Daß die französische Regierung ihre Aufgabe weniger in der "nationalen Verteidigung" als in der Verhinderung der sozialen Revolution sah und sich unter Preisgabe Elsaß-Lothringens schleunigst mit den Preußen einigte Die französische Regierung sah ihre Aufgabe weniger in der "nationalen Verteidigung" als in der Verhinderung einer sozialen Revolution. Sie fürchtete die bewaffneten und zur Verteidigung entschlossenen Massen von Paris mehr als die Preußen. weshalb Ministerpräsident Adolphe Thiers schleunigst (Ende Jänner 1871) mit den Preußen einen Waffenstillstand schloß und der Abtretung Elsaß-Lothringens sowie einer Zahlung von 5 Mrd. Goldfranc zustimmte.
"Das Geschütz der Nationalgarde, sagte Thiers, gehört dem Staat und muß dem Staat wiedergegeben werden. Die Tatsache ist diese: Von dem Tag der Kapitulation an ... stand Paris auf der Wacht. Die Nationalgarde [seit 1789 bestehende und mehrfach aufgelöste und reorganisierte Bürgermiliz und Heeresreserve] reorganisierte sich und vertraute ihre Oberleitung einem Zentralkomitee an, das durch ihre ganze Masse, einige der alten bonapartistischen Abteilungen ausgenommen, erwählt war. Am Vorabend des Einmarsches der Preußen in Paris besorgte das Zentralkomitee den Transport nach Montmartre, La Vilette der von den Capitulards ["Kapitulierern"] verräterischerweise in und bei den von den Preußen zu besetzenden Stadtteilen zurückgelassenen Kanonen und Mitrailleusen. Dies Geschütz war durch die Beiträge der Nationalgarde selbst beschafft worden. Als ihr Eigentum war es amtlich anerkannt ... und in dieser besonderen Eigenschaft ausgenommen worden von der allgemeinen Ablieferung der dem Staat gehörenden Waffen an den Sieger ...
Die Beschlagnahme des Geschützes sollte nur dienen als Vorspiel der allgemeinen Entwaffnung von Paris und damit der Entwaffnung der Revolution vom 4. September. Aber diese Revolution war der gesetzliche Zustand Frankreichs geworden. Die Republik, ihr Werk war im Wortlaut der Kapitulation vom Sieger anerkannt. ... Die Pariser Arbeiterrevolution vom 4. September war der einzige Rechtstitel der Nationalversammlung in Bordeaux und ihrer vollziehenden Gewalt."
Wie man der Pariser Nationalgarde ihre Kanonen wegnehmen wollte Am 18. März drangen französische Linientruppen in die Außenbezirke von Paris ein, um der Nationalgarde die Kanonen wegzunehmen, die sie dem Zugriff der Deutschen entzogen hatte. Die Soldaten verbrüderten sich jedoch mit der nur zum Teil bewaffneten wütenden Menge von Frauen und Männern, die ihnen entgegentrat. Zwei Generäle (Lecomte und Clément Thomas) wurden von ihren eigenen Männern niedergemacht.
"Einer der bonapartistischen Offiziere, der bei dem nächtlichen Überfall auf Montmartre eine Rolle spielte, General Lecomte, hatte viermal dem 81. Linienregiment befohlen, auf einen unbewaffneten Haufen in der Place Pigalle zu feuern; als die Truppen sich weigerten, schimpfte er sie wütend aus. Statt Weiber und Kinder zu erschießen erschossen seine einen Leute ihn selbst. ... Dieselben Leute richteten auch Clément Thomas hin."
Wie im März 1871 mit der Pariser Kommune ein sozialistischer Staat begründet wurde Am gleichen Tag begann mit der Errichtung der "Kommune von Paris" der erste Versuch der Errichtung eines sozialistischen Gemeinwesens. Die Arbeiten, die Karl Marx über die Pariser Kommune verfaßt hat, vermitteln uns die parteiergreifende Sicht eines kritischen Zeitgenossen und darüber hinaus einen Einblick in sein Verständnis von Sozialismus:
Daß nach Karl Marx die Arbeiterklasse nicht einfach den bestehenden Staatsapparat in Besitz nehmen kann " ... die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen. ...
Der Ruf nach der "sozialen Republik", womit das Pariser Proletariat die Februarrevolution [1848] einführte, drückte nur das unbestimmte Verlangen aus nach einer Republik, die nicht nur die monarchische Form der Klassenherrschaft beseitigen sollte, sondern die Klassenherrschaft selbst. Die Kommune war die bestimmte Form dieser Republik.
Paris, der Mittelpunkt und Sitz der alten Regierungsmacht und gleichzeitig der gesellschaftliche Schwerpunkt der französischen Arbeiterklasse, Paris hatte sich in Waffen erhoben gegen den Versuch des Thiers und seiner Krautjunker, diese ihnen vom Kaisertum überkommne alte Regierungsmacht wiederherzustellen und zu verewigen. Paris konnte nur Widerstand leisten, weil es infolge der Belagerung die Armee losgeworden war, an deren Stelle es eine hauptsächlich aus Arbeitern bestehende Nationalgarde gesetzt hatte. Diese Tatsache galt es jetzt in eine bleibende Einrichtung zu verwandeln. Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk.
Daß die Kommune aus den nach allgemeinem Stimmrecht gewählten Stadträten bestand und gleichzeitig gesetzgebende und vollziehende Gewalt sein sollte Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit. Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller iher politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller andern Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune abwärts, mußte der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden. ... Nicht nur die städtische Verwaltung, sondern auch die ganze, bisher durch den Staat ausgeübte Initiative wurde in die Hände der Kommune gelegt.
Das stehende Heer und die Polizei, die Werkzeuge der materiellen Macht der alten Regierung, einmal beseitigt, ging die Kommune sofort darauf aus, das geistliche Unterdrückungswerkzeug, die Pfaffenmacht, zu brechen; sie dekretierte die Auflösung und Enteignung aller Kirchen, soweit sie besitzende Körperschaften waren. ... Sämtliche Unterrichtsanstalten wurden dem Volk unentgeltlich geöffnet und gleichzeitig von aller Einmischung des Staats und der Kirche gereinigt. ...
Daß die Richter verantwortliche, absetzbare Beamte sein sollten Die richterlichen Beamten verloren jene scheinbare Unabhängigkeit, die nur dazu gedient hatte, ihre Unterwürfigkeit unter alle aufeinanderfolgenden Regierungen zu verdecken, deren jeder sie, der Reihe nach, den Eid der Treue geschworen und gebrochen hatten. Wie alle übrigen öffentlichen Diener, sollten sie fernerhin gewählt, verantwortlich und absetzbar sein.
Die Pariser Kommune sollte selbstverständlich allen großen gewerblichen Mittelpunkten Frankreichs zum Muster dienen. ... In einer kurzen Skizze der nationalen Organisation, die die Kommune nicht die Zeit hatte, weiter auszuarbeiten, heißt es ausdrücklich, daß die Kommune die politische Formselbst des kleinsten Dorfs sein und daß das stehende Heer auf dem Lande durch eine Volksmiliz mit äußerst kurzer Dienstzeit ersetzt werden sollte. Die Landgemeinden eines jeden Bezirks sollten ihre gemeinsamen Angelegenheiten durch eine Versammlung von Abgeordneten in der Bezirkshauptstadt verwalten, und diese Bezirksversammlungen dann wieder Abgeordnete zur Nationaldelegation in Paris schicken; die Abgeordneten sollten jederzeit absetzbar und an die bestimmten Instruktionen ihrer Wähler gebunden sein. Die wenigen, aber wichtigen Funktionen, welche dann noch für eine Zentralregierung übrigblieben, sollten nicht, wie dies absichtlich gefälscht worden, abgeschafft, sondern an kommunale, d.h. streng verantwortliche Beamte übertragen werden. Die Einheit der Nation sollte nicht gebrochen, sondern im Gegenteil organisiert werden durch die Kommunalverfassung; ...
[Die Kommune] war wesentlich eine Regierung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte. ...
Daß die Kommune das Privateigentum an den Produktionsmitteln abschaffen wollte Die Kommune, rufen sie [die "Fürsprecher der jetzigen Gesellschaft"] aus, will das Eigentum, die Grundlage aller Zivilisation, abschaffen! Jawohl, meine Herren, die Kommune wollte jenes Klasseneigentum abschaffen, das die Arbeit der vielen in den Reichtum der wenigen verwandelt. Sie beabsichtigte die Enteignung der Enteigner. Sie wollte das individuelle Eigentum zu einer Wahrheit machen, indem sie die Produktionsmittel, den Erdboden und das Kapital ... in bloße Werkzeuge der freien und assoziierten Arbeit verwandelt.
Aber das ist der Kommunismus, der 'unmögliche' Kommunismus! Nun, diejenigen Leute aus den herrschenden Klassen, die verständig genug sind, die Unmöglichkeit der Fortdauer des jetzigen Systems einzusehn - und deren gibt es viele -, haben sich zu zudringlichen und großmäuligen Aposteln der genossenschaftlichen Produktion aufgeworfen. Wenn aber die genossenschaftliche Produktion nicht eitel Schein und Schwindel bleiben, wenn sie das kapitalistische System verdrängen, wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre Leitung nehmen und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen [Schüttelkrämpfe bei Erkrankungen des Nervensystems], welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen soll - was wäre das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der 'mögliche' Kommunismus?
Daß die Arbeiterklasse nach Karl Marx keine Ideale zu verwirklichen, sondern nur dem Neuen zum Durchbruch zu verhelfen hat, das sich im Schoß des Alten entwickelt hat Die Arbeiterklasse verlangte keine Wunder von der Kommune. Sie hat keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß, daß, um ihre eigne Befreiung und mit ihr jene höhre Lebensform hervorzuarbeiten, der die gegenwärtige Gesellschaft durch ihre eigne ökonomische Entwicklung unwiderstehlich entgegenstrebt, daß sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben. ...
Die große soziale Maßregel der Kommune war ihr eignes arbeitendes Dasein. Ihre besondern Maßregeln konnten nur die Richtung andeuten, in der eine Regierung des Volks durch das Volk sich bewegt. Dahin gehören die Abschaffung der Nachtarbeit der Bäckergesellen; das Verbot ... der bei Arbeitgebern üblichen Praxis, den Lohn herabzudrücken durch die Auferlegung von Geldstrafen ... Eine andre Maßregel dieser Art war die Auslieferung von allen geschlossenen Werkstätten und Fabriken an Arbeitergenossenschaften ..."
Daß Paris seit dem 2. April von französischen Truppen belagert wurde Am 2. April nahmen die Truppen der in Versailles sitzenden Regierung Thiers Paris unter Artilleriefeuer. Nach 45tägigem Kampf unterlag die Kommune. In Lyon, Marseille, Bordeaux und anderen Städten hatten sich ebenfalls revolutionäre Kommunen gebildet. Sie brachen schon vor dem 28. Mai 1871 zusammen.
Daß die Truppen der Versailler Regierung gefangene Kommunarden erschossen Die "Versailler" waren nach einigen Tagen des Kampfes dazu übergegangen, gefangene Kommunarden zu erschießen. Die Kommune antwortete mit dem Geiseldekret, das die Erschießung von drei politischen Gefangenen (Polizeispitzel, Gendarmen, Priester, Ordensgeistliche) für jeden ermordeten Kommunarden androhte, aber nicht in die Praxis umgesetzt wurde.
"Nachdem die Kommune (Dekret vom 7. April) Vergeltungsmaßregeln angeordnet und es für ihre Pflicht erklärt hatte, 'Paris gegen die kannibalistischen Taten der Versailler Banditen zu schützen und Aug' um Auge, Zahn um Zahn zu verlangen' stellte Thiers dennoch die grausame Behandlung der Gefangenen nicht ein."
Die Erschießungen hatte man allerdings eingestellt.
"Kaum aber hatten Thiers und seine Dezembergenerale gefunden, daß das Vergeltungsdekret nur eine leere Drohung war, daß selbst ihre Gendarmenspione, die in Paris, als Nationalgardisten verkleidet, abgefangen waren, daß selbst Polizeisergeanten, Träger von Brandgranaten, verschont blieben - so fing auch das massenweise Erschießen von Gefangenen wieder an und wurde bis zum Ende durchgeführt."
Unter dem Druck von außen beschloß die Kommune die Bildung eines mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten "Wohlfahrtsausschusses", was von einer Minderheit der Kommunarden entschieden abgelehnt wurde.
Wie am 21. Mai eine blutige Woche begann, in der Paris erobert wurde Am 21. Mai drangen Soldaten des Generals Mac Mahon in Paris ein und brauchten dann noch eine lange blutige Woche, um die Stadt vollständig einzunehmen. Den nahen Tod vor Augen, holten Angehörige der Nationalgarde etwa hundert Gefangene aus ihren Gefängnissen und erschossen sie. Die "Versailler" hingegen erschossen in den Straßen der Stadt etwa 20.000 Menschen.
Am 27. April wurde auf dem Friedhof Père-Lachaise mit äußerster Erbitterung um jeden Meter gekämpft. Die Versailler machten hier keine Gefangenen. Am 28. Mai fiel die letzte Barrikade in der Rue Ramponneau.
Von 40.000 Verhafteten fiel eine größere Zahl willkürlicher Erschießung zum Opfer oder starb an untragbaren Haftbedingungen.
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