Seit Bismarck 1884 damit begann, deutsche Handelsstützpunkte unter deutschen Schutz zu stellen, stieg die Fläche des Deutschen Reiches durch eben diesen Kolonialbesitz rapide an. Zu Spitzenzeiten (z.B. vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges) betrug die Fläche der deutschen Schutzgebiete in etwa das 8fache der Fläche des Mutterlandes, dies entspricht einer Größe von 2.962.882 km². Wenn man sich jedoch die Bevölkerungszahlen ansieht, stellt man fest, dass die meisten Menschen des Deutschen Reiches im Mutterland lebten, nämlich 82%. Insofern ist ein Ziel der Kolonisation nicht erreicht worden, nämlich der "Abfluss" überschüssiger Bevölkerungsmassen in die deutschen Schutzgebiete. Dies mag mit Sicherheit an den klimatischen Gegebenheiten der entsprechenden Ländereien gelegen haben. Das größte deutsche Schutzgebiet, Deutsch-Ostafrika, liegt genauso im Bereich der Tropen wie das heutige Kamerun und Togo. Die schwierigen Witterungsverhältnisse sowie die völlig andere Ansprüche stellende Bodenbearbeitung hielten viele Ausreisewillige davon ab, in diese Gebiete auszuwandern. Das gleiche gilt für die Inseln im Pazifik (z. B. Marshall-Inseln). Der einzige deutsche Kolonialbesitz, der nicht in den Tropen lag, nämlich Deutsch-Südwestafrika, war zwar für Europäer klimatisch besser zu ertragen.
7 Vgl. Brückmann, Asmut : Die europäische Expansion, Klett Verlag, 1993, S. 65-66
Jedoch gab es nur sehr wenig Holzbestände, die für Bauvorhaben genutzt werden konnten, und zudem einen Mangel an Wasser zur Bewässerung der Felder. Im Allgemeinen hatten die meisten Ausreisewilligen auch Befürchtungen, an tropischen Krankheiten zu erkranken.
Von Standpunkt des Bevölkerungsabflusses also war die Inbesitznahme ein Misserfolg.
Auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus erfüllten die Kolonien bei weitem nicht die erhofften ökonomischen Zielsetzungen. Im Vergleich zum Handelsvolumen in andere Länder in Europa und Amerika waren die Zahlen für die Kolonien enttäuschend, nur ein Bruchteil des deutschen Exports ging in die Schutzgebiete. Im Zeitraum 1910-13 hatte der Export dorthin nur einen Anteil von 0,6% am Gesamtexport! Auch der erhoffte Import von billigen Rohstoffen bzw. Edelmetallen war so gut wie nicht zu merken. Die erhofften Bodenschätze (Kupfer, Gold, Silber) ließen sich nirgends finden. So musste sich das Deutsche Reich an den Handelsgesellschaften beteiligen, wollte man vermeiden, dass diese in Konkurs gingen. Lediglich Togo war in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. Bei allen anderen Besitzungen überstiegen die Ausgaben die Einnahmen um ein Vielfaches. Grund dafür ist beispielsweise die Organisation und Verwaltung der einzelnen Kolonien. Die dafür benötigten Beamten mussten genauso entlohnt werden, wie die Schutztruppen, die entsandt werden mussten, um die immer wieder vorkommenden Aufstände der einheimischen Bevölkerung niederzuschlagen und so die deutsche Herrschaft in den Kolonien zu sichern. Neben dem Sold waren auch noch große Logistik- und Ausrüstungskosten zu verzeichnen. Die Schutzgebiete waren also bis auf Togo eine einzige Kostenquelle und konnten daher auch nicht zu einer Konjunkturbelebung in dem erhofften Maße beitragen. Insofern ist auch die Prophezeihung, die Industrie Deutschlands könne nur durch Kolonien sichere Absatzmärkte finden, nicht eingetreten. Dass es im Mutterland nicht zu einer von den Arbeitern geführten Revolution gekommen ist, kann also nicht durch die Kolonisierung erklärt werden, sondern scheint mehr an der fortschrittlichen Sozialgesetzgebung Bismarcks zu liegen. Der einzige Aspekt, der der Kolonisation in diesem Sinne zugesprochen werden kann, ist die Stärkung des deutschen Nationalstolzes durch die Herrschaft über die Völker in den Schutzgebieten.
Außenpolitisch manövrierte sich das Deutsche Reich in eine schlechte Position den anderen Kolonialmächten gegenüber. Die Franzosen fühlten sich und ihre Kolonien in Afrika bedroht durch die deutschen Schutzgebiete. Aber ganz besonders die Beziehungen zu England litten unter den deutschen Inbesitznahmen in Afrika, da der Seeweg nach Indien um Afrika herumlief und die britischen Schiffe an der Küste Deutsch-Ostafrikas entlang fahren mussten. Diese abgekühlte außenpolitische Beziehung zu England entspannte sich erst mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag, in dem England Sansibar von Deutschland erhielt, dafür aber Helgoland an das Reich abtreten musste.
Insofern kann man konstatieren, dass sich das imperialistische Engagement der deutschen Regierung und damit auch Bismarcks nur in Haushaltslöchern und außenpolitischen Spannungen, jedoch nicht in einer wirksamen und lohnenden Außenhandelsoffensive wiederspiegelte; von den misslungenen Versuchen, deutsche Siedler in die Kolonien zu locken, einmal ganz abgesehen.
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