Kurz nach der Entscheidung vom Dezember 1881 erarbeitete der Direktor des Reichstags, Oskar Knack, ein Verzeichnis der Räume und zugleich Empfehlungen für die Programmkommission.
Die Fläche des provisorischen Plenarsaales betrug 621,5 qm, als erstrebenswert nannte er 740 qm. \"Im allgemeinen dürfte das bisherige Arrangement im Sitzungssaale auch für die Zukunft beizubehalten sein. Die Einrichtung von je 2 Plätzen, wodurch das Ein- und Austreten der Mitglieder in ungestörter Weise vor sich gehen könnte, dürfte zu erstreben, jedenfalls aber die Einrichtung von mehr als 4 Plätzen zu vermeiden sein.\"
In den Sitzungen der Subkommission wurde der Raumbedarf auf \"zwischen 600 und 640 m\" geändert, mehr wäre für die Akustik beeinträchtigend. Zum bequemen \"Ein- und Austreten der MdR\" entschied die Subkommission: \"In dem Sitzungssaal sind anzuordnen:
a) Amphitheatralisch angeordnete Sitze für 400 Abgeordnete. Das Steigungs-Verhältnis des Saalbodens ist wie 1:10 anzunehmen. Die Sitze müssen mit Rücklehnen und verschließbaren Schreibpulten versehen, sowie bequem zugänglich sein. Zwischen je zwei radialen Gängen dürfen sich nicht mehr als 4 Sitze in einer Reihe befinden. Für jeden Sitzplatz mit Pult ist ein Raum von 1,10 m Tiefe und 0,55-0,65 m Breite zu rechnen.\" Es kam also darauf an, daß die Abgeordneten \"in ungestörter Weise\" ein- bzw. austreten konnten.
In der kurzen Phase zwischen dem Reichstagsbeschluß und der Wettbewerbsauslobung hatte sich in Architektenkreisen, aber auch in sehr großen Teilen der politischen Presse eine hitzige Diskussion darüber entfaltet, ob der Architekt, der im ersten Wettbewerb gewonnen hatte, Bohnstedt, erneut und ohne Konkurrenz beauftragt werden sollte, seinen Plan umzuarbeiten und zur Ausführung zu bringen, oder ob ein neuer beschränkter oder offener Wettbewerb ausgeschrieben werden sollte. Auf Betreiben des Berliner Architektenvereins wurde dann ein offener Wettbewerb ausgeschrieben, allerdings nur für Architekten \"deutscher Zunge\", sowie diejenigen ausländischen Architekten, die beim Wettbewerb 1872 einen Preis gewonnen hatten. Da nur ein Ausländer, der Engländer Scott, einen Preis gewonnen hatte und inzwischen verstorben war, gab es keine ausländische Beteiligung.
Die Jury für diesen Wettbewerb stand der des ersten Wettbewerbs kaum nach. Freilich: Einige große Architekten lebten nicht mehr: Lucae und Semper waren 1877 bzw. 1879 gestorben. So liest sich die Liste der Architekten in der Jury wie folgt: Friedrich Adler, Reinhold Persius, Friedrich Schmidt, Gottfried von Neureuther, Josef von Egle, Vinzenz Statz, Martin Haller und der Maler Anton von Werner. Da Neureuther kurz vor Zusammentreten der Jury erkrankte, wurde er durch den Münchener Baurat Siebert vertreten.
An dieser Konkurrenz beteiligten sich nun 189 Architekten und Architektengemeinschaften. Da alle Entwürfe unter Motto - also anonym - eingeliefert werden mußten und keine vollständige Aufschlüsselung der Namen zu finden war, ist es heute nicht möglich, die Namen aller Teilnehmer zu ermitteln. Aus dem Briefwechsel der beiden Sieger des Wettbewerbs ist die Schwierigkeit ersichtlich, ein Gebäude, für das es in Deutschland kaum Vorbilder gab und über dessen Funktionen und künftiges Funktionieren nur vage Vorstellungen bestanden, zu entwerfen. Sie arbeiteten buchstäblich bis zur letzten Sekunde. Die Entwürfe des Architekten Paul Wallot aus Frankfurt am Main wurden \"noch warm eingepackt\" zur Bahnspedition gebracht, so daß nicht einmal Zeit zum Fotografieren der Pläne blieb.
Aus den Protokollen der Jury geht hervor, daß der Entwurf von Wallot (\"Für Staat und Stadt\") 19 von 21 Stimmen auf sich vereinigen konnte. Wallots Sieg wurde in Architektenkreisen als \"Überschreitung der Mainlinie in der Baukunst\" gefeiert.
Am 9. Juni 1884 wurde der Grundstein für das Reichstagsgebäude gelegt. Drei Generationen preußischer Monarchen, Wilhelm I,. sein Sohn und späterer Kaiser Friedrich III., sowie sein Enkel und nachmaliger Kaiser Wilhelm II. taten ihre Hammerschläge an diesem vom Wetter nicht besonders begünstigten Tag. Es wurde moniert, daß viel zu viel Militär und kaum Parlamentarier an dieser Zeremonie teilgenommen hatten.
|