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geschichte artikel (Interpretation und charakterisierung)

Die juden in der neuzeit



Ende des 16. Jahrhunderts existierten nur noch Überreste der alten jüdischen Gemeinden in Westeuropa.
Reformation und Französische Revolution
Als nach der protestantischen Reformation die politische und soziale Freiheit allmählich zunahm, wuchs auch die Toleranz gegenüber den Juden. Erste Anzeichen gab es in England, wo der Commonwealth unter Oliver Cromwell den Juden ab 1650 die Einwanderung anbot. Einflußreiche Männer wie der Philosoph John Locke und der Missionar Roger Williams luden sie auch ein, sich in den englischen Kolonien Nordamerikas niederzulassen. In Frankreich verlieh die Nationalversammlung den Juden im Rahmen der Demokratisierung nach der Französischen Revolution 1791 das Wahlrecht. Nach 1815 verschärfte sich die Situation allerdings wieder, weil die Staaten, die Napoleon unterworfen hatte, die von ihm eingeführten Neuerungen rückgängig machten, um dem Liberalismus einen Riegel vorzuschieben. Dieser Rückwärtstrend hielt indes nur wenige Jahrzehnte an, und um 1860 waren die Juden in ganz Westeuropa vollwertige Mitglieder der Gesellschaft.

Osteuropäische Politik
In Osteuropa kehrte sich zur gleichen Zeit die Toleranzpolitik gegenüber den Juden um. Rußland und Polen ließen die Juden verfolgen, um liberalen Tendenzen keinen Vorschub zu leisten. Die Lage der Juden gestaltete sich nun ähnlich wie im mittelalterlichen Europa, insbesondere nach der Teilung Polens, dessen Osthälfte zwischen 1772 und 1796 zum Russischen Reich gehörte. Die meisten polnischen Juden lebten in dem Gebiet, das nun zu Rußland zählte und mußten harte Restriktionen erdulden. Sie durften nur in abgegrenzten Ghettos leben und konnten zahlreiche Bildungs- und Berufswege nicht mehr einschlagen. Darüber hinaus gestattete und finanzierte die zaristische Regierung in Abständen Massaker an den Juden. Diese Pogrome sollten die Aufmerksamkeit der russischen Bevölkerung von ihrer Unzufriedenheit mit dem Feudalsystem ablenken, das bis ins ausgehende 19. Jahrhundert fortbestand. Das Regime ergriff noch weitere Maßnahmen, indem es die Juden zu isolieren und jede Form der politischen Einflußnahme zu unterbinden versuchte. Vor allem befürchtete man, die Juden könnten aufrührerische Ideen aus Westeuropa nach Rußland tragen. Die Verfolgungen dauerten bis zum Beginn der Russischen Revolution 1917. Zwischen 1890 und dem Ende des 1. Weltkrieges emigrierten als Folge der Pogrome rund zwei Millionen Juden aus Rußland in die Vereinigten Staaten. Andere Kolonien ehemaliger osteuropäischer Juden entstanden in Kanada, Südamerika (insbesondere Argentinien) sowie in Palästina.

Die Juden in der westlichen Hemisphäre
Die jüdische Emigration in die westliche Welt begann direkt nach Gründung der ersten amerikanischen Kolonien. Zahlreiche Sefarden spanischer oder portugiesischer Abstammung ließen sich zunächst in Brasilien nieder, doch war nur Marranen der Aufenthalt erlaubt, und die Verfolgung durch die Inquisition führte dazu, daß die Juden das Land wieder verließen. 1654 gründeten die ersten brasilianischen Marranen eine Gemeinde in der niederländischen Kolonie Neuamsterdam (heute New York City), wo sie sich offen zu ihrem Glauben bekennen konnten. Zur Zeit der Amerikanischen Unabhängigkeitskriege, um 1780, belief sich die Zahl der in den Vereinigten Staaten lebenden Juden auf schätzungsweise 2 000. Die Immigranten des 19. Jahrhunderts kamen zum größten Teil aus Deutschland, nach 1815 als Konsequenz der antijüdischen Stimmung, die auf das Ende der Napoleonischen Ära folgte, und nach den Revolutionen von 1848 einsetzte. Um 1880 gab es in den USA annähernd 250 000 Juden. Während der nächsten vierzig Jahre reisten nochmals drei Millionen Juden ein, vor allem aus Osteuropa. Der große Strom versiegte erst 1924 mit der Einführung der Einwanderungsbeschränkungen.

Das Leben in Europa

Die Gleichstellung der Juden hatte religiöse, kulturelle und politische Auswirkungen. Allmählich nahmen die Juden den ihnen zustehenden Platz in der modernen Welt ein, und die Mauer, die das orthodoxe Judentum als Schutz gegen äußere Einflüsse oder Bedrohungen errichtet hatte, geriet ins Wanken. Einen besonders starken Einfluß übte Moses Mendelssohn aus, der die Grundsätze des Judentums, sowohl im religiösen als auch im profanen Bereich, bekannt machte. Er übersetzte den Pentateuch ins Deutsche und wies auf die Bedeutung der kulturellen Verbindungen zwischen den Juden und ihrer andersgläubigen Umwelt hin. Damit öffnete er den Weg für die vielfältigen Beiträge, die Juden fortan innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften und in der übrigen Welt leisten sollten. Das in Deutschland entstandene Reformjudentum berief sich ebenfalls auf die Lehren Mendelssohns. In jener Zeit wandten sich viele jüdische Familien ganz von ihrem Glauben ab und traten zum Christentum über, um ihre Möglichkeiten auf kulturellem und öffentlichem Gebiet zu vergrößern. Zu jener Gruppe gehörte Mendelssohns Enkel, der berühmte Komponist Felix Mendelssohn. Auch einer der größten deutschen Dichter, Heinrich Heine, war jüdischer Abstammung und behielt seine Liebe zum Judentum bei, obgleich er sich zum Christentum bekehrte. Der britische Staatsmann Benjamin Disraeli war ebenfalls ein Sohn konvertierter Juden.
Zu den bedeutenden Juden, die - in allen westeuropäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten - auf ihren Gebieten die Welt voranbrachten, zählten Karl Marx, der Urvater des Sozialismus und Kommunismus, und Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse. In Frankreich und Deutschland verfaßten Henri Bergson sowie Hermann Cohen und Martin Buber bedeutende philosophische Werke. Jüdische Maler wie Amedeo Modigliani aus Italien, Camille Pissarro (von portugiesisch-französischer Herkunft) und der in Rußland geborene Marc Chagall sowie die Bildhauer Jakob Epstein aus den USA und Jacques Lipchitz aus Litauen erwarben sich ein internationales Renommee. Albert Einsteins Relativitätslehre revolutionierte die Theorie der Physik und Mathematik. Die jüdische Gemeinde selbst erlebte im 19. Jahrhundert eine kulturelle Renaissance. Die Haskala ("Erleuchtung") begann in Osteuropa. Die Juden schrieben verstärkt Texte in hebräischer Sprache und studierten die Lehren von Darwin oder Thomas Huxley. Gedichte, Romane und Geschichtsbücher entstanden, und das Hebräische entwickelte sich allmählich wieder zur lebenden Sprache. Das osteuropäische Jiddisch erfuhr eine Aufwertung, nachdem Autoren wie Mendele Moscher Setorim, Schalom Aleichem, Juda Leb Peretz und Schalom Asch es in ihren Werken verwendet hatten. Die spezifisch jüdische Kulturerneuerung der Haskala weckte durch die intensive Beschäftigung mit dem jüdischen Erbe neue Hoffnungen auf eine Heimkehr nach Palästina.

Der Antisemitismus
Die weltpolitischen Ereignisse des ausgehenden 19. Jahrhunderts gaben den durch die Haskala ausgelösten Erwartungen neue Nahrung. In Deutschland und Frankreich fand die antijüdische Gesinnung erneut Anhänger. Der Antisemitismus lehnte jedoch nicht in erster Linie die Religion, sondern die angeblichen Rassenmerkmale der zu den Semitenvölkern gehörenden Juden ab. In Deutschland, Frankreich, Österreich und Ungarn schlossen sich politische Gruppen zusammen, um die Juden von hochrangigen Positionen auszuschließen. In Frankreich erreichte der Antisemitismus mit der Dreyfus-Affäre ihren vorläufigen Höhepunkt. Diese begann mit der auf falschen Zeugnissen beruhenden Verurteilung des jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus. Einer der Beobachter des Verfahrens, der österreichische Schriftsteller Theodor Herzl, gelangte zu der Überzeugung, daß nur ein jüdischer Nationalstaat das Problem des Antisemitismus dauerhaft lösen könne. 1896 begründete Herzl den Zionismus, eine politische und soziale Bewegung, die das Ziel hatte, einen eigenen jüdischen Staates zu schaffen.
Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und besonders in den Zwischenkriegsjahren nahm der Antisemitismus in der europäischen Politik, vor allem in Deutschland, stark zu. Der Nationalsozialismus, der in den zwanziger und dreißiger Jahren aufkam, war antisemitisch und richtete sich gegen alle Juden, auch jene, die sich selbst nicht mehr als Juden betrachteten, sondern sich als assimilierte Mitglieder verschiedener nationaler Gruppen fühlten. Die Nationalsozialisten ermordeten in den zwölf Jahren ihrer Herrschaft rund sechs Millionen Juden. Die meisten von ihnen kamen in Konzentrationslagern in Deutschland oder in von Deutschen besetzten Gebieten ums Leben. Die Zeit der Verfolgung und systematischen Vernichtung europäischer Juden ging unter dem Namen Holocaust in die Geschichte ein.

 
 

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