In den von der SS geleiteten Konzentrationslagern wurden unvorstellbare und unmenschliche Grausamkeiten begangen. Die Frage ist, aus welchen Gründen kann ein Mensch zu solchen Taten fähig sein. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsmuster.
Die erste Erklärung ist der äußere Druck. Die Täter wurden gezwungen und handelten aus Angst vor Strafe.
Die zweite Erklärung sieht in den Tätern Menschen, die von blindem Gehorsam beherrscht waren, zurückzuführen auf Hitlers Charisma, eine allgemein menschliche Tendenz zum Gehorsam, eine besondere Neigung zur Autoritätshörigkeit und schließlich die Zerstörung des individuellen moralischen Empfindens durch eine totalitäre Gesellschaft, verbunden mit der Abrichtung darauf, alle übertragenen Befehle als notwendig anzusehen.
Der dritte Erklärungsversuch bezieht sich auf den Gruppenzwang. Der Druck der Kameraden und die in einen gesetzten Erwartungen sollen die Täter zu ihren Handlungen gezwungen haben. Es sei für den Einzelnen außerordentlich schwierig gewesen, dem Konformitätsdruck zu widerstehen.
Die vierte Deutung sieht in den Vollstreckern geduckte Bürokraten oder seelenlose Technokraten, die nur ihre Haut retten wollten, oder ihre technokratischen Ziele und Aufgaben verfolgten, wobei ihnen die Opfer gleichgültig waren.
Das fünfte Interpretationsmuster betont die Fragmentierung der Aufgaben, welche dazu geführt habe, dass der Einzelne nicht erkennen konnte, dass seine Arbeit ein Teil eines großen Vernichtungsprogramms war. Selbst wenn sie diesen Zusammenhang erkannten, habe man ihnen mit der Arbeitsteilung ermöglicht, die Bedeutung ihrer Mitwirkung zu leugnen und die Verantwortung anderen zuzuschieben. Diese Deutungsmuster entstanden in der Nachkriegsliteratur. Als Kontrast hierzu hat Daniel Jonah Goldhagen in seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker" folgenden Erklärungsversuch hinzugefügt, nachdem er die bisher bestehenden angezweifelt hat.
Die ganz "normalen Deutschen" waren durch eine Art Antisemitismus motiviert, die sie zu dem Schluss kommen ließ, dass die Juden sterben sollten. Die Überzeugung der Täter, ihr spezifischer Antisemitismus, waren zwar offensichtlich nicht die einzige, aber doch eine entscheidende Ursache ihres Handelns. Die Täter, die sich an ihren eigenen Überzeugungen und moralischen Vorstellungen orientierten, haben die Massenvernichtung der Juden für gerechtfertigt gehalten, sie wollten nicht nein dazu sagen.
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