a¸ Entwicklung Indiens bis zum Ende des 1.WK:
In der Zeit des Bestandes der brit. Kronkolonie (1858-1947) bezeichnete "Indien" den indischen Subkontinent, politisch gegliedert in Britisch-Indien und über 500 halbautonome Fürstenstaaten unter brit. Oberhoheit.
1877 wurde die Kolonie zum Kaiserreich erhoben und Victoria "Kaiserin von Indien".
Unter dem Schirm der "Pax Britannica" kam es während des 19.Jh. in Indien zu bedeutsamen geistigen Wandlungen. Nachdem die Kolonialherrn 1835 beschlossen hatten die englische Sprache und Kultur zur alleinigen Grundlage der höheren Erziehung zu machen, begannen tausende junge Inder, bereitwillig sich westlichen Einflüssen zu öffnen, Englisch und europäische Wissenschaften zu studieren. (Viele aber nur, um zumindest Stellen als untergeordnete Beamte zu bekommen.)
Neben dieser Begeisterung wurde aber auch kritische Ablehnung und Besinnung auf eigene kulturelle Werte immer stärker. In Folge kam es zu einer Neubelebung des Hinduismus und zu Versuchen, westliche Bildung mit diesen zu vereinen.
Daraus und aus Unruhen (aufgrund der ständig steigenden Steuerbelastung, Hungersnöten, der expansiven Grenzpolitik,..) entstand schließlich die Bewegung des indische Nationalismus , die 1947 ihr Ziel, die Unabhängigkeit, erreichte.
Die verschiedenen hinduistischen Reformvereinigungen, die ständig gegen den erbitterten Widerstand der Orthodoxie ankämpfen mußten, setzten sich, neben der Lockerung religiöser Ansichten, für eine Sozialreform (Ausräumung der Mißstände der Hindu-Gesellschaft, z.B: Kleinkinderehen,..) und vorallem für eine Modernisierung im Erziehungswesen ein. Denn schon bald machten sich die Nachteile des, ohne Abänderungen nach Indien verpflanzten, englischen Unterrichtssystems bemerkbar. ( Lebensferne, zu wenig gut ausgebildete Lehrkräfte,..)
Gleichzeitig begannen erste bedeutende politische Auseinandersetzungen mit der britischen Regierung. So kam es 1885 durch die schmale englisch gebildete Mittelschicht, unter Mitwirkung liberaler Engländer, zu Gründung des Indian National Congress.
Dieser war in seiner Frühzeit zwar nicht antibritisch eingestellt, strebte aber bessere Bedingungen für Indien (als Kolonie) an..
Einige seiner Forderungen waren: . verstärkte Beteiligung von Indern an der Verwaltung und Regierung (nicht nur einer kleinen Elite) . Modernisierung der Landwirtschaft und Senkung der Steuerlast zur Bekämpfung des Massenelends . Mehr Geld für die Volksbildung ( damals 90 % Analphabeten) . Steigerung der Industrialisierung ( Ziel: größtmögliche industrielle Selbstversorgung)
Viele dieser angedeuteten Schwierigkeiten mußten das freie Indien und Pakistan später als Erbe der Kolonialzeit übernehmen. Die Schuld für die Mißstände liegt (zu einem geringen Anteil) aber auch bei den Indern.( durch die produktionshemmende Wirkunges des Kastenwesen, Scheu der Inder vor Schädlingsbekämpfung,....)
Da alle Petitionen nichts fruchteten , kam es im Kongreß bald zu einer inneren Spaltung : Die Extremisten unter ihrem Führer Tilak ( 1856-1920) wollten den Freiheitswillen ihrer Landsleute wecken, sahen den Grund für Indiens Armut in der Fremdherrschaft und strebten eine nationale Revolution an.
Für die Gemäßigten unter Gokhale (1866-1915) war die Reform der indischen Gesellschaft das wichtigste Ziel. Sie strebten die soziale Evolution an.
1907 wurde die Radikale Gruppe, nachdem sie auch zu Terror gegriffen hatte, aus dem Kongreß verdrängt.
Diese nun rein gemäßigte Vereinigung erreichte1909 einige Zugeständnisse von den Engländern ( z.B: der ind. Stimmenanteil in der Legislative wurde verstärkt,..), welche allerdings nur ein kleiner Schritt in Richtung Selbstregierung waren und nur gemacht wurden, um die Lage in Indien zu beruhigen.
Die Muslims (damals ca. ¼ der Bevölkerung), hatten 1906, als Gegengewicht zum ursprünglich überkonfessionellen Kongreß, die Muslim-Liga gegründet, welche 1909 einen für die weitere Entwicklung wichtigen Erfolg - gesonderte Wahllisten für Muslims -.erzielte.
Aufgrund der türkenfeindlichen britischen Haltung in den Balkankriegen schwenkten die indischen Muslims mehr und mehr in die nationale Front ein.
Nach anfänglicher Loyalität Indiens im 1.WK entstand 1916 ( der Kongreß stand seit 1915 wieder unter dem Einfluß der Extremisten) eine, von Muslims und Hindus gleichermaßen unterstütze home rule - Bewegung, die einige ihrer Ziele in den Reformen von 1919 verwirklicht sah: Dezentralisierung ( Einteilung in Zentral-und Provinzregierungen), Schaffung von Parlamenten, mehrere ind. Minister, mehr Wahlberechtigte.
Im Kongreß (die Gemäßigten waren 1918 ausgetreten) schwankte man allerdings lange, ob man sich mit dieser neuen Verfassung zufrieden geben sollte.Schließlich trat 1919 Mahatma Gandhi an die Spitze der indischen Nationalbewegung und führte diese in eine völlig neue Phase.
b¸ Indien zwischen den beiden Weltkriegen :
M.K. Gandhi ( 1869-1948) war ursprünglich in England ausgebildeter Rechtsanwalt. Die drei Kernbegriffe in Gandhis religiös-politischem Denken waren : Wahrheit, Gewaltlosigkeit , Keuschheit.
Die Wahrheit war für ihn das höchste Prinzip des Seins (=Gott) . Unter Gewaltlosigkeit verstand er nicht nur passiven Widerstand, sondern auch den Versuch, dem Gegner mit Liebe zu begegnen ( "echte Gewaltlosigkeit setzt die Fähigkeit zur Gewaltanwendung voraus, sonst ist sie Hilflosigkeit"). Mit Keuschheit meinte er, neben sexueller Enthaltsamkeit , vorallem Beherrschung der eigenen Sinne und Affekte.
Gandhi trug die Nationalbewegung, die von der kleinen elitären Bürgerschicht ausging, in das indische Volk und wurde dafür von diesem wie ein Heiliger verehrt. ( Ehrentitel mahãtmã = "dessen Seele groß ist")
Für seine Widersacher (vorallem Intellektuelle) aber war die ständige Vermischung von Religion und Politik und seine Sozialethik ( "die Reichen als Treuhänder der Armen") unannehmbar.
G. war zwar nur einmal Präsident des Kongresses (1924), stand aber seit 1920 (inoffiziell) an seiner Spitze. Man kann ihn heute weder den Gemäßígten noch den Extremisten zuordnen ( Sozialethik , religiöse Toleranz , aber zugleich Kampf gegen die "Welt der Maschine....") .
Die indische Erbitterung über häufig brutalste Vorgangsweisen der Regierung, die pol.-wirtsch. Depression der Nachkriegszeit und die schlechte Behandlung des türk. Kalifen durch die Briten machten es ihm möglich Hindus und Muslims ( im Zeichen der religiösen Toleranz) zusammenzuführen und zu seinem "ersten Feldzug" ( = Nichtzusammenarbeit mit der Fremdherrschaft durch Boykott der Wahlen, Schulen und Gerichte) zu veranlassen. Da diese religiöse Harmonie nicht von Dauer war , mußte Gandhi die Aktion 1922 abbrechen. Infolge wurde er für 2 Jahre inhaftiert.
Trotz einiger Veränderungen im politischen Leben Indiens nahmen die sozialen Spannungen in den folgenden 8 Jahren kontinuierlich zu . M.A.Jinnah (1876-1948) stellte sich an die Spitze der Muslim-Liga und führte diese mit starker Hand in Richtung muslimischen Separatismus und die orthodoxen Hindus kämpften um die Rückbekehrung indischer Muslims zum Hinduismus.
Zur politischen Radikalisierung ( der Kongreß war wieder in mehrere Flügel aufgespalten) trug auch J.Nehru mit der Gründung der kommunistischen Partei in Indien wesentlich bei.
1927 kam es , nachdem bei der Überprüfung der Verfassung kein Inder in die Kommission aufgenommen worden war, wieder zum Boykott. Man forderte den Dominion-Status , die Radikalen sogar die völlige Unabhängigkeit vom britischen Empire.
Gandhi, nach einigen Jahren wieder in die Politik zurückgekehrt, stellte den Briten ein Ultimatum, um die Forderungen der Gemäßigten zu erfüllen. Als dieses abgelehnt wurde, startete er die Kampagne des "Bürgerlichen Ungehorsams" ( sein "2. Feldzug"). Die Bewegung wuchs schnell, die Muslims blieben ihr allerdings fern. Obwohl mehr als 60000 Menschen verhaftet , Gandhi interniert und viele ausgepeitscht wurden, hielten sich die Massen fast überall an das Gebot der Gewaltlosigkeit.
Die Regierung sah bald ein, daß die Vorbereitung einer neuen Verfassung ohne die Beteiligung des Kongresses nicht mehr möglich war . Daher wurden Gandhi und andere Politiker freigelassen und der Kongreß vom Vizekönig als der wichtigste Vertreter des indischen Volkes und gleichberechtigter Verhandlungspartner anerkannt. Erneute Konflikte zwischen den Religionsgruppen verhinderten allerdings einen gemeinsamen Verfassungsentwurf.
Infolge wandte sich Gandhi dem Problem der Unberührbaren zu , um innere Einheit ("innere Freiheit") der äußeren Freiheit vorangehen zu lassen. Währenddessen versickerte der Feldzug der "Civil Disobedience" immer mehr, bis er 1934 entgültig eingestellt wurde.
Die Macht der Nationalbewegung und des Kongresses war zwar seit 1922 gewaltig gewachsen, aber handgreifliche Erfolge waren auch nach diesem 2.Feldzug nicht zu vermerken.
Im Kongreß kam es zu Kontroversen über Gandhis Führungsmethoden ( -> Bildung der Nationalist Party und der Congress Socialist Party), worauf dieser mit dem Austritt reagierte. (Inoffiziell blieb er allerdings weiterhin an der Spitze der ind. Nationalbewegung)
Erst 1935 wurde eine neue Verfassung (" Government of India Act") verabschiedet, welche die Gründung eines gesamtindischen Bundesstaates vorsah ( unter Miteinbeziehung der bis jetzt halbautonomen indischen Fürstentümer) und zugleich , durch einige Vorteile für die Fürsten, deren Loyalität stärken sollte.
Die Verfassung war für viele enttäuschend. Von Dominion-Status für ganz Indien war keine Rede , nur in den Provinzen Britisch-Indien gab es einige entscheidende Neuerungen (provinzielle Autonomie, ungeteilt ind. Ministerien,...). In diesen ging man auch sofort an die Verwirklichung von Gandhis Reformplänen. Der Gandhi-Kult, die Überheblichkeit der Kongreßpolitiker und die Angst vor einer entgültigen Hindu-Herrschaft provozierten die Muslims ( besonders die Gruppe um Jinnah) ständig . Sie sahen bereits in den 30ger Jahren die staatliche Trennung der beiden Religionen als den einzigen Ausweg.
Diese "Zwei-Nationen"-Theorie wurde 1940 zum offiziellem Programm der Muslim-Liga.
c¸ Indien von 1939-1947
1939 gründete der ehemalige Kongreßpräsident S.C.Bose, aufgrund seines faschistischen Gedankenguts zum Rücktritt gezwungen, eine weitere Partei: den Forward Bloc . In Indien verfolgt floh er wenig später nach Singapur, wo er aus Kriegsgefangenen und Auslandsindern die Indian National Army (INA- sie schwor der Gewaltlosigkeit ab) bildete. Diese wurde innerhalb kürzester Zeit auch in Indien so populär, daß es zu Massendemonstrationen kam und der Nationalismus sogar auf die -bis jetzt loyalen- indischen Soldaten übergriff
Alle anderen Politiker des Landes ließen keinen Zweifel an ihrer antifaschistischen Haltung. Trotzdem waren sie sich, nachdem Indien am 3.9.1939 von den Briten einfach zum kriegführenden Land erklärt worden war, in den nächsten Jahren nie einig, ob sie England ihre volle Unterstützung zusichern sollten (Da die Briten auf die indischen Forderungen nach Freiheit nie eingingen).
Als jedoch die Verteidigungsfrage nach dem Kriegseintritt Japans (Dez.1941) dringend wurde, rief der Vizekönig zur politischen Einigung auf und die Engländer sandten Sir Cripps mit den ersten Verhandlungsvorschlägen ( u.a.: Dominion-Status).
Da diese (aufgrund einiger Nebenbedingungen) abgelehnt wurden und eine japanische Invasion drohte, übergab man Gandhi wieder die Führung. Dieser forderte (nach einer plötzlich radikalen geistigen Wendung) den sofortigen Abzug der Briten , damit das Land alle Kräfte gegen die Japaner mobilisieren könne. Die Kolonialherren reagierten schlagartig: Gandhi und die Kongreßführung wurden verhaftet und der Kongreß verboten (bis 1945). Das führte zu einer Veränderung der innerindischen Machtverhältnisse. Besonders die Kommunistische Partei und die Liga konnten ihre Position bedeutend stärken.
Nach Kriegsende hatte sich die Weltlage verändert. England war geschwächt und konnte die zerrissene, aber größte Kolonie der Welt nicht mehr halten. Auf der anderen Seite war es aber unmöglich Indien von einem Tage auf den anderen in die Unabhängigkeit zu entlassen.
Daher versuchte man bereits 1945 eine Interimsregierung zusammenzusetzen, was aber lange Zeit an dem Wider,0stand der Liga ( unter der Führung Jinnahs) scheiterte. Indien war bereits offensichtlich religiös und politisch gespalten. Nach mehreren blutigen Auseinandersetzungen gelang das Vorhaben schließlich 1946 , worauf die radikalen Muslims zum Boykott der Verfassungsgebenden Versammlung aufriefen.
Der letzte britische Vizekönig, Lord Mountbatten, überzeugt , daß die einzige Alternative zu Bürgerkrieg die Teilung des Landes in Indien und Pakistan ( beide im Dominion-Status und Mitglieder des Commonwealth) sei, legte der britischen Regierung einen entsprechenden Plan vor, welcher , nach der Zustimmung Jinnahs und des Kongresses, im Juli 1947 genehmigt wurde. ( Indian Independence Bill = Gesetz)
Da Mountbatten täglich ein Zerbrechen der Interimsregierung befürchtete, wurde der Unabhängigkeitstag um fast ein Jahr vorverlegt. In knapp zwei Monaten mußte eine der größten Verwaltungsmaßnahmen der Geschichte vollzogen werden ( Teilung v. Administration, Finanzen,Armee..). Am 15.8.1947 wurden die beiden Länder in die Unabhängigkeit entlassen, doch bereits am selben Tag zeigte die Hast der Machtübertragung ihre (blutigen) Folgen. Im Panjab hatten Sikhs (verzweifelt über die Zerschneidung ihres religiösen Stammlandes) und fanatische Muslims und Hindus ein grauenhaftes Massaker begonnen. Eine Massenflucht (Sikhs und Hindus nach Indien, Muslims nach Pakistan) setzte ein, Unsicherheit über den genauen Grenzverlauf steigerte die Panik. Keiner war auf diesen riesigen Bevölkerungsaustausch organisatorisch vorbereitet und die Briten scheuten sich vor direkter Einmischung. Die Zahl der Opfer dieser Vorgänge wird auf weit über 100000 geschätzt.
In Bengalen, dem 2. zerschnittenen Teil Indiens, blieb die Bevölkerung ruhiger . Das war Gandhis Verdienst, der als großer Gegner der Teilung, dort seinen ganzen Einfluß für eine Versöhnung der Religionen einsetzte.
Dafür wurde er am 30.Januar 1948 von einem Hindu- Extremisten erschossen. Der Schock, der darauf durch Indien und die ganze Welt ging, brachte selbst radikalste Stimmen für kurze Zeit zum Schweigen.
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