Bürger einer Demokratie zu erziehen und aus dem autoritären Schulsystem eine kreative, lebendige Schule zu gestalten. 1923 gründete er als Ergänzung zum Stadtschulrat das pädagogische Institut der Stadt Wien, dessen Leitung Viktor Fadrus übernahm, und in dem einige der bekanntesten Wissenschaftler und Intellektuelle der ersten Republik vertreten waren, unter ihnen Karl und Charlotte Bühler, Max Adler und Anna Freud. Sie hatten die Aufgabe, die Schulreform mit neuen Ideen und Anregungen zu versorgen und die Lehrerbildung zu erneuern.
Die Glöckelsche Schulreform verfolge vor allem drei Ziele:
Die Demokratisierung der Schule in deren Zuge zum einen Elternvereine und Schülervertretungen geschaffen wurden, die "ihre" Schule mitgestallten sollten und zum anderen die Trennung zwischen Schule und Kirche gesetzlich festgelegt wurde.
Die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit beim Zugang zur Bildung, die den größten Bruch mit der alten Bildungspolitik darstellte. Hatten früher nur die Kinder von sozial hochstehenden Eltern den Zugang zu einem Gymnasium und einer Matura, während anderen nach der Grundschule eine "volkstümliche" Bildung zu Teil wurde, sollte nun jeder das Recht und die Möglichkeit auf den Besuch einer "allgemeine Mittelschule" bekommen.
Eine radikale Erneuerung des Unterrichts und der Unterrichtsmethoden, die, nicht wie zu Zeiten der Monarchie vor allem den Gehorsam und das stillschweigende Hinnehmen der vermittelnden Inhalte zum Ziel hatte, sondern kreative Kräfte freisetzten und die Eigenheiten und Fähigkeiten der einzelnen Kinder fördern sollte. Es durften während des Unterrichts Fragen gestellt werden, in den Klassenräumen wurde gelacht und die Schüler entdeckten die Freude am Lernen. Der Unterricht legte nicht länger nur auf das möglichst genaue Wiedergeben des Erlernten wert sondern weckte durch Projekte und Lehrausgänge bisher unbekannte Fähigkeiten.
Auch in anderen Bereichen konnte man auf revolutionäre Fortschritte verweisen: Zur besseren Ausbildung der Lehrer wurden viersemestrige Ausbildungskurse am pädagogischen Institut geschaffen, die Ausbildung von körperlich Behinderten wurde durch großzügige Investitionen in das Hilfsschulwesen verbessert bzw. erst ermöglicht. Finanziert wurde diese Reform ebenso wie die anderen ausschließlich aus den Mitteln der Stadt Wien, da sie von der Opposition heftigst bekämpft wurde. Trotzdem wurde durch einen enormen finanziellen Aufwand (bis zu 19% des Budgets) eine Halbierung der durchschnittlichen Schülerzahl pro Klasse erreicht und zur Entlastung der Eltern den Schülern sämtliche benötigte Lehrmittel von der Gemeinde gratis zur Verfügung gestellt. Die Schulbücher wurden vom neu gegründeten Verlag für "Jugend und Volk" neu gestaltet und ihre Inhalte den Idealen der sozialdemokratischen Erziehung angepaßt. Sie wurden mit Bildern ausgestattet, sollten die Kinder nicht nur belehren sondern auch unterhalten, ihre Lesefreude anregen und so zu einer "privaten" Bildung beitragen die durch die Eröffnung zahlreicher öffentlicher Bibliotheken unterstützt wurde.
Im Gegensatz zu dem Schulsystem der Monarchie verbannte Glöckel die Parteipolitik aus der Schule. Er hoffte, daß dank seines reformierten Bildungswesens selbständig und demokratisch denkende Menschen hervorgehen würden, die den Sozialismus ganz von selbst als die beste politische Alternative sowohl zu Kapitalismus als auch zum Kommunismus oder Faschismus erkennen würde.
So wie die neue Schulbildung zielte auch die Erwachsenenbildung auf die Schaffung eines "neuen Menschen" ab. Die Arbeiter sollten in allen Lebensbereichen von der Partei umgeben und "gelenkt" werden, um sie in ihren Glauben an den Sozialismus zu stärken und die neue "Arbeiterkultur" in seiner Rolle als Gegenkultur zu den konservativen Bundesländern zu stärken. Zu diesem Zweck wurde die sozialistische Bildungszentrale geschaffen. Sie bot Vorträge an, baute ein flächendeckendes Bibliotheksnetz auf und kümmerte sich auch die so genannte "Gefühlsbildung" in deren Zuge eine Abgrenzung von bürgerlichen Werten propagiert wurde.
Gleichzeitig mit der sozialistischen Bildungszentrale entstanden auch die Volkshochschulen in einer Kooperation sowohl sozialistischer als auch konservativer Kräfte. Sie waren im Gegensatz zur Bildungszentrale absolut unparteiisch und einzig und allein die "Durchtränkung" der Bevölkerung mit Bildung zum Ziel, die als Mittel zur Überwindung sozialer Gegensätze gesehen wurde.
Die Aufgabe der 1919 gegründeten "sozialdemokratischen Kunststelle" bestand darin, den Arbeitern Zugang zu dem ihnen bisher verschlossenen kulturellen Angebot zu ermöglichen. Es wurden Arbeiter-Symphoniekonzerte abgehalten und alteingesessene Künstler angeregt, mit den sozialistischen Kunstvereinen zusammen zu arbeiten. Da sich das Kulturangebot der Kunststelle aber ausschließlich auf "erhabene Kunst" beschränkte, die nicht den Geschmack der Masse entsprach, waren ihre Bemühungen nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Die erfolgreichste sozialistische Kulturinitiative war das politische Kabarett, das in den 30ern seine Blütezeit erlebte und vor allem für Wahlpropaganda eingesetzt wurde.

WAS ÜBRIGBLIEB

Mit der Machtergreifung Dollfuß 1934 endete die Ära des roten Wien. Fast alle sozialdemokratischen Reformen wurden rückgängig gemacht und durch ein faschistisches System ersetzt. Auch wenn die sozialistische Stadtverwaltung ihre Bestrebungen nicht gänzlich verwirklichen konnten (trotz zahlreicher Verbesserung herrschte auch in Wien nie die angestrebte soziale Gerechtigkeit, zahlreiche Menschen lebten trotz kommunalem Wohnbaus unter nicht zumutbaren Bedingungen, die angestrebte proletarische "Gegenkultur" scheiterte bereits in ihren Ansätzen, das Problem der Arbeitslosigkeit konnte nie unter Kontrolle gebracht werden), so wurden doch Modelle geschaffen, die bis in die heutige Zeit nichts an ihrer Vorbildwirkung verloren haben. Zum ersten Mal wurde vorgeführt, wie eine "gerechte Gesellschaft" funktionieren könnte, zum ersten Mal wurde erkannt, das alle Menschen das Recht auf eine menschenwürdiges Leben besitzen, unabhängig von gesellschaftlicher Stellung und Vermögen. Der Karl-Marx-Hof gilt auch heute noch, neben dem Bau der Donauinsel, als Wiens bedeutendster Beitrag zur modernen Architekturgeschichte und die sozialen Reformen des roten Wiens fanden bei Intellektuellen in ganz Europa begeisterten Anklang. Trotz seiner kurzen Dauer und seiner verhältnismäßigen Unvollständigkeit war das rote Wien also Wegbereiter für eine neu entstehende, demokratische Gesellschaftsordnung, die erst Jahre später auch auf internationaler Ebene verwirklicht wurde.

 
 

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