Die von Platon und Aristoteles eingeschlagene Richtung der Naturbetrachtung hat ihre Fortsetzung in der Naturphilosophie der Stoa (gegründet von Zenon von Kriton, 334-263 v. Chr.) gefunden, die in die drei Bereiche Logik, Physik und Ethik geteilt wurde, wobei die Physik alle Bereiche der toten und lebenden Natur des irdischen und überirdischen Raumes umfaßt und somit Kosmologie und Theologie mit einschließt. Auch bei den Stoikern bildet die Natur eine unzertrennliche Einheit und wird - ähnlich einem Lebewesen - von einer geistigen Kraft ós/ratio) durchdrungen und gelenkt. Wobei die Natur hier letztlich mit Gott identifiziert wird, daher auch die Forderung nach einem "naturgemäßen Leben".
Die Leistung der älteren Stoa besteht nicht in einer selbständigen Erforschung der Natur, und ihren Details, sondern vielmehr im Blick für die Einheit und die vollendete Schönheit der ganzen Natur.
Anders steht es mit dem wichtigsten Repräsentanten der Mittleren Stoa, Poseidonios von Apameia (135 - 51 v. Chr.). In zahlreichen Schriften (nur einzelne Fragmente erhalten) befaßt er sich mit den verschiedensten Erscheinungen der Natur aus den Bereichen der Astronomie, der Geographie und Ethnographie (= beschreibende Völkerkunde). Die wohl bedeutendste Schrift des Poseidonios, der in unermüdlichem Forscherdrang den Einzelproblemen nachging, ist die Abhandlung Über den Ozean ìû). Hier wird seine epochemachende Entdeckung vorgetragen, die den Bewohnern des Mittelmeerraumes bisher verborgen geblieben war, daß die Gezeitenperioden mit dem Mondumlauf im Zusammenhang stehen. Bemerkenswert ist hierzu auch, daß er über 30 Tage genaue Messungen durchgeführt hat, was von einer mustergültigen methodischen Untersuchung zeugt.
Mit Poseidonios haben wir wohl den letzten bedeutenden Universalgelehrten der Antike vor uns, der einerseits einen umfassenden Blick für die Einheit und Zusammengehörigkeit der Natur hatte, andererseits aber mit systematischer Forschung die einzelnen Phänomene zu erhellen suchte.
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