"Ja, auch ich bin einmal ein einfaches, braves Mädchen gewesen. Jung und unerfahren bin ich gewesen, als ich meine Stellung als Zimmermädchen bei Sir B. antrat. Ich bin ja frisch vom Land gekommen. Woher hätte ich wissen sollen, wie die Geschichte ausgeht? Meiner Mutter mußte ich nur versprechen, brav zu bleiben und meiner Herrschaft alles recht zu machen. Und bei meiner Seele, das habe ich immer getan! Als dann der junge gekommen ist und mir schön getan hat, hab´ ich ihm geglaubt, als er mir gesagt hat, ich gefalle ihm so gut und er werde sich um mich kümmern. Erst als es zu spät war, als man es schon sehen konnte, da hat man nicht gezögert mich hinauszuwerfen. Und mit was für schlimmen Worten! Ich sei ein ganz liederliches Frauenzimmer - unehrenhaft, verdorben! Ich hätte ihren Sohn verführt! Und nicht einen Penny würden ich und mein Balg erhalten! In meiner Not bin ich zu der Adresse gegangen, die mir die Köchin zugeschickt hat. Alle waren nett zu mir und meine Ehre hatte ich ja doch schon verloren. Wer will so eine wie mich noch haben? Immerhin verdiente ich nicht schlecht und konnte für mein Kind sorgen..."
Hunderte ähnliche Geschichten hatte Josephine Butler (1828-1906) schon gehört und sie überließ das Mädchen ihren mitfühlenden Gefährtinnen der "Ladies National Association". In der festgefügten männlichen Vorstellungswelt gab es eben nur Engel und gefallene Engel, Madonnen und Magdalenen. Auch die meisten Frauen sahen in der Prostituierten nur die "in Schande geratene andere". Die Vorstellung, diese Frauen seien Opfer des männlichen Lasters und Gefangene ihrer Situation, paßte nicht in ihr Weltbild. Josephines Ziel war es nun eine generelle Unterbindung außerehelicher Beziehungen zu erreichen: Wenn sich die Ehepartner treu waren und man sich auf die Tugend der Selbstbeherrschung und Enthaltsamkeit besann, dann würde Prostitution überflüssig und die Frauen aus dem Milieu konnten "reformiert" werden. Doch durch die Regelung der Prostitution wurde sie praktisch legalisiert und als notwendiges Übel angesehen. Dies brachte Josephine Butler dazu gemeinsam mit Ärzten den Kampf aufzunehmen. Von 1870 bis 1879 wurden 9667 Petitionen mit über zwei Millionen Unterschriften, welche die Aufhebung der Gesetze forderten, im Parlament eingereicht. Doch Josephine wurde nun als "Feministin mit widernatürlicher Neigung zu Öffentlichkeit". Die Bewegung war dadurch aber nicht aufzuhalten. Überall im Land stürmten plötzlich Frauen aus dem Mittelstand öffentliche Tribünen und ließen sich mit deutlichen Worten über die "Sklaverei männlicher Lust" aus. Josephine selbst hatte rasch den Zusammenhang zwischen geringen Löhnen und ungenügenden Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie und dem Abdriften anfälliger Frauen in das "bestbezahlte" Gewerbe hergestellt. Josephine wollte die Frauen zu ehrbaren Arbeiten zurückführen und vertraute auf soziale Rettungsarbeit statt auf staatliche Maßnahmen, und Arbeit wartete noch genug. Außerdem glaubte sie, wenn eine Frau wirklich ihren Körper auf der Straße verkaufen wolle, dass sie dann das Recht habe, dies ohne polizeiliche Ein- und Übergriffe zu tun. Josephine war sich der Widersprüche ihrer Theorien bewußt, doch sie hielt daran fest: das Lebensglück tausender Frauen, Prostituierter wie betrogener Ehefrauen, war den Kampf wert!
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