Wir glauben zu wissen, was das ist: Rasse. Wir glauben zu wissen, daß wir als aufgeklärte Mitteleuropäer nie und nimmer Rassisten sein könnten. Der Rassismus hat mit der "Endlösung" seinen grausigen Höhepunkt erreicht, nie aber zum Ende gefunden. Man kann ihn nicht als abgeschlossen und daher unschädlich ansehen.
In der heutigen Zeit tritt der Rassismus in vielerlei Gestalt auf. Der "klassisch weiße" Rassismus kämpft unter den Namen "Apartheid" seine letzten Schlachten, während auch ein sogenannter "schwarzer" Rassismus, basierend auf Stammesunterschiede, sein Unwesen treibt, der wie im alten Europa zu Massenvertreibungen führt.
In unseren Breiten wagt es der Rassismus nicht mehr, sich offen als solcher zu bekennen. Nur ein paar, mit Pinsel und Dummheit, bewaffnete Irre stellen ihren Unmut auf Gräbern und Synagogen zur Schau. Der Großteil unserer Gesellschaft jedoch nennt sich "Anti-Rassist". Dahinter verbergen sich je Nation und Kultur verschiedenartigste Formen von uneingestandenen rassebezogenen Denken. Gegen die Nordafrikaner in Frankreich, den Pakistani oder Hindu in England usw. Aber dieses Denken muß sich nicht nur gegen die von den Kolonien Zugewanderten richten, sondern auch gegen die seit Jahrhundert Ansässigen wie etwa die Slowenen in Kärnten, die von der deutschsprachigen Bevölkerung noch immer nicht integriert sind.
Der Rassismus ist eine gelebte Erfahrung. Wahrscheinlich ist sie außerdem für jede menschliche und vielleicht sogar jede tierische Lebenswelt charakteristisch:
Immer, wenn jemand mit einem anderen oder einer Gruppe von Individuen in Berührung kommt, die anders sind als er oder die er kaum kennt, reagiert er auf eine Weise, die den Rassismus anklingen läßt.
Demnach wären wir wohl alle Rassisten. Doch nicht ganz. Wir sind zwar in Versuchung den Rassismus in uns aufzunehmen. Wir sind dann in Gefahr uns als Rassisten zu verhalten, wenn wir glauben unsere Privilegien und Güter oder unsere Sicherheit zu verlieren. Dies trifft wohl oft zu, also ist der Rassismus eine weitverbreitete und nicht seltene Reaktion des Menschen.
Das Hervorheben eines wie immer gearteten Unterschieds zwischen den Menschen ist kein Rassismus, selbst dann nicht, wenn dieser Unterschied zweifelhaft ist. Somit ist die Feststellung eines Unterschieds kein Rassismus sondern eine Feststellung. Aber diese Feststellung läßt sich für einen rassistischen Angriff nutzen.
Auch die Bewertung eines Unterschieds zu unseren gunsten ist noch kein ausreichender Beweis für rassistisches Denken. Das ist nur eine recht weit verbreitete Neigung. Wir bringen unsere eigenen Merkmale und Gewohnheiten in den Vordergrund. Erstaunen und Unbehagen über den Unterschied kommt dadurch zur Geltung.
Man wird schließlich erst dann Rassist, wenn man den entscheidenden Schritt tut: die Verwendung des Unterschieds gegen den anderen, mit dem Ziel, aus dieser Stigmatisierung einen Vorteil zu ziehen. Die Behauptung, dieses oder jenes Volk ist einem anderen in der technischen Entwicklung unterlegen, ist kein Rassismus. Man kann darüber streiten, reden und diskutieren.
Erst wenn man daraus den Schluß zieht, dieses Volk beherrschen zu müssen und die Unterschiede als Rechtfertigung und Erklärung gebraucht, ist man vom Rassismus befallen.
Definition
Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen. (Albert Memmi)
Die Analyse bringt vier wesentliche Elemente zu Tage:
1. Nachdrückliche Betonung von tatsächlichen oder fiktiven Unterschieden zwischen dem Rassisten und seinem Opfer.
2. Wertung dieser Unterschiede zum Nutzen des Rassisten und zum Schaden seines Opfers.
3. Verabsolitierung dieser Unterschiede, indem diese verallgemeinert und für endgültig erklärt werden.
4. Legitimierung einer - tatsächlichen oder möglichen - Aggression oder eines - tatsächlichen oder möglichen - Privilegs.
Die rassistische Anklage stützt sich auf einen biologischen und kulturellen Unterschied. Diese beiden Komponenten wechseln sich einander ab, um anschließend allgemeine Rückschlüsse auf die Gesamtheit der Persönlichkeit, des Lebens und der Gruppe des Beschuldigten zu ziehen. Indem der Ankläger auf den Unterschied besteht, bewirkt oder verstärkt der Rassist bewußt den Ausschluß, die Ausgrenzung des Opfers aus der Gemeinschaft oder der gesamten Menschheit.
Der Rassismus des Kolonisators weist darauf hin, das es Unmöglich ist, den Kolonisierten in die Gemeinschaft aufzunehmen und zu akzeptieren. Der antisemitische Rassismus der den Juden als radikal fremdes und befremdendes Wesen darstellt, will die Isolierung und Ghettoisierung des Juden rechtfertigen.
Wenn dem Ankläger die Unterschiede fehlen, werden sie erfunden. Gibt es Unterschiede werden sie zum Vorteil interpretiert. Der Rassist besteht nur auf Unterschiede die er zu seinen Vorteil nützen kann. Diese werden der Wertung des Rassisten unterzogen.
Diese Wertung hilft dem Ankläger seine Überlegenheit und die Unterlegenheit des Opfers darzustellen. In der rassistischen Welt ist der Unterschied etwas Schlechtes. Der Rassist wird alles unternehmen diesen Unterschied zu vergrößern, weil je kleiner er das Opfer macht, desto größer wird er selbst. Wenn der Ankläger seine Überlegenheit endgültig untermauern will, muß auch der Unterschied zu einem endgültigen werden.
Weiters ist der Ankläger bemüht den Unterschied zu verallgemeinern. Das bedeutet die gesamte Persönlichkeit des Opfers ist derart charakterisiert, daß alle Mitglieder seiner gesellschaftlichen Gruppe unter der Anklage zusammenbrechen. Der biologische Unterschied ist dabei verhängnisvoll. Der Unterschied ist in Fleisch und Blut festgestellt. Von nun an ist das innerste Wesen des Opfers anders. Der biologische Unterschied wird zum kulturellen Unterschied erstreckt.
Der Antisemit nimmt die Geldgier eines einzelnen Juden, und verallgemeinert dahin, daß alle Juden habgierig sind. Dieser Mechanismus greift auch auf die notorische Faulheit der kolonisierten oder die Gewalttätigkeit der Schwarzen. Er wird auf die Vergangenheit und die Zukunft ausgedehnt. Das bedeutet der Jude war schon immer habgierig, der Schwarze seit ewig unterlegen. Es bedeutet aber auch das das immer so sein wird.
Am Ende wird der Unterschied auf die Person des Opfers absolut gesetzt. Es entsteht der absolute Kolonierte oder der absolute Jude. Sein Typ ist wohlgemerkt negativ, endgültig und absolut. Im Mittelalter wurde der Jude zur Wiedergeburt des Teufels, und später zum antiethischen Feind der Nationalsozialisten. In diesem Extremfällen wurde der Rassismus zum Mythos. Und ein Mythos löst sich von der Wirklichkeit.
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