Natürliche Mumifizierungen
Der menschliche Körper zerfällt unter "normalen Bedingungen" in einem Zeitraum von 20 bis 25 Jahren vollständig durch Verwesung. Diese biologische Zersetzung wird durch Bakterien hervorgerufen, die sich im Wasser des Körpers (70% Anteil) ausbreiten. Durch bestimmte klimatische Gegebenheiten oder Extrema ist es jedoch möglich, dass er relativ bzw. gut erhalten bleibt.
Sandmumien
Eine dieser extremen klimatischen Vor¬raussetzung für eine natürliche Mumifizie¬rung kann Isolation und Hitze durch Wüs¬tensand sein. Er bildet eine erstklassige Vorraussetzung für die Konservierung. Die Haut des Leichnams wird dabei getrocknet und ledrig, die Muskulatur erhärtet und die Haare bleiben in ihrer ursprünglichen Farbe gut erhalten. Diese Methode wurde bereits künst¬lich um 2.500 v. Chr. von den Ägyptern angewandt bevor sie verschiedenste Mu¬mifiziertechniken entwickelten. Besonders die hierarchisch untere Schicht von Bauern verwendete diese Methode, um ihre Ver¬storbenen ins Jenseits zu führen. Dabei wurde der Leichnam in eine flache, ovale Grube hockend in den Wüstensand gesetzt, sein Kopf in Richtung Süden, und mit dem Gesicht nach Westen, zur untergehenden Sonne. Danach legten sie Grabbeigaben in die Grube und schlossen diese mit Sand. Diese Grabbeigaben lassen uns sehr leicht den gesellschaftlichen Status der Person erkennen.
Eismumien
Kälte konserviert äußerst gut über lange Zeiträume. Während bei der Trocknung dem Körper das Wasser entzogen und den zersetzenden Bakterien damit die Lebensgrundlage genommen wird, verlangsamt starke Kühlung die biologischen Prozesse so sehr, dass praktisch keine Zersetzung mehr Stattfindet.
Ein gutes Beispiel ist neben dem bekannten "Ötzi" das Mädchen aus den Anden "Juanita", ein Mädchen, das vor etwa 500 Jahre den Göttern der Inka geopfert wurde. Ihre Haut, inneren Organe, Haar, Blut und sogar ihr Mageninhalt sind nahezu unversehrt geblieben. Und dieser Umstand lässt verschiedene Einblicke in diese präkolumbianische Kultur zu. Ihre Herkunft wurde mit Hilfe einer DNS-Analyse bestimmt, und ihr Magen konnte Aufschlüsse über ihre Lebens- und Essgewohnheiten geben. So gelang es den Wissenschaftlern, ihr Schicksal zu rekonstruieren. Das Mädchen wurde vermutlich "Apu Ampato" (Gott Ampato) auf dem Gipfel des gleichnamigen Vulkans in den Anden geopfert, um seinen Zorn zu besänftigen und ihn gütig zu stimmen. Er sollte den Bewohnern der Region Wohlstand, Gesundheit und Glück bereiten. So starb die 14 jährige durch einen präzisen Knüppelschlag gegen die rechte Schläfe. Ihre Kleidung konnte Aufschluss über ihren gesellschaftlichen Staus geben, so war sie wahrscheinlich einer reichen Familie angehörig.
Abb. 1.: Die sehr gut erhaltene Mumie vom Juanita. Moormumien
Die meisten archäologischen Funde von Leichen aus Mooren in Nord-, West und Mitteleuropa stammen aus der Eisenzeit (etwa 700 v. Chr. bis zur Zeitenwende). Diese Mumien sind durch ihre luftabgeschlossene Lagerung und die chemische Konservierung, die das Moor ermöglicht, gut erhalten. So können auch hier Aussehen, also Kleidung und Haare rekonstruiert und Schlüsse daraus gezogen werden. So ermöglicht besonders diese so genannte "Moor-Archäologie" uns ein genaueres, besseres Bild des Menschen der Eisenzeit zu geben. Viele der Moorleichen waren wahrscheinlich in ihrem irdischen Dasein von hohem gesellschaftlichem Rang. So hatten sie gepflegte Hände, wurden zurecht gemacht und entkleidet, ehe sie im Moor begraben wurden. Modernste Untersuchungsmethoden liefern jedoch nicht nur Erkenntnisse über die körperliche Beschaffenheit, sondern auch über Krankheiten oder Verletzungen, die jene Person in ihrem Leben durchlitten hat. Auch hier geben wieder Magenproben Aufschluss über die Lebensgewohnheiten des Toten. Bisher hat man über 700 Moorleichen gefunden. Einige davon wurden bestattet, hingerichtet, geopfert oder sind einfach nur aus Versehen in ihr Unglück geraten.
Abb. 2.: Die "Nederfrederiksmose" Moorleiche wurde 1898 gefunden und als erste ihrer Art an Ort und Stelle noch fotografiert. Jetzt befindet sie sich im Nationalmuseum von Dänemark, Kopenhagen.
Künstliche Mumifizierungen
Ägypten
Bei den Ägyptern war die Mumifizierung keine einfache handwerkliche Tätigkeit, sondern ein vielfältiges religiöses Ritual und somit gleichsam ein Theaterspiel, in diesem sowohl die Priester, als auch der Tote die Rollen von Göttern einnahmen. Die heutigen Kenntnisse über den Ablauf dieses Rituals wurden einerseits aus eigenen Untersuchungen und Versuchen, andererseits durch die Beschreibungen Herodots erlangt.
Die Mumifizierung durchlebte ver¬schiedene Stadien von unterschied¬lichster Länge und Aufwand, begin¬nend beim Waschen des Leichnams mit einer Natronlösung und Palmwein. Da¬nach musste das Gehirn entfernt wer¬den. Dazu waren die mehrere Haken¬werkzeuge nötig um vorerst die vorde¬ren Knochenplatten zu durchstoßen und dann nach Verflüssigen des Gehirns dasselbe mit einem Gemisch aus Pflan¬zenölen herauszuziehen oder heraus¬tropfen zu lassen. Nun wurde der Körper mit trockenem Natron überschüttet, damit diesem ein Großteil der Flüssigkeit innerhalb dem Zeitraum von 40 Tagen entzogen wurde. Das Ergebnis war ein bereits dünnerer Leichnam. Deswegen begann man nun damit, ihn einzubalsamieren und so die Elastizität der Haut wiederzugewinnen. Der nächste Schritt beschäf¬tigte sich mit der Entnahme und Konservierung der Eingeweide, welche teils in Leinentüchern geschützt in bestimmten Gefäßen wahlweise aus Ton, Stein oder Alabaster aufbewahrt wurden. Diese sogenannten "Kanopen" besaßen die Form der vier Schutz¬götter. Sie hatten die Aufgabe, die inneren Organe zu beschützen und den Toten vor Hunger und Durst zu bewahren. Das Herz und die Nieren wurden dabei nicht entnommen, dem Herzen jedoch meist ein geflügelter Skarabäus beigelegt. Der Brust- und Bauchraum wurde nun mit den verschiedensten Gegenständen aufgefüllt, unter anderen Leinenpäckchen, Natronbeutel oder Sägespäne, wie auch einige Gewürze und Kräuter, nicht nur zum Wohlgeruch des Leich¬nams, sondern auch, um das Zusammenfallen der Körperhöhle zu verhindern. Auch die Nasenhöhle musste mit z.B. salböl¬getränkten Leinenbinden oder Pfefferkörnern (Ramses II), die Augenhöhlen meist mit bemalten Steinen oder Küchenzwiebeln verschlossen werden. Der Schnitt im Bauch zur vorangegangenen Entnahme der Eingeweide wurde nun entweder durch Zunähen oder einer Wachs- oder Gold¬platte in Form des Auges des Horus verdeckt. Die letzte Station der Mumifizierung war das Umhüllen des Mumienkörpers mit salböl¬getränkten Leinen. Hier musste besonders auf deren Feuchtigkeitsdosierung geachtet werden, um die optimale Konservierung zu erreichen. Eingewickelt wurde der gesamte Körper entweder in mehreren Schichten, oder bei wichtigen Persönlichkeiten zuerst die einzelnen Gliedmaßen und erst danach der gesamte Körper. Dabei gab man heilige Gegenstände wie das "Anch" (Ägyptisches Lebenszeichen), Papyri mit Ratschlägen für das Jenseits, das Totenbuch oder Schmuck hinzu, wickelte sie meist lose mit ein. Die fertige Mumie wurde anschließend in mehreren Särgen und eventuell mehreren Sarkophagen aus unterschiedlichen Materialien aufbewahrt. Der einzige Unversehrte ist der des Tut-Anch-Amuns.
Südamerika
Im Gegensatz zur allgemein vorherrschenden Meinung stammen die ältesten Mumien nicht aus Ägypten. Bereits 5.000 v. Chr. mumifizierten die Kultur der "Chinchorro", angesiedelt zwischen dem heutigen Chile und Peru, ihre Toten. Damit entwickelten sie rund 2.000 Jahre vor den Ägyptern Techniken, um die Verstorbenen der Nachwelt zu erhalten, und dies ohne jegliche Jenseitsvorstellungen. Die meisten südamerikanischen Mumien wurden in den Küstengebieten Perus und Chiles gefunden, welche zu den trockensten Regionen der Erde zählen. Neben den Chinchorro-Mumien wurden dort beispiels¬weise auch mumifizierte Leichname der Kultur der "Moche" und "Paracas" entdeckt, teils natürlich mumifizierte.
Politische Mumien
Der Brauch, verstorbene Herrscher fortleben zu lassen, um so ihre einstige Macht zu übernehmen, ist keine Besonderheit des Altertums. Zwei Beispiele für "moderne" Mumien sind Wladimir Iljitsch Lenin und Evita Peron. So ließ Stalin, der Nachfolger Lenins, ihn nach seinem Tod 1924 gegen den Willen seiner Familie und des Politbüros konservieren. Der Leichnam wurde einen Monat lang in der Handelskammer in einem offenen Sarg aufbewahrt, um dann nach Entfernung des Gehirns seine Adern mit einem Gemisch aus Alkohol, Chlorsalz und Glyzerin zu füllen. Diese desinfizierende Frostschutzmischung erwies sich zusammen mit der niedrigen Temperatur als ausgezeichnetes Konservierungsmittel. Danach entnahmen die Beauftragten die inneren Organe, stopften den Leichnam aus, schlossen den Körper wieder und tauchten ihn in ein Bad aus Glyzerin, Kaliumazetat, Alkohol und Chlorid. Der Körper Lenins ist im Mausoleum am Roten Platz aufbewahrt, in diesem bis heute mehrere Balsamierungen pro Woche stattfinden. Alle 18 Monate gibt es eine zusätzliche genauere Inspektion.
Tiermumifizierungen
Die Kunst der Mumifizierung wandten die Ägypter nicht nur bei Menschen an, sondern auch in fast gleichem Ausmaß bei Tieren. Hierzu gab es Gründe wie der Tod des Haustieres oder auch Gründe religiöser Natur, da einige Tierarten Götter darstellten. Sie enthielten als Mumien teilweise sogar einen eigenen Sarg, Totenstele oder wurden zu Tausenden in eigenen Tempelanlagen zusammen mit mehreren Gattungen aufbewahrt. Eine der wichtigsten Gattungen ist die der heiligen Apis-Stiere. Sie bekamen in einer unterirdischen Gallerie, des Serapaeum von Saqqara, ihre eigenen tonnenschweren Sarkophage aus Granit. Das Einbalsamierungsverfahren war ähnlich dem der Menschen. So fand man in Saqqara eigene Anlagen zur Einbalsamierung von diesen Stieren. Es gab eigene Priester für diese Aufgabe. Und wie die Mumien der Könige waren auch die der Apis überhäuft mit Schmuckstücken und heiligen Amuletten. Doch im Serapaeum liegen auch noch andere Tierarten wie Falken, Katzen, Hunde, Skarabäen und ca. vier Millionen Ibisse. Die Liste überstreckt sich über mindestens 30 Gattungen.
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