7.1 Die unmittelbare Reaktionen auf die Pest
\"Wir wollen darüber schweigen, dass ein Bürger den anderen mied, dass fast kein Nachbar für den anderen sorgte und sich selbst Verwandte gar nicht. oder nur selten und dann nur von weitem sahen. Die fürchterliche Heimsuchung hatte eine solche Verwirrung in den Herzen der Männer und Frauen gestiftet, dass ein Bruder den anderen, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Ehemann verließ; ja, was noch merkwürdiger und schier unglaublich scheint: Vater und Mutter scheuten sich, nach ihren Kindern zu sehen und sie zu pflegen - als ob sie nicht die ihren wären (.) Viele starben, die, wenn man sich um sie gekümmert hätte, wohl wieder genesen wären. Aber wegen des Fehlens an ordentlicher, für den Kranken nötiger Pflege und wegen der Macht der Pest war die Zahl derer, die Tag und Nacht starben, so groß, dass es schaudern erregte, davon zu hören, geschweige denn es mitzuerleben.\"
So schildert Boccaccio den Einbruch der Pest in Florenz und die Reaktionen der Bevölkerung.
Ein großer Teil der Bevölkerung fand zu dieser Zeit Trost in der Religion und dadurch entstanden viele neue religiöse Bewegungen. Viele \"Pestheilige\" wie St. Rochus wurden verehrt und an vielen Orten zeugten neue Kirchen, Altäre und \"Pestsäulen\" von der neu aufkommenden Religiosität der Bevölkerung.
Andere wiederum suchten Zuflucht und Trost in den Freuden des Lebens und versuchten jede Minute voll auszukosten. Mit Tanz, Musik und andere Späße versuchte man, der Pest zu entgehen. Dazu schrieb der italienische Chronist Matteo Villani:
\"Die Menschen, in der Erkenntnis, dass sie wenige und durch Erbschaften und Weitergabe irdischer Dinge reich geworden waren, und der Vergangenheit vergessend, als wären sie nie gewesen, trieben es zügelloser und erbärmlicher als jemals zuvor. Sie ergaben sich dem Müßiggang, und ihre Zerrüttung führte sie in die Sünde der Völlerei, in Wirtshäuser, zu köstlichen Speisen und zum Glücksspiel. Bedenkenlos warfen sie sich der Lust in die Arme.\"
Die Wirtschaft kam zeitweise völlig zum erliegen, da die Arbeiter wegstarben, flohen oder ihre Aufgaben einfach nicht mehr wahrnahmen. Viele sahen auch überhaupt keinen Sinn mehr darin, ihre Äcker weiterhin zu bestellen, wenn die Pest sie ohnehin bald ereilen würde.
7.2 Judenpogrome
Die Macht der Kirche und der Landeshäupter nahm unter dem Eindruck der völligen Hilflosigkeit gegenüber der Pest rasch ab.
Besonders Randgruppen wie die Juden bekamen dies mit aller Härte zu spüren.
Es kam das Gerücht auf, dass die Juden die Brunnen mit der Pest vergiften würden. Papst Klemens VI. wies diese Gerüchte zurück, da die Pest auch dort auftrat, wo keine Juden lebten und auch die Juden selbst von der Pest betroffen waren. Die Päpstliche Bulle wirkte allerdings nur in Avignon, wo der Papst residierte. Ansonsten trugen die Ermahnungen reichlich wenig zum Schutz der Juden bei.
Das Gerücht wurde so bereitwillig aufgenommen, da die Juden in eigenen Vierteln lebten, von der Gesellschaft abgeschottet waren und dazu einem anderen Glauben angehörten. Dem standen die Kirchen sehr intolerant gegenüber. Vor allem im Elsass, der Schweiz und in Deutschland kam es zu den Pogromen. Am 9. Januar 1349 wurde ein Teil der Juden von Basel auf einer Rheininsel und in einem eigens dafür errichteten Haus verbrannt. Im Februar 1349 wurden 900 von den 1900 in Straßburg lebenden Juden ermordet.
Neben der Suche nach einem Sündenbock und der seit dem 12. Jahrhundert angestiegen Intoleranz der Kirche Andersgläubigen gegenüber, war auch Habgier ein wesentliches Motiv der Pogrome. Die Bedeutung der Juden als Geldverleiher war zwar in den letzten 200 Jahren gesunken, aber offenbar sah ein großer Teil der Bevölkerung in den Judenmorden eine Möglichkeit, sich ihrer Schulden und Gläubiger zu entledigen. So war auch der Augsburger Bürgermeister Heinrich Portner bei jüdischen Geldverleihern hoch verschuldet und ließ die Morde an den Juden bereitwillig geschehen.
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