Deutschland von 1960 bis 2004
1. Einleitung Der Kleine Mann betrügt die Versicherungen. Professoren verkaufen Doktortitel. Politiker richten ihr Handeln auf Medienpräsenz und Eigennutz aus. Parteien versinken im Spendensumpf ..
. Währt "ehrlich" heute immer noch am längsten? Oder muss der Ehrliche sich fragen, ob nicht er der Dumme ist? Ulrich Wickert, Moderator der Tagesthemen, verfasste das Buch "Der Ehrliche ist der Dumme" . In ihm verfolgt er kritisch den Wertewandel in unserer Gesellschaft. Betrug, Korruption und Gewalt sind Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden. Ideelle Werte wie Ehrlichkeit, Solidarität, Nächstenliebe scheinen materiellen Werten zum Opfer gefallen. Mit konkreten Beispielen aus Politik, Medien und Gesellschaft zieht Ulrich Wickert eine bedrückende Bilanz und gibt zugleich Orientierungshilfe.
Daraus stellen sich mir die Fragen: "Wohin führt ein Verlust der Werte? Wie macht er sich bereits heute bemerkbar, mit welchen Konsequenzen müssen wir rechnen und wie gelingt es uns, die Balance zwischen Gemeinnutz und Eigennutz wiederherzustellen?" Außerdem ergibt sich für mich daraufhin die These, dass sich das Verhalten in unserer und die Erwartungen der Menschen an unsere Gesellschaft durch den Wertewandel ständiger Veränderung unterliegen und neue Werte die alten Werte ersetzen. Ich möchte mich in dieser Arbeit mit den Theorien von Helmut Klages und Ronald Inglehart zum Wertewandel in den Sechziger Jahren auseinandersetzen und mich für den folgenden Zeitraum auf die Auswertung empirischer Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes beschränken. Bezüglich der weiteren Literatur der neuen Zeit möchte ich mich mit den Thesen von Ulrich Wickert und Peter Hahne beschäftigen, die sich für eine Rückkehr zu den Wurzeln und Werten unserer Gesellschaft einsetzen. Die vielfältige Literatur zum Wertwandel, welche nur zu geringem Teil auf empirischen Daten, sondern viel mehr auf Theorien und deren Beweisführung beruhen, setzt sich auch heute noch mit den Theorien von Inglehart und Klages auseinander. Erst zum Ende des 20. Jahrhunderts rückten empirische Untersuchungen in den Vordergrund und es gab seitdem eine politische Diskussion über den Zustand unserer Gesellschaft.
2. Begriffsklärung "Werte" Wertvorstellungen werden in der Geisteswissenschaft als Grundlage individuellen Handelns angesehen. Ohne gesellschaftliche Werte ist daher eine Handlung nur schwer vorstellbar - zumal diese das Miteinander in der Gesellschaft überhaupt erst regulieren. In der seit vielen Jahren geführten öffentlichen und wissenschaftlichen Wertediskussion scheint es innerhalb der Sozialwissenschaften nicht gelungen zu sein eine allgemeingültige Definition des Terminus "Wert" zu finden. Breiter Konsens besteht dagegen bezüglich der Minimaldefinition, nach der Werte diejenigen Zustände des gesellschaftlichen Lebens darstellen, die als erstrebenswert gelten. Normen hingegen sind Verhaltensweisen, die mehr oder weniger als verpflichtend gelten.
Als sozial gültige Werte und Normen werden dabei solche bezeichnet, welche die meisten Mitglieder einer Gesellschaft für erstrebenswert erachten und die allgemein als erlaubt, erwünscht oder in gewisser Weise als geboten gelten. Abweichende Ansichten sind solche, die bestimmte Minoritäten betreffen, aber nicht als gültig im Sinne einer allgemeingültigen Orientierungshilfe betrachtet werden. Was das Verhältnis von Werten gegenüber Einstellungen betrifft, so gehen einige Autoren davon aus, dass Einstellungen sich nicht eindeutig gegenüber Werthaltungen abgrenzen lassen. Einstellungen, Überzeugungen und Bewertungen beruhen auf Werten. Werte werden zu einem erheblichen Teil während der Sozialisation über Eltern und Schule vermittelt, sind kulturell und traditionell ausgeformt, sowie vielfach, z.B.
in der Verfassung oder dem Rechtswesen, institutionalisiert. Werte der bürgerlichen Revolution, wie Gleichberechtigung, Toleranz, Geistes- und Gewissensfreiheit, entstanden während der Aufklärung und bilden heute eine wichtige Grundlage der Demokratie und Verfassung in der Bundesrepublik Deutschland. Sie beruhen jedoch auch auf einer individuellen Wertefindung und Werteentwicklung, die z. B. auf persönliche Erfahrungen, Interessen und Neigungen oder auf Wissen und Denken aufbaut. 3.
Funktion von Werten in der Gesellschaft Regeln kompensieren Handlungsunsicherheiten der Menschen. Sie dienen der Entlastung von ständiger Neuentscheidung und liefern Orientierung. Werte sollen Sicherheit stiften, Unordnung reduzieren und helfen bei der Vermeidung bzw. Regelung von Interessenkonflikten. Werte dienen darüber hinaus als Selektionskriterien für Handlungsentscheidungen und als Beurteilungskriterien in den Fällen, in denen Regeln oder feste Normen keine oder keine eindeutige Orientierung liefern. Neben der Diskussion der Rolle der Sozialisationsinstanzen wie Elternhaus, Schule usw.
wird der entwicklungspsychologische Zusammenhang zwischen kognitiver und moralischer Entwicklung untersucht(PISA). So handeln Kinder im frühen Alter nicht ausschließlich sanktionsorientiert und auf die Regelkenntnis folgt nicht automatisch die Regelbefolgung. Zentrale Funktionen von Werten: · es existiert eine geringe Anzahl zentraler Werte, die das alltägliche Bewerten entsprechend sozialisierter Individuen bestimmen (Anpassungsfunktion) · die individuelle Wichtigkeitsbeurteilung dieser zentralen Werte bezeichnet man als Werthaltung (Funktion der Identitätswahrung) · abhängig von der individuellen Werthaltung werden bestimmte Regeln zur Bildung einer Erwartung aus gespeicherten Informationen herangezogen (Bewertungsfunktion) · abhängig von der individuellen Werthaltung wird die Abweichung von der Erwartung verschieden bewertet (Orientierungsfunktion) · abhängig von der individuellen Werthaltung wird eine Handlung ausgewählt, welche die Identität wahrt (Selbstdarstellungsfunktion) Diese hier aufgeführten Wertfunktionen haben ihre Gültigkeit jedoch nur im Austausch mit der persönlichen Umwelt. Sie werden dabei zur Richtschnur und Leitlinie an der die Menschen ihr Leben in der Gesellschaft orientieren (Opaschowski 1984). 4. Untersuchungen zum Wertewandel in den 60er Jahren Schon seit den 60er Jahren konnte man einen tief greifenden Wertewandel in den westlichen Demokratien und dementsprechend auch in Deutschland feststellen, der zum Gegenstand der soziologischen Forschung wurde.
Dieser Prozess wird von den einen als natürlicher Wandel sowie als Wertepluralisierung bezeichnet, von anderen jedoch als Werteverfall beklagt. Ohne Beurteilung, lässt er sich zumindest als Trend erfassen, der - in der Begrifflichkeit von Ronald Inglehart - von materialistischen zu postmaterialistischen Werten bzw. - im Sinne der Speyerer Wertforschung von Helmut Klages - von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten geht. 4.1 Ingleharts Theorie Inglehart verknüpft den Wertewandel seit den 60er Jahren mit der Bedeutungsminderung der materiellen Werte (materielle Sicherheit, Wohlstandsmehrung, Besitz, Besitzstandswahrung usw.).
Nachdem der Wohlstand und soziale Sicherheit für einen erheblichen Teil der Gesellschaft selbstverständlich geworden ist, orientiert sich dieser, d.h. vor allem die Jüngeren , die besser Gebildeten sowie die Besserverdienenden, an postmateriellen Werten (soziale Zugehörigkeit und Teilhabe, Anerkennung, Statusverbesserung, Selbstbestimmung). Auch die politische Partizipation, soziales Engagement für andere oder Hilfsbereitschaft z.B. gegenüber der Dritten Welt sind im Rahmen der Selbstaktualisierung höherrangige Bedürfnisse.
Dennoch wirken die von den Postmaterialisten vorangetriebenen gesellschaftlichen Veränderungen (z.B. Bedeutungsgewinn von Kultur, Betonung von Bildung oder politischer Mitwirkung) auf die Materialisten zurück - bei ihnen steigt das Bedürfnis nach sozialer Teilhabe ebenfalls. Für diese Theorie greift Inglehart auf die vom Psychologen Maslow entworfene Bedürfnispyramide zurück. Laut Maslow werden erst nach der Befriedigung niedrigerer Bedürfnisse - für Inglehart materielle - hierarchisch höhere Bedürfnisse - also postmaterielle - relevant. Den theoretischen Hintergrund von Ingleharts Untersuchungen bilden daraus resultierend die "Knappheits-" und die "Sozialisationshypothese": · Die Wertprioritäten eines Individuums hängen von seiner sozioökonomischen Lage ab; man gibt den Dingen den höchsten subjektiven Wert, die relativ knapp sind.
· Größtenteils spiegeln die grundlegenden Werte eines Menschen die Bedingungen wider, die während seiner Jugendzeit vorlagen. (Inglehart 1983, S.82) Kritik Six (1985) fasst die Kritik zu Ingleharts Theorie in fünf Punkten zusammen: (1) Die Ausgangshypothesen sind \"nur vage formuliert\", und die Anwendung der Bedürfnistheorie von Maslow auf \"intergenerative Sachverhalte\" ist problematisch. (2) Die Hypothesen sind \"partiell unvereinbar\", da die Annahme des Erlernens von stabilen Werthaltungen durch Sozialisationsprozesse mit der Annahme ihrer Abhängigkeit von der sozioökonomischen Lage im Widerspruch steht. (3) Die Zunahme postmaterialistischer Werte in der jüngeren Generation ist empirisch nicht eindeutig nachweisbar. (4) Ingleharts Wertliste ist thematisch zu eng.
(Es fehlen z.B. Werte aus dem familiären, religiösen und sexuellen Bereich.) (5) Datenreanalysen legen andere Interpretationen nahe. (Böltken &Jagodzinski 1983) Zusammenfassend möchte ich Bernd Schlöder dahingehend zustimmen, dass der Prozess von Inglehart zu eindimensional erfasst wurde, d.h.
zu wenige Wertebereiche beleuchtet wurden. Weiterhin betrachte ich es als erwähnenswert, dass in Untersuchungen festgestellt wurde, dass "zwischen 50 und 60% der nach dem Inglehart'schen Index bewerteten Fälle Mischtypen [zwischen Post- und Materialisten] darstellen." Inglehart hat seine Theorie nach zahlreicher Kritik 1989 noch einmal erweitert, jedoch hielt er daran fest, dass es einen ökonomisch bedingten kulturellen Wandel gab, der sich für den Einzelnen in einem generationsübergreifenden Wertewandel äußerte. 4.2 Klages' Theorie Klages hat vorgeschlagen konkrete Wertgruppen zu bilden, die primär zwischen den Polen Selbstzwang bzw. -kontrolle und Selbstentfaltung verortet werden können.
Die differenzierten Wertgruppen werden im Rahmen dieses Ansatzes wiederum in Subgruppen bezüglich ihrer gesellschaftlichen und individuellen Wirkungsgrade unterteilt. Vorteile, Nachteile und Besonderheiten die diese Wertgruppeneinteilung meiner Ansicht nach kennzeichnen sind, dass: -bei Pflicht- bzw. Akzeptanzwerten und Selbstentfaltungswerten sowohl ein ,,Wertgewinn\" als auch ein ,,Wertverlust\" stattfinden kann. -bei einem Wandel der Werte nur die Wertigkeiten der Felder variieren. -die Werttypen sich in der aktuellen Wertwandelsdiskussion wiederfinden. (Individualisten/ Hedonisten) -die Wertgruppen zeitlich sehr stabil sind.
-die Menschen/Gruppen/Kulturen den Feldern gut zugeordnet werden können. -die Wertorientierungen einer Person mehrere Felder betreffen können. -die handlungsleitenden Wertgruppen für das Individuum vorrangig relevant sind. -das Individuum gesellschaftlichen Anforderungen gegenüber gestellt werden kann. -die Zuordnungskriterien teilweise ungenau sind. ("Pünktlichkeit" kann auf individuelles Selbst/ Gesellschaft bezogen werden) -sie sich gut für eine empirische Untersuchung eignet.
Im Resultat ergeben sich aus den Wertgruppen für Klages vier potentielle Typen von Wertwandlungen. 5. Wertewandel (bis) heute 5.1 Wichtigkeit einzelner Lebensbereiche Die jüngste Befragung durch das Statistische Bundesamt hierzu fand im Spätherbst nach den Ereignissen des 11. September 2001 statt. Auffällig ist dabei eine Abnahme der Bedeutung der meisten abgefragten Lebensbereiche, während für den Lebensbereich "Glauben" eine beachtenswerte Zunahme feststellbar ist.
Durchgängig bestätigt sich jedoch die bekannte langjährige Dominanz der privaten Lebensbereiche Gesundheit, Familie sowie Liebe und Zuneigung bezüglich ihrer Wichtigkeit für die Befragten. Die Bedeutung des Lebensbereichs Freizeit hat 2001 in Ostdeutschland einen kräftigen Aufschwung erfahren. Der Bereich "Politischer Einfluss" wird als am wenigsten wichtig für das persönliche Leben eingeschätzt. Der in beiden Landesteilen beobachtbare Bedeutungsanstieg des "Glaubens" im Jahre 2001 und der Bedeutungsrückgang in den übrigen Lebensbereichen entgegen dem langjährigen Trend spricht für eine kurzfristige Verschiebung der Wertestruktur. Bei der Bewertung dessen dürfen, so glaube ich, die weltpolitischen Ereignisse zum Befragungszeitpunkt nicht unbeachtet bleiben. Insgesamt kann ein Wertewandel hin zu individualistischer Selbstverwirklichung für den Zeitraum der letzten zehn Jahre allenfalls in geringem Maße für das traditionell "materialistischere" Ostdeutschland (für die Bereiche Freizeit und politischer Einfluss) empirisch nachgewiesen werden.
5.2 Vorstellungen von einer lebenswerten Gesellschaft Betrachtet man die einzelnen Werte nach den verschiedenen Bevölkerungsgruppen wird deutlich, dass die Ostdeutschen in ihren Bewertungen am stärksten polarisieren. Sie finden sowohl materialistische Werte wie Fleiß und Leistung, Verantwortung, Regelbefolgung und Wohlstand als auch postmaterialistische Werte wie kritisches Selbstbewusstsein und Selbstverwirklichung wichtiger als Westdeutsche. Eine Gesellschaft, in der die Menschen tun und lassen können, was sie wollen, wird von den Ostdeutschen stärker abgelehnt. Die geringe Zustimmung der Ostdeutschen zur Religiosität kann meiner Meinung nach auf ihre jahrzehntelange autoritäre und atheistische staatliche Sozialisation zurückgeführt werden. In der Tabelle zeigt sich allgemein, dass die Bürger in Deutschland eine Gesellschaft, die Wert auf gegenseitige Verantwortung legt, mit einem Mittelwert von 8,5 am höchsten bewerten, eine Laissez-faire-Gesellschaft dagegen mit 3,7 am niedrigsten.
Eine veränderte Medienlandschaft, mit den seit den Siebziger Jahren am Markt arbeitenden Privaten Sendern, suggeriert der jungen Generation nach meiner Ansicht eine Alltäglichkeit von Luxus, die einfache wirtschaftliche Verhältnisse als Mangelsituation erscheinen lässt und so der Bedeutung von materialistischen Werten, hier in der hohen Bedeutung von Wohlstand und wirtschaftlicher Sicherheit widergespiegelt, zu einer Renaissance verhilft. Das Ergebnis ist eine Generation, deren Vertreter sich selbst und andere zusehends über Äußerlichkeiten definieren. So finde ich, dass für viele oft nur derjenige "etwas wert" ist, der die "richtigen" Klamotten trägt. 5.3 Tolerierung von Verhaltensweisen Die Vergewaltigung in der Ehe ist das am stärksten verurteilte Verhalten. Der Anteil der Befragten, die das "sehr/ ziemlich schlimm" finden, nahm von 94 % im Jahre 2000 auf 97% im Jahre 2002 sogar zu.
Homosexualität wird als am wenigsten schlimm empfunden, dennoch verurteilen einige Deutsche homosexuelles Verhalten, obwohl dies nicht (mehr) strafbar ist. Ärztliche Sterbehilfe folgt gleich danach in der Reihenfolge der am wenigsten »schlimmen« Verhaltensweisen. Schwarzfahren wird immerhin von der Hälfte der Bevölkerung verurteilt, aber wie die Ärztliche Sterbehilfe, der Schwangerschaftsabbruch, Steuerbetrug und Haschischkonsum mit abnehmender Tendenz. Unverändert lehnen 82 % der deutschen Bevölkerung Gewalt gegen Kinder ab. Der Zeitvergleich vermittelt den Eindruck einer insgesamt zunehmenden Toleranz gegenüber »kritischen« Verhaltensweisen und ist eine Bestätigung des allgemeinen Trends einer zunehmenden Liberalisierung und Individualisierung moderner Gesellschaften. 5.
4 Single-Haushalte In der aktuellen Individualisierungsdebatte wird vor allem die allgemeine Zunahme von Single-Haushalten als Indikator einer wachsenden Individualisierung angesehen. Laut Christian Duncker ist die hohe Zahl an Einpersonenhaushalten lediglich dem steigenden Altersdurchschnitt und der steigenden Verwitwung zuzuschreiben. Vor der Individualisierung allerdings wohnten ältere Menschen oft bei ihren Verwandten oder Nachkommen. Die Verwitwung, die es auch schon früher gab, widerspricht dem nicht. Diese unbelegte These von Christian Duncker zum Beleg der Individualisierung schätze ich demzufolge als ungerechtfertigt ein. Setzt man die Bevölkerungs- und Wohneinheitenzunahme zwischen 1980 und 1993 miteinander in Relation, so zeigt sich, dass die Menge der Privathaushalte proportional stärker zugenommen hat als die der ,,allgemeinen\" Population.
Per Saldo leben somit immer weniger Personen in einer Wohneinheit. Diese Feststellung unterstützt nach meinem Empfinden die Individualisierungshypothese, der zufolge immer weniger Menschen miteinander leben. Unter 35-Jährige, allein lebende, Menschen sind überwiegend Personen, die sich aufgrund steigender Qualifikationsanforderungen größtenteils noch in der Ausbildung bzw. in der beruflichen Etablierungsphase befinden. Bereits in früheren Generationen wurde eine verbindliche Lebensgemeinschaft (damals überwiegend die Ehe) erst zu dem Zeitpunkt gegründet, wo zumindest die Ausbildung abgeschlossen und eine gewisse Statussicherheit erreicht war. Diese These lässt sich gewissermaßen auch anhand des durchschnittlichen Heiratsalters belegen.
Dieses ist heute höher als in den Jahrzehnten zuvor: 1994 lag es bei Männern um 32,8 Jahre und bei Frauen um 30 Jahre (StBa 1996, S.72) - ein historischer Höchststand. Wie in den Statistiken ersichtlich, nahm die Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte seit 1950 und auch in den letzten Jahren weiter zu, die Zahl der Haushalte mit mehr Personen aber stetig ab. Daher unterstützt die Herauszögerung des Ausbildungsabschlusses meiner Meinung nach, im Gegensatz zu Christian Dunckers Ansicht, die Individualisierung. 6. Fazit und Ausblick Lebten die Menschen früher längere Zeit in ihren Familien und wurden später bei Bedarf auch dort gepflegt, stellt sich uns heute die Frage, wer diese Menschen, bei steigendem Durchschnittsalter unserer Bevölkerung und sinkender Geburtenrate, in Zukunft pflegen soll.
Die Zunahme von Single-Haushalten und die damit verbundene Individualisierung unserer Gesellschaft ist auch unter jüngeren, in der Ausbildung befindlichen, Erwachsenen verbreitet. Wodurch sich für sie die Bedeutung ihrer Mitmenschen gegenüber früheren Generationen ändert. Im Widerspruch dazu, ist die Bedeutung der Lebensbereiche Liebe und Zuneigung, Schutz und Familie in unserer Gesellschaft, obwohl sinkend, immer noch sehr hoch. Werte gingen in den letzten Jahren also nicht verloren, sondern unterliegen einem ständigen Wandel und das müssen sie auch, denn sonst wäre zum Beispiel die Sklaverei auch heute noch allgemein akzeptiert. Die in der Verfassung unseres Landes verankerten Grundwerte müssen meiner Ansicht nach aber bewahrt werden, damit unser demokratischer Rechtsstaat auf Dauer erhalten bleibt. Dass nur die Gemeinschaft die Grundlage für Freiheit und Gleichheit bietet muss den Menschen wieder klar werden.
Gefragt ist also eine Stärkung des Gemeinsinns aller gesellschaftlichen Gruppen. Wie von Klages und Inglehart gezeigt fand zum Beispiel in den 60er Jahren lediglich eine Bedeutungsverschiebung bei den Erziehungswerten von den Pflicht- und Akzeptanzwerten zu den Selbstverwirklichungswerten statt. Inglehart und Klages haben sich als Erste tiefgründig mit dem Wandel der Werte auseinandergesetzt und ihre Thesen im Laufe der Zeit präzisiert. Auch gerade wenn Ingleharts Thesen sehr in der Kritik standen, haben sie doch eine breite Diskussion über die Werteentwicklung unserer Gesellschaft ausgelöst. Ohne Inglehart hätte Klages diese Theorie sicher nicht aufgegriffen und eigene Theorien hervorgebracht. Der Autor Peter Hahne versucht dazu den Lösungsansatz anzubieten, sich auf die christliche Werttraditionen zurück zu besinnen, um die Wichtigkeit der oben genannten Lebensbereiche für das eigene Leben in unserer, im Christentum verwurzelten, Gemeinschaft wieder zu erkennen.
Wie ein Baum mit festen Wurzeln den Stürmen der Zeit trotzt, so trotzen auch Menschen mit festen Werten den Schwierigkeiten des Lebens besser. Gerade jetzt in den Zeiten wo auch in Sachsen-Anhalt Lehrstellenknappheit herrscht und eine Diskussion um den Abbau des Sozialstaates stattfindet, führt dies in der jungen Generation zu tiefer Verunsicherung bezüglich ihrer Rolle in der Zukunft unseres Landes. Wie in meiner Arbeit zu erkennen war, dient der Glaube als wichtiger werdender Lebensbereich in unserer Gesellschaft bereits wieder verstärkt der Orientierung für die Jugend. Die abnehmende Verurteilung illegitimer Verhaltensweisen wie Drogenkonsum oder Schwarzfahren sprechen, wie auch von Peter Hahne und Ulrich Wickert behauptet, für eine Liberalisierung unserer Gesellschaft. Einerseits halten sich viele Bürger nicht an die Gesetze und beteiligen sich nicht politisch an der Willensbildung, weil ihre privaten Interessen überwiegen. Andererseits fordern sie vom Staat Schutz und Unterstützung und verlangen von "anderen" sich an geltende Regeln zu halten.
Ich muss Christian Duncker daher in dem Punkt zustimmen, dass der Wandel der Priorität von Werten in unserer Gesellschaft gleichzeitig das Verhalten, wie auch Erwartungen der deutschen Bevölkerung beeinflusst, wenn diese auch teilweise im Widerspruch zueinander stehen. Daher finde ich, dass der Satz des ehemaligen amerikanischen Präsidenten J.F. Kennedy auch für uns in Deutschland wieder zur Handlungsmaxime werden sollte: \"And so, my fellow Americans: ask not what your country can do for you - ask what you can do for your country. My fellow citizens of the world: ask not what America will do for you, but what together we can do for the freedom of man.\"
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