Marighella erklärt in seinem \"Mini-Handbuch des Stadtguerilla\" Technik als \"aggressive Technik, d. h. sie hat offensiven oder Angriffscharakter\" Weiter legt Marighella dar, daß aufgrund der größeren Macht in Personal und Waffen seitens des Staates die Techniken ständig variieren müßten. Auf eine
durchgeführte Aktion müsse umgehend der Rückzug folgen, um die eigene Kampfkraft zu bewahren sowie den Gegner durch diese Taktik der Nadelstiche zu ermüden, zu demoralisieren und zu verwirren. Im weiteren führt Marighella die entscheidenden Vorteile des Konzepts Stadtguerilla auf. Es sind, unter dem Begriff Anfangsvorteile zusammengefaßt, die Überraschung des Feindes, die bessere Ortskenntnis , die größere Mobilität und Schnelligkeit gegenüber dem Feind, sowie der bessere Informationsdienst und die leidenschaftliche Entschlossenheit des Stadtguerilla im Kampf um Freiheit und Revolution. Erstaunlicherweise hat sich die RAF fast in ihrer gesamten aktiven Zeit an diese Grundprinzipien des bewaffneten Kampfs gehalten. Anschläge wurden von langer Hand geplant und vorbereitet, das Objekt sowie dessen Umgebung tagelang beobachtet, Fluchtmittel und Wege vorbereitet. Die meisten Aktionen waren zuvor bis ins kleinste Detail durchgespielt und diskutiert um alle möglichen Eventualitäten abzudecken. Nach einer durchgeführten Aktion wurde über Fehler Einzelner, der Gesamtaktion und Verbesserungen für die Zukunft diskutiert. Jedoch das Strategiekonzept der RAF wies erhebliche Defizite auf. Der Hauptkritikpunkt am Konzept der Stadtguerilla ist, daß die RAF versuchte, ein für Lateinamerika entwickeltes Konzept des bewaffneten Guerillakampfes ohne nennenswerte
Einschränkungen zu übernehmen. Die Unterschiede in Geographie, Infra- und Gesellschaftsstruktur zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland waren einfach zu groß, um sich darüber hinwegzusetzen. Dort unwegsamer Regenwald mit wenig ausgebauten Straßen und Wegen, hier ein Land mit einer der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt, mehreren großen und kleinen Städten und einer sehr gut ausgebauten Infrastruktur. Dort ein dünnbesiedeltes und mit unzähligen Versteckmöglichkeiten ausgestattetes Gelände, hier ein Gebiet mit relativ modernem Überwachungs- und Kontrollapparat seitens der Polizei. Dort eine Militärdiktatur und hier ein parlamentarisches Regierungssystem auf der Grundlage einer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Ein weiterer Punkt, weshalb die RAF das Konzept Stadtguerilla für sich in Anspruch nahm, war die Tatsache, daß Guerillagruppierungen, insbesondere in Vietnam und Algerien Mitte dieses Jahrhunderts große Erfolge verbuchen konnten. Jedoch bedachte man nicht, daß diese Erfolge gegen fremde Kolonialarmeen errungen worden waren, so daß dies wiederum nicht übertragbar auf die inneren Zustände in der BRD war. Auch fehlte der RAF die in Marighellas Handbuch beschriebene Unterstützung aus der Bevölkerung, wohingegen sich die genannten Guerilleros auf die Unterstützung breiter, vom Staat unterdrückter Massen verlassen konnten. Auch kam es nicht zu einer Entfachung des revolutionären Kampfes auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene in der BRD. Dieses wird jedoch durch Marighella als Voraussetzung für den Erfolg des Guerillakampfes gesehen. Somit gelang es der RAF nicht ihre Aktionen theoretisch zu untermauern.
Mitte der 70er Jahre entfernte sich die RAF mehr und mehr von der Strategie des Guerillakampfes, welche hauptsächlich von Horst Mahler vertreten wurde. Ulrike Meinhoff ging dann mit der sogenannten dritten RAF-Schrift auf die
terroristische Sabotage über, welche die Zerstörung der Logistik und Versorgungsnetze des imperialistischen Systems zu Ziel hatte. Aber wie Mahler zuvor, gelang es Ulrike Meinhoff mit dieser Theorie nicht, Strategie und Ideologie zu versöhnen. Sie selbst konnte sich nicht vorstellen, daß ihr revolutionäres Subjekt, das Industrieproletariat, mit der strategischen Zerstörung der Versorgungsanlagen der BRD zu begeistern sei um sich schließlich dem revolutionären Kampf anzuschließen.
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