Wie die deutschen Fürsten Wilhelm baten, ihr Vorgesetzter zu werden ...
Der Hurra-Patriotismus riß das liberale Bürgertum mit. Aber die Fürsten mußte Bismarck erst von der Notwendigkeit einer Unterordnung unter Preußenkönig Wilhelm überzeugen: Bayernkönig Ludwig II. konnte durch eine Summe von sieben Millionen Goldmark dazu bewegt werden, seinen Namenszug unter ein Schreiben zu setzen, in dem er "im Namen aller deutschen Fürsten" den Preußenkönig ersuchte, doch bitte ihr Vorgesetzter zu werden.
... und dieser 1871 in Versailles ihrer Bitte entsprach Die Proklamation Wilhelms zum Deutschen Kaiser erfolgte im Jänner 1871 im Spiegelsaal zu Versailles.
Dem Reichstag des Norddeutschen Bundes wurde erlaubt, aus seiner Mitte dreißig Abgeordnete zu wählen, deren Aufgabe es sein sollte, den Preußenkönig untertänigst zu bitten, "durch Annahme der Kaiserkrone das Einigungswerk zu erreichen".
Daß auch 30 Abgeordnete des Reichstags "zum Dienermachen" vorgelassen wurden Allerdings ließ man "die dreißig Kerls" erst einmal zwei Tage warten, bis sie "zum Dienermachen", wie sich ein Flügeladjutant Wilhelms ausdrückte, vorgelassen wurden.
1871 war die Geburtsstunde einer Militärdiktatur, die auf dem Bündnis zwischen Adel und Großbürgertum beruhte und bis zum November 1918 Bestand hatte.
Der Regierungschef, der Reichskanzler, war gleichzeitig Vorsitzender des "Bundesrats", eines faktisch bedeutungslosen Gremiums, in dem - so Bismarck - "die Souveränität der verbündeten Fürsten und Regierungen ihren unbestrittenen Ausdruck" finden sollte.
Daß der Reichstag lediglich ein Scheinparlament war Der Reichstag bildete lediglich ein Scheinparlament. Die Wahlkreiseinteilung benachteiligte die Ballungszentren: Hamburg, Berlin, Bochum/Dortmund (zusammen 3,12 Millionen Menschen) wurden von insgesamt elf Abgeordneten vertreten. Die rund 700.000 Untertanen der mecklenburgischen Großherzöge entsandten hingegen sieben Abgeordnete.
Von der Wahl ausgeschlossen waren: Frauen, Männer unter 25, Soldaten, Inhaber in Konkurs gegangener Betriebe, "Almosenempfänger" - Familienväter, die im Wahljahr Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln erhielten.
Außerdem war die Regierung dem Parlament nicht verantwortlich.
Daß das "Zweite Reich" nicht viel von den Hoffnungen der Jahre 1815 oder 1848/49 verwiklicht hatte Stellte das "Zweite Reich" - die Erfüllung des Traums von 1815 oder 1848/49 dar?
Es war ein kleindeutsches Reich, dafür lebten darin fünf bis sechs Millionen Menschen (Polen, Masuren Sorben, Kassuben, Slowaken, Litauer, Dänen, Franzosen), die sich - wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegolten hätte - wohl für eine andere staatliche Lösung entschieden hätten.
Hatte das "Zweite Reich" der Kleinstaaterei ein Ende gesetzt? Erreicht war lediglich das Ziel, einen großen Teil der deutschen Zwergstaaten in Preußen aufgehen zu lassen und den Rest in Abhängigkeit zu halten. Neben den Hohenzollern gab es noch 21 weitere regierende Fürstenhäuser.
Kinder aus Arbeiter- oder Bauernfamilien hatten kaum Chancen auf höhere Bildung und auf die Erwerbung eines Reserveoffiziersdienstgrades - in aller Regel Voraussetzung für einen Höheren Posten in Staatsdienst und Industrie. Behördenchefs bevorzugten Bewerber, die schlagenden Verbindungen - möglichst der eigenen - angehörten. Die Gesindeordnung räumte der Herrschaft bis 1918 ein körperliches Züchtigungsrecht ein. Landarbeiter, Soldaten, Lehrlinge erhielten Ohrfeigen, Fußtritte, Schläge mit der Reitpeitsche. Die Polizisten und Gendarmen waren durchwegs ehemalige Unteroffiziere, die zwölf Jahre und länger Rekruten gedrillt hatten.
Daß im "Zweiten Reich" das Militär den Ton angab In der Gesellschaft des Bismarck-Reiches gaben Adel und Militär den Ton an.
Mehr als die Hälfte von fünf Milliarden Goldfranken, die Frankreich als "Kriegsentschädigung" gezahlt hatte, wurde für zusätzliche Rüstungen ausgegeben.
Der konservative Historiker Heinrich von Treitschke (der Mann, bei dem später der "Stürmer" sein Motto entlehnen sollte: "Die Juden sind unser Unglück") schwärmte: "Ist diese Zeit von Eisen, so bleibt es auch eine Notwendigkeit für die Gesittung der Welt, daß eine Nation bestehe, die neben dem Idealismus der Wissenschaft zugleich den Idealismus des Krieges behüte, ... und dies ist Deutschlands herrlichster Beruf." So wie Treitschke es sang, so zwitscherten es Tausende von Deutsch-, Geschichts-, Turn- und Religionslehrern, so paukten es Unteroffiziere den Rekruten ein, und so trommelten es die überall im Reich gegründeten Kriegervereine durch die Städte und Dörfer.
|