Die Verfassung des Kaiserreiches von 1871
1.) - regelt nur die Organisation des Reiches (keinen Grundrechtskatalog)
- Verfassungswerk Ergebnis von Verhandlungen souveräner Fürsten
- bundesstaatliche Struktur, Übertragung der Macht ans Reich
2.) - König von Preußen automatisch Deutscher Kaiser mit umfassenden Rechten
- Reichskanzler führt die Politik des Reiches, vom Kaiser ernannt und nur ihm verantwortlich (ohne Mitwirkung des Parlaments)
- In Vertretung des Kaisers im Bundesrat Vorsitz
- Bundesrat: Vertreter der Regierungen der 25 Staaten --- Fürstensouveränität
3.) - Reichstag besaß das Budgetrecht, Gesetzesmitwirkung in Übereinstimmung mit dem Bundesrat.
Die machtstaatliche Einigung Deutschlands unter Führung Preußens
Zehn Jahre nach der Revolution von 1848 keimte bei dem liberal und national gesinnten Bürgertum wieder Hoffnung auf, als König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1857 zu Gunsten seines Bruders abdankte.
Prinz Wilhelm berief ein liberal-konservatives Ministerium, was aber mit dem Heeres- und Verfassungskonflikt ein schnelles Ende fand.
Der König, das Herrenhaus aus Vertretern des Adels und die liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses waren sich zunächst einig, die preußische Armee zu erhöhen. Das machtpolitische Gleichgewicht sollte so wiederhergestellt werden, daß sich in den vergangenen Jahrzehnten zugunsten Österreichs und Frankreichs verschoben hatte.
Vor allem gegenüber der Habsburger Monarchie wollte man nicht an Boden verlieren !
Der Kriegsminister Roon brachte im Februar 1860 eine Militärvorlage ins Abgeordnetenhaus ein, die aber dort auf Widerstand der Abgeordneten stieß. Letztendlich ging es um das Mitspracherecht der Volksvertretung in Militärangelegenheiten. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass alle Armee-Entscheidungen in der Gewalt des Königs lägen.
Es weitete sich zu einem Verfassungskonflikt aus, als das Abgeordnetenhaus auf sein Budgetrecht pochte und erstmals eine Auflistung des Wehretats verlangte.
Verzichtete der König nun auf die Vorlage, so war dies gleichbedeutend mit einer Parlamentarisierung der Regierung. Die Kontrolle durch das Parlament betrachtete er als Entmachtung der Krone. In dieser Situation ernannte Wilhelm auf Anraten Roons Otto von Bismarck am 23. September 1862 zum Ministerpräsidenten.
Otto von Bismarck
Bismarck zählte zu den Vertretern einer königstreuen und gegenrevolutionären Politik.
Er wollte die Vormachtstellung Preußens in Deutschland. Dazu brauchte er ein schlagkräftiges Heer und mußte den Heeres- und Verfassungskonflikt zugunsten des Königs entscheiden.
In der preuß. Verfassung war festgelegt, daß nur bei Übereinstimmung zwischen König und den beiden Kammern ein Gesetz zustande kommen konnte; für den Falle einer Kontroverse gab es keinen ausdrücklichen Hinweis !
Bismarck sah die Heeresreform im Interesse des Staates für notwendig an und müsse deshalb ohne Finanzbewilligung des Parlaments durchgeführt werden.
Der Protest des Parlaments blieb erfolglos, die Absetzungsforderung Bismarcks ebenso.
Wilhelm I. bezeichnete das Verhalten des Parlaments für illegitim und löste den Landtag auf.
Die Vormachtstellung in Deutschland
Österreich erkannte die Absichten Bismarcks und bemühte sich um die großdeutsche Lösung, um die Zentralgewalt des Dt. Bundes gegen den Machtanspruch Preußens zu stärken.
Bismarck aber schlägt ein Bundesparlament vor, dessen Abgeordnete direkt vom Volk gewählt werden sollen. 1866 wird zudem der Zollverein ohne Österreich erneuert, was beides die schutzbedürftige Industrie Österreichs enorm schwächte.
Ab 1863 führte Bismarck eine Isolationspolitik gegen Österreich durch, bei der er sich noch nebenbei die Neutralität Rußlands im Falle eines Krieges gegen die Donaumonarchie sicherte.
Eine militärische Auseinandersetzung mit Österreich, das einer Machterweiterung Preußens nicht tatenlos zusehen wollte, schien unvermeidlich. Die Konvention von Gastein vom August 1865, nach der Niederlage der Dänen gegen Preußen-Österreich, bereitete die Grundlage, denn Schleswig wurde unter preußische, Holstein unter österreichische Verwaltung gestellt.
Dadurch bildete das österreichisch verwaltete Holstein eine Insel in preußischem Gebiet.
Ein ständiger Krisenherd war geschaffen.
Als Österreich ankündigte, es wolle die Erbfolge in Holstein dem Urteil des Dt. Bundes unterwerfen, sah Bismarck darin einen klaren Bruch des Gasteiner Abkommens. Er ließ Truppen in Holstein einmarschieren.
Am 14. Juni 1866 forderte Österreich im Dt. Bund die Mobilmachung gegen Preußen und fand zahlreiche Verbündete (Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, etc.).
Die Gefechte verliefen hart, aber äußerst kurz.
Preußen siegte am 3. Juli 1866 bei Königgrätz (Böhmen).
Der Frieden von Prag
Im Frieden von Prag mußte Österreich die Auflösung des seit 1815 bestehenden Bundes akzeptieren. Die Habsburger Monarchie schied aus dem sich entwickelnden preußisch- deutschen Nationalstaat aus.
Der Dualismus der beiden deutschen Großmächte war zugunsten des modernen Preußens entschieden.
Preußen erhielt das Recht, Deutschland neu zu organisieren und einige Staaten zu annektieren (Schleswig, Holstein, Hannover etc.).
Es umfasste damit mehr als die Hälfte Deutschlands !
Indemnitätsvorlage und Spaltung des deutschen Liberalismus
Nach der Revolution von 1848 hatte die preuß. Vereinsgesetzgebung den Zusammenschluß politischer Gruppierungen verhindert.
1861 machte dann die Deutsche Fortschrittspartei (DVP), deren Gründungsprogramm einen Musterkatalog liberaler Forderungen darstellte.
Die DVP entwickelte sich rasch in Auseinandersetzung mit den Konservativen zur stärksten politischen Kraft im preußischen Abgeordnetenhaus. Im Heeres- und Verfassungskonflikt traten die Liberalen als Wächter parlamentarischer Rechte auf.
Bismarck brachte eine Indemnitätsvorlage ein, um das Budgetbewilligungsrecht des Abgeordnetenhauses anzuerkennen.
An dieser Vorlage spalteten sich die Liberalen.
Die Nationalliberalen billigten die nachträgliche Vorlage und schwenkten auf Bismarcks Kurs einer kleindeutschen Staatsgründung unter preußischer Vorlage.
Sie setzten auf eine Parlamentarisierung des öffentlichen Lebens durch die Schaffung des neuen Nationalstaates.
Die Fortschrittspartei jedoch blieb bei dem Konzept der DVP.
Das Verhältnis zu Frankreich verschlechtert sich
Frankreichs Neutralität im preußisch- österreichischen Krieg war mit dem vagen Versprechen eventueller Gebietsabtretungen zu Gunsten Frankreichs gesichert worden.
Als Napoleon nach Kriegsende Ansprüche auf Rheinhessen und die bayrische Pfalz erhob, wies Bismarck diese zurück und schloß Schutzbündnisse mit den süddeutschen Regierungen für den Falle eines franz. Angriffs.
Napoleon III. fühlte sich durch Bismarcks Vorgehen hintergangen. Dennoch waren es vorwiegend innerpolitische Motive , die den französischen König dazu bewegten, seine Herrschaft gegen die immer stärker werdende Opposition durch einen ruhmreichen Krieg abzusichern.
Bismarck sah mit Missfallen, dass seine Einigungsbemühungen von partikularistischen Strömungen in Süddeutschland unterlaufen wurden. Es bedurfte eines äußeren Ereignisses, um die deutsche Einigung voranzutreiben.
Der deutsch- französische Krieg 1870/71
Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen , ein entfernter Vetter Wilhelms I. sollte die spanische Erbfolge antreten: Bismarck unterstützte dessen Kandidatur.
Die französische Regierung forderte in einem Ultimatum den Thronverzicht Leopolds und drohte einen militärischen Eingriff an.
Daraufhin nahm Leopold Abstand von seiner Kandidatur.
Napoleon entsandte seinen Botschafter nach Bad Ems, um preuß. Garantien für den Verzicht Leopolds zu erhalten.
Bismarck verschärfte durch Kürzungen die Antwort des Königs, so daß der Inhalt beleidigend für Frankreich war und Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg erklärte.
Dabei stieß es auf Unverständnis bei den übrigen europäischen Großmächten, die nicht eingriffen.
Das militärisch starke Preußen konnte der Auseinandersetzung mit dem schwächeren Frankreich umso beruhigter entgegensehen, da Bismarck die süddeutschen Staaten zum Kampf gegen Frankreich zu überreden.
Er appellierte an ihr Nationalgefühl und an die Angst vor französischen Annexionswünschen.
Auch aus diesem Grund war der Krieg gegen Frankreich ein bedeutender Schritt in Richtung deutscher Einheit.
Am 2. September 1870 kapitulierte der in Sedan eingeschlossene Napoleon. Bismarck jedoch forderte den deutschsprachigen Elsass und den deutschsprachigen Teil Lothringens.
Das veranlaßte die franz. Regierung, nochmals in den Krieg einzutreten, der sich bis zur Kapitulation der Stadt Paris am 28. Januar 1871 hinzog.
Im Friedensvertrag mußte Frankreich die von Bismarck geforderten Gebiete abtreten und zudem noch 5 Milliarden Goldfranken Reparationen erhalten sollte.
Diese Friedensbedingungen schufen eine dauerhafte Krisensituation zwischen den beiden Großmächten bis zum Ersten Weltkrieg.
Die Reichsproklamation von Versailles am 18. Januar 1871 vollendete die deutsche Einheit.
Der preußische König war von nun an "Deutscher Kaiser". Die nationale Idee, deren Träger das liberale Bürgertum war, entwickelte sich zum verbindenden Element der konservativen Kräfte.
Bismarck und die liberalen Parteien
Bismarck brauchte die Zustimmung des Parlaments, um Gesetzesvorhaben verwirklichen zu können.
Die Parteien brauchten ihrerseits die Unterstützung des Reichskanzlers, wenn sie ihre politischen Ideen durchsetzen wollten.
Bismarck entwickelte daraufhin eine Art "Schaukelstuhlpolitik", die es ihm ermöglichte, sich einer Partei zu bedienen, die seinen Interessen gerade dienlich war. Die Parteien waren also für ihn nicht mehr als Mittel zum Zweck.
Andersherum nahmen die "Verbündeten auf Zeit" auch Einfluss auf die Politik Bismarcks und versuchten, ihre speziellen Teilinteressen durchzusetzen.
Vor allem die Liberalen unterstützten die Politik Bismarcks.
1878 aber erfolgte der Bruch zwischen Bismarck und der Fortschrittspartei wegen des vom Kanzler geforderten und von den Nationalliberalen gebilligten Sozialistengesetzes.
Sie sahen in dieser Politik das Ziel, das Reich vom Budgetbewilligungsrecht des Parlaments abzukoppeln, um damit die schon bescheidenen Kontrollmöglichkeiten vollends zu beseitigen.
Danach war Bismarck auf wechselnde Mehrheiten angewiesen. Um mehr Einfluss auf das Parlament zu gewinnen, hatte er bereits 1876 die Gründung der ihm nahestehenden Deutsch- Konservativen Partei unterstützt.
Bismarcks Gegnerschaft zu den Sozialdemokraten
1878 war das einschneidende Jahr Bismarcks im Kampf gegen die Sozialdemokraten. Er vertrat in Bezug auf die Arbeiterbewegung zwei Positionen:
Einerseits erkannte er die enormen sozialen Gegensätze durch Industrialisierung, zum anderen war die Sozialdemokratie für ihn Reichsfeind, dessen staatsgefährdende Handlungen man verhindern müsse.
Zwei Attentate auf den Kaiser, die fälschlicherweise den Sozialdemokraten zugeschrieben wurden, lieferten ihm den gewünschten Vorwand zum lange geplanten Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie.
Bismarck konnte dafür aber nicht mit der Zustimmung der Fortschrittspartei rechnen, deshalb löste er den Reichstag auf und führte einen antisozialistischen Wahlkampf. Dieser hatte zur Folge, dass die Liberalen im neuen Reichstag Mandatsverluste zu Gunsten der Konservativen hinnehmen mussten.
Bei letzteren fand er die Mehrheit für das Gesetz, welches bis 1890 gültig war.
Das Sozialistengesetz verstieß gegen das grundlegende Rechtsstaatsprinzip der Rechtsgleichheit, wodurch die Sozialdemokraten in die Ecke der Reichsfeinde gedrängt wurden, wo man ihnen nachweisen wollte, daß sie den monarchischen Staat revolutionär stürzen wollten.
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