Donnerstag, 9. November 1989: /
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24 Stunden nach der neuen Wahl des Politbüros treten wieder einige Mitglieder zurück. Das trägt dazu bei, dass eigentlich keiner mehr weiß, wie es weitergehen soll. Am Mittag beschließt das neue Politbüro eine Änderung der Ausreiseregelung. Damit soll der anhaltende Ausreisestrom von DDR-Bürgen über die CSSR in die Bundesrepublik über die eigenen Grenzen geleitet werden. Wie dies umgesetzt werden soll, will man am nächsten Tag bekannt geben. Auf dem Weg zum internationalen Pressezentrum wird der ZK-Sekretär für Information Günther Schabowski von Egon Krenz über die Ergebnisse, die auf der ZK-Tagung erarbeitet wurden, informiert. Er erhält für die Pressekonferenz ein zweiseitiges Papier, welches eine Vorlage ist und noch keine endgültigen Beschlüsse enthält. Dies weiß Schabowski zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht, wie er später sagte. Also gibt Schabowski die Ergebnisse des ZK-Plenums bekannt, unter anderem auch, dass ein neues Reisegesetzt vorliegt. Ein italienischer Journalist fragt Schabowski am Ende der Pressekonferenz um 18.53 Uhr nach Einzelheiten von dem neuen Gesetz, woraufhin Schabowski dann das Papier mit der Vorlage vorliest. Er sagt, dass es seiner Kenntnis nach "sofort, unverzüglich" in Kraft trete.
Beschluss:
Zur Veränderung der Situation der ständigen Ausreise von DDR-Bürgern in die BRD über die CSSR wird festgelegt:
1. Die Verordnung vom 30. November 1988 über Reisen von Bürgern der DDR in das Ausland (GBI. I Nr.25 S. 271) findet bis zur Inkraftsetzung des neuen Reisegesetzes keine Anwendung mehr.
2. Ab sofort treten folgende Regelungen für Reisen und ständige Ausreisen aus der DDR in das Ausland in Kraft:
Privatreisen in das Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen wie Reiseanlässen und Verwandtschaftsverhältnissen beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Versagungsgründe werden nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt.
Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VDKA in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. Die Antragstellung auf ständige Ausreise ist wie bisher auch bei den Abteilungen Innere Angelegenheiten möglich.
Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu Berlin (West) erfolgen.
Damit entfällt die vorübergehend ermöglichte Erteilung von entsprechenden Genehmigungen in Auslandsvertretungen der DDR bzw. die ständige Ausreise mit dem Personalausweis der DDR über Drittstaaten.
Über die Regelungen ist die beigefügte Pressemitteilung am 10. November 1989 zu veröffentlichen.
Verantwortlicher ist der Regierungssprecher beim Ministerrat der DDR.
Die Nachrichten über das neue Reisegesetz, was eigentlich gar keines ist, sondern nur eine Vorlage, verbreiten sich wie ein Lauffeuer in der DDR. Auch die Westdeutschen Nachrichtenagenturen AP und DPA berichten darüber. Dadurch wird dies die Hauptmeldung in den Nachrichten am Abend. Die Meldung schlug wie eine Bombe ein. Die Tagesschau der ARD brachte sie an erster Stelle und textete dazu die Schlagzeile: "DDR öffnet Grenze".
Nach Beendigung seiner Sitzung um 21.10 Uhr stimmt der deutsche Bundestag, nachdem er von der Grenzöffnung hörte, die deutsche Nationalhymne an. Währenddessen kommt es an der innerdeutschen Grenze zu tumultartigen Szenen.
Schon am frühen Abend machten in Ostberlin Gerüchte die Runde und man munkelte, dass der Grenzübergang an der Borholmer Straße nach West-Berlin sei offen.
Viele Tausend DDR-Bürger waren nach den Nachrichten zu den Grenzübergängen gekommen, um sich davon zu überzeugen, dass die Grenze offen ist. Doch dort finden sie bloß Grenzsoldaten, die von nichts wissen und völlig überfordert sind, da sie keine Anweisungen haben, wie sie reagieren sollen. Schon bald stürmten tausende Menschen zu den Grenzübergängen. Gegen 22.00 Uhr drohte die Lage außer Kontrolle zu geraten, die Menschenmassen drängten gegen die Sperrgitter und forderten in Sprechchören den Durchlass nach West-Berlin.
Einzelne Grenzkommandanten entschließen sich dann eine halbe Stunde vor Mitternacht die Grenze zu öffnen, da der Ansturm zu gewaltig ist. Die Meldung, die sie an die Zentrale machen, lautet: "Wir fluten jetzt!".
Schon Minuten später befanden sich Tausende auf Westberliner Seite. Es war eine unvergleichliche Stimmung, jubelnde Menschen, die sich vor Freude und Rührung umarmten und andere wiederum tanzten ausgelassen.
Die Straßen Westberlins waren bald Hoffnungslos überfüllt und die Menschen spürten nun dass etwas Bedeutsames eingetreten war.
Gegen Mitternacht erklimmen die Bürger auch die Mauer am Brandenburger Tor.
"Ich hab gesehen wie Mauer gebaut wurde, und jetzt will ich sehen wie sie wieder Wegkommt!"
-ein DDR-Bürger auf dem Weg nach West - Berlin-
Kurz nach dem Mauerfall schrieb "Die Zeit":
".Die große Party der drei Millionen ist vorbei. As rauschende Fest des Wiedersehens, das die westliche Halbstadt drei Tage und Nächte Kopf stehen ließ, ist zu Ende gegangen. Berlin erwacht aus einem Traum und kehrt zum Alltag zurück. Die Trabis sind verschwunden, die Luft ist nicht mehr ganz so abgasblau. Die Kinder gehen wieder in die Schule, die türkischen Gemüsehändler haben wieder Bananen." Die Zeit, 17.11.1989
Seit dem 1. Juli 1990 herrscht mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion endgültig freier Reiseverkehr zwischen Ost und West. Die Mauer verschwand bis zum Jahre 1991 nahezu vollständig; Reste blieben u.a. an der Bernauer Straße, in der Niederkirchnerstraße (gegenüber dem Preußischen Landtag, jetzt Sitz des Berliner Abgeordnetenhauses) und in Form der 1,3 km langen \"East-Side-Gallery\" gegenüber dem Ostbahnhof erhalten.
Seit dem Jahr 1991 wurden zahlreiche Anklagen gegen diejenigen DDR-Bürger erhoben, die für die Schießbefehle an der deutsch-deutschen Grenze Verantwortung trugen und jene Befehle ausführten. Angeklagt wurden somit unter anderem Staatratsvorsitzender Erich Honecker, Mitglieder des nationalen Verteidigungsrates, sowie einige Generäle. Insgesamt wurden in den so genannten Mauerschützenprozessen 11 Angeklagte zu Haftstrafen, 44 zu Bewährungsstrafen verurteilt und 35 Angeklagte mussten freigesprochen werden.
Am 20. Februar 1997 wurde am ehemaligen \"Checkpoint Charlie\" damit begonnen, den einstigen Verlauf der Berliner Mauer mit einer roten Linie zu markieren. Diese Linie soll eine Länge von 20 km erreichen und später durch eine doppelspurige Großpflastersteinreihe ersetzt werden. Mittlerweile zieht sich durch Berlin eine 20 km lange Linie die den Verlauf der Mauer darstellt.
Für uns ist es heute kein Problem mehr mit einem Schritt die damalige Seite und Grenze zwischen Westmächten und Sowjetmächten zu überqueren, die Grenze des Kalten Kriegen hat ihren Schrecken verloren. Viele Menschen sind an dieser Mauer gestorben - nur weil sie die Straßenseite wechseln wollten.
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