Gleich nach der Revolution von 1917 formulierte Lenin zwei Grundsätze: die Anerkennung des Rechts der Völker auf nationale Selbstbestimmung bis hin zur Abspaltung, sowie den Aufbau einer Föderation gleichberechtigter Republiken als Mittel, um den Vielvölkerstaat in seiner Gesamtheit zu erhalten. Auf dieser Grundlage wurde 1922 die Union gegründet, wenn auch unter dem Einsatz von Gewalt.
Die Weltmacht, bestehend aus über hundert Nationen und Nationalitäten, kam jedoch unter Stalin von dem propagandierten Kurs ab und entwickelte sich unter ihm zu einem strengen, totalitären, grausamen System der Unterdrückung. Der vollständige Bruch mit allen demokratischen, von Lenin versprochenen Idealen, die eigentlich jene marxistische Diktatur des Proletariats beinhalten und statt dessen die Diktatur einer kleinen Gruppe an der Spitze der Staatsmacht und ihrem hierarchisch aufgebauten Apparates - der Nomenklatura, das Verbot aller nicht kommunistischen Parteien sowie die Aufhebung der Presse- und Meinungsfreiheit ebneten Stalins Weg der Willkürherrschaft und begannen ein dunkles Kapitel slawischer und asiatischer Geschichte. Das Machtmonopol basierte auf der Nichtanerkennung der Gewaltenteilung, der Nichtumsetzung der Rechtsstaatlichkeit sowie der Menschenrechte, dem nicht vorhandenen Pluralismus, dem staatlichen Besitzmonopol und zu einem großen Teil von selbstverherrlichender Propaganda, kombiniert mit Gulags, um gezielt alle Andersdenkenden auszuschalten.
Der Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn charakterisierte jene Methoden treffend: "Die Gewalt läßt sich nur mit der Lüge verbergen, und die Lüge kann sich nur mit Gewalt erhalten. Jeder, der die Gewalt zu seiner Methode gemacht hat, muß zwangsläufig die Lüge zu seinem Prinzip erwählen."
Dieser Totalitarismus infizierte unumkehrbar die Maxime der Politik der folgenden siebzig Jahre und kann beim besten Willen nicht kommunistisch, ja noch nicht einmal sozialistisch genannt werden. Der Gegensatz zwischen den Methoden und dem Ziel mußten sich letzten Endes auf dieses auswirken, schreibt Karl Kautsky sinngemäß 1930 - und hatte im Rückblick recht. Gorbatschow dokumentiert in seinem Buch die verschiedenen Meinungen zur Definition der Staatsform der SU. Diese Meinungen reichen von einem feudalen Kapitalismus, einem unterentwickelten Sozialismus, dem es an Produktionsmitteln mangelte bis hin zu einem despotischen Sozialismus! Der Grund: Sozialismus bedeutet hier nicht, dass das arbeitende Volk über seine Produktionsmittel verfügt, seinen Arbeitsprozeß leitet und seinen Arbeitsertrag gerecht verteilt. Er bedeutet vielmehr, das nur eine winzige, aus dem Volk herausgelöste, aber gleichzeitig das Volk repräsentierende, Minderheit über die Arbeitsmittel und über die Arbeitskraft, über den Arbeitsprozeß und über den Arbeitsertrag des Volkes verfügt und der Staatsapparat mit seinen Zwangsmitteln alle Kräfte des Volkes seinem Arbeitsplan unterwirft und in seine Arbeitsorganisation einspannt.
Nach Kautsky hat sich der Totalitarismus "mit seinen eigenen Methoden sein eigenes Grab geschaufelt."
Dieses "Erbe der Oktoberrevolution" ist hier knapp zusammengefasst, um die ehemalige Lage der SU vor der Perestroika verständlich zu machen und die Notwendigkeit eines Reformkurses zu verdeutlichen.
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