Nach den Entdeckungsreisen der grossen Seefahrer war es den europäischen Mächten zunächst mehr um die Gold- und Silberschätze der Welt und um den Handel mit Gewürzen gegangen als um den Besitz überseeischer Reiche. Die grossen Staaten begannen nach Weltmacht durch Kolonialbesitz zu streben. Im Wettlauf um die Kolonialbesitze lagen Frankreich und England ganz vorne, gefolgt von Deutschland, Belgien, Portugal, Italien und Spanien.
Afrika und Asien wurden von überheblichen und machtbesessenen Weissen eingenommen. Dabei wurden die politischen und sozialen Strukturen, die sich dort in Jahrhunderten herausgebildet hatten, rücksichtslos dem kolonialen Zweck untergeordnet. Die Völker Asiens sowie Afrikas mussten sich den Normen und Sitten der Weissen anpassen und dienten als billige Arbeitskräfte in der Plantagenwirtschaft.
1900 war fast ganz Afrika unter der Herrschaft der Weissen, die bereits über riesige Imperien in Asien verfügten und den Nahen und Mittleren Osten sowie Lateinamerika dominierten. Riesige Gebiete Afrikas und Asiens wurden durch einen kleine Zahl von Kolonialbeamten verwaltet, die sich durch die Urwälder und den Busch ihrer Region tragen liessen, Steuern kassierten, Gericht hielten und den Lebensstil eines Herrenvolkes pflegten. Die Schwarzen bezeichnete man als kuriose Wesen und als unvernünftig wie Kinder. Der britische Imperialpolitiker Cecil Rhodes nannte Afrika einen jungfräulichen, geschichtslosen Kontinent, dessen Bevölkerung durch die Engländer "zivilisiert" werden muss.
Europäische Siedler allerdings, die in den Kolonien eine neue Heimat suchten, mussten sich die Annehmlichkeiten des kolonialen Lebens hart verdienen. Ihre hochgeladenen Wagen mit dem Ackergerät, dem Staatgut und ihrer bescheidenen Habe kamen nur mühsam voran in der weglosen Landschaft. Mut und Beharrlichkeit gehörten dazu, sich hier eine neue Existenz aufzubauen.
Zu einem der frühesten Aufstände gegen koloniale Ausbeutung erhob sich die Hereros in Deutsch-Südwestafrika im Jahre 1904. die Rebellion wurde blutig unterdrückt. Überlebende wurden gekettet in die Zwangsarbeit verschleppt.
Manche Siedler brachten es zum Lebensstil wahrer Gutsherren. Doch viele scheiterten, auch weil sie ihre Anbaumethode nicht den tropischen Verhältnissen anzupassen vermochten. Das Siedlerleben war einsam. Die Frauen mussten ihrer Kinder selbst unterrichten, bis sie zur weiteren Ausbildung auf ein Pensionat des Mutterlandes geschickt wurden. Die nächste Farm war dreissig oder fünfzig Kilometer entfernt. Noch viel weiter war es bis zum nächsten Arzt oder Polizeiposten.
Hinter der Pose viktorianischer Schockiertheit beneideten viele Weisse die natürliche Lebensart der "Eingeborenen". Die Prüderie, mit der sich der Missionsgeist verbinden liess, machte das Christentum bei den "edlen Wilden" nicht sonderlich beliebt. Jedoch nicht viele Kolonien wurden zu europäischem Siedlerland. In den meisten Kolonialgebieten fanden sich nur wenige Europäer, die durch Kolonialbeamte, Soldaten oder Kaufleute vertreten waren. Ein paar hundert Kolonialbeamte verwalteten Gebiete mit Millionen von Einwohnern.
Kolonialherrschaft wurde oft indirekt ausgeübt, indem man einheimische Fürsten zu Vasallen gemacht hat, wie die Maharadschas von Indien oder die Emire Westafrikas. Ihren Regionen brachte die Herrschaft der Weissen auch Vorteile. Sie verhinderten weitgehend die Stammeskämpfe, die besonders Afrika heimgesucht hatten.
Der britische König Georg V. besuchte mit Königin Mary 1911 Delhi, um sich von den Maharadschas als Kaiser von Indien feiern zu lassen. Zwei Drittel der Erde waren unter kolonialer Herrschaft. Grossbritannien verfügte über das grösste und mächtigste Imperium. In Indien waren 300 Millionen Menschen dem britischen Monarchen untertan. Es entwickelte sich eine spezielle Beziehung zwischen Indien und der britischen Führungsschicht. Die Inder orientierten sich nach dem britischen Vorbild was Bildung und das vorwärts gewandte Denken anbelangte. Aber auch die Engländer hatten einen Respekt vor einer alten Hochkultur die für sie noch unbekannt und geheimnisvoll erschien. So kam es dann auch, dass die Maharadschas ihre Söhne gern nach Oxford oder Cambridge schickten.
In allen Kolonien repräsentiere der Gouverneur die Imperialmacht, oft mir gefiedertem Admiralsdreispitz und königlichem Gepräge. Der Gouverneur reiste von Region zu Region, inspizierte und nahm die Huldigen der Häuptlinge entgegen. In machen Teilen Afrikas warfen sich die Häuptlinge vor dem Gouverneur auf die Erde und rollten sich hin und her. Ein Zeremonielle, das in vorkolonialer Zeit einem afrikanischen Herrscher Unterwerfung bezeugte. Als Preis dafür, dass die Kolonialmacht ihre Privilegien wahrte, setzten viele Häuptlinge den Willen des Gouverneurs bis ins letzte Dorf hinein durch. Einheimische Kolonialtruppen dienten den Weissen und starben für sie in den Weltkriegen. Viele Kolonialisten waren zwangsrekrutiert. Viele waren aber auch so sehr vom Geist kolonialer Unterordnung durchdrungen, dass sie den Dienst für einen weissen König oder Kaiser als patriotische Pflicht betrachteten. Indische und afrikanische Polizisten wurden sogar gegen unbotmässige Landsleute eingesetzt.
Millionen von Afrikanern wurden in die Zwangsarbeit verschleppt, oft in Ketten. Die Opfer blieben ungezählt. Die belgischen Kolonialherren verliehen Orden an Häuptlinge, die sich um die Durchsetzung kolonialer Anordnungen verdient machten, indem sie zum Beispiel genügend Männer aus ihrem Stamm zur Arbeit für die Kolonialmacht rekrutierten.
Für die Verwaltung der Kolonien bildete man Einheimische als Hilfskräfte aus. In manchen Regionen, vor allem im britischen Indien. Konnten Einheimische auch verantwortliche Positionen erreichen. Zum Wohle der Imperial macht und vielleicht auch zum eigenen Vorteil sollten die Kolonialvölker nach Art der Mutterlandes denken und handeln lernen. Die eigene Identität war da nur im Wege. Auf die Tafel einer Elementarschule im französischen Afrika mussten kleine Afrikaner Sätze wie "Unsere Ahnen, die Gallier" schreiben.
Auch wenn die Schulen kaum höhere Bildung vermittelt haben, so gehörten sie doch zu den guten Seiten des Kolonialismus, vorausgesetzt man akzeptiert die Europäisierung fremder Lebensart. Der Umformung des Geistes dienten vor allem die Missionen. Denn als "des weissen Mannes Brüder" galt es, das Christentum in die Welt hineinzutragen. Missionare kamen mit den Eroberern, eilten den Eroberern oft voraus. Sie konnten sich wahres Menschsein nur im Zeichen des Kreuzes vorstellen. Indem man die Heiden taufte, entfremdet man sie ihrer eigenen Welt und machte sie zu gefügigen Untertanen. Indem man ihre Nacktheit bekleidet hatte, konnte man sie vielleicht aus ihren Niederungen emporheben.
Man steckte die Afrikanerinnen in die Kleidung des neuen Jahrhunderts.
Diese Afrikanerin in der Kleidung von 1900 stellt das Idealprodukt kolonialer Prägung dar. Denn wenn die Schwarzen, abgesehen von ihrer Hautfarbe, genauso werden "wollten" wie die Weissen, so galt die zivilisatorische Mission des Kolonialismus als erfüllt.
Neben der imperialistischen gab es die humanitäre Seite der Missionen. In Hospitälern, Leprastationen, Schulen und Waisenheimen leisteten Missionare opfervolle Arbeiten in extremen Klimazonen. Im Paternalismus der Weissen steckte aber auch viel menschliche Zuwendung. Gleichzeitig gaben die Missionen manchem jungen Afrikaner und Asiaten die Chance, in Europa oder Amerika zu studieren und Ideen aufzunehmen, die den einen oder anderen schliesslich dann auch zum Freiheitskämpfer gemacht haben. Doch eine Begegnung zwischen den Kulturen scheiterte meist am Glauben an die Überlegenheit der eigenen Religion.
Mit den Weissen kam auch die Axt. Urlandschaften wurden zu Rohstofflieferanten. Wälder und Buschlandschaft verwandelten sich in Plantagen auf denen meist nur ein einziges Produkt angebaut wurde. Diese Monokulturen belasteten die Wirtschafsentwicklung ebenso wie die Umwelt über die Kolonialzeit hinaus. Was dörfliche Afrikaner zum Leben brauchten, hatte sie ursprünglich selbst angebaut. Sie benötigten kein Geld. Doch mit der Kolonialisierung mussten viele Afrikaner Geld verdienen, weil ihnen Steuern aufgelegt wurden. Damit zwang die Kolonialmacht Millionen zu billiger Lohnarbeit auf den Plantagen oder in den Bergwerken Südafrikas.
Nicht nur in Afrika, sondern auch in Indien erschloss der Kolonialismus die Naturschätze der Welt und liess sie durch billige Arbeitskräfte und oft auch Zwangsarbeit ausbeuten. Dennoch war die Kolonialisierung so teuer und riskant, dass manche Kolonien wenig nur einbrachten. Gleichzeitig wurde der Wiederstand der Afrikanern und Indern immer grösser. Vor allem in Indien wuchs das Verlangen nach Freiheit und begab sich auf friedlicherem Weg zur Befreiung aus imperialer Macht. Im Kampf um die Rechte indischer Einwanderer entwickelte der indische Nationalführer Mahatma Gandhi Anfang des Jahrhunderts als junger Anwalt in Südafrika die Methoden des gewaltlosen Widerstands, die ihn später zum Freiheitsführer Indiens machten.
Freiheitsideen legten schon früh den Keim des Niedergangs in ein koloniales System, das zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zwei Drittel der Erde umfasste. Ganze Kontinente waren aus ihrem Eigenleben in ein fremdes, westliches Zeitalter katapultiert worden. Mit imperialer Arroganz hatten die Grossmächte ihre Herrschaft und ihre Ideen über ältere Welten gestülpt. Jedoch weltpolitische Veränderungen und Freiheitsbewegungen liessen das koloniale System schon um die Jahrhundertmitte zusammenbrechen. Die Zustände in der vorkolonialer Welt waren nicht human im heutigen, westlichen Sinn. Wenn die Menschen in einigen Teilen der nachkolonialer Welt jetzt grösserem Leid ausgesetzt sind als früher, dann ist dies auch eine Spätfolge der bösen imperialistischen Tat.
Denn mit Kolonialisierung und Imperialismus fügten die Weissen mit künstlichen Grenzen zusammen, was nicht zusammen gewachsen war, und rissen auseinander, was zusammengehörte!
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