Es gibt fünf traditionelle, wissenschaftliche Konzepte, die versuchen, das Phänomen "Straßenkind" zu erklären.
3.1 Medizinisch-psychiatrisches Konzept
Dieses Konzept war bis zum Ende der 60er Jahre das dominierende Modell. In ihm wird als Ursache eine angeborene bzw. erworbene Abnormität der Psyche angenommen. Die Jugendlichen, die von zu Hause ausreißen, leiden nach dem Modell unter einer sog. Poriomanie, so die Bezeichnung für den "Wandertrieb", der vor allem in der Pubertät auftritt und die Jugendlichen dazu treibt, von zu Hause fortzulaufen. Für Außenstehende ist keine Konfliktsituation ersichtlich, die das Fortlaufen begründen könnte. Es wird davon ausgegangen, dass es sich um "Spontanfortläufer" handelt.
3.2 Psychologisch-pädagogisches Konzept
Bei diesem Erklärungsmodell wird das Umfeld der Jugendlichen in die Überlegungen zu den möglichen Ursachen des Fortlaufens mit einbezogen. Trotzdem wird der Blick noch auf die psychologischen Defizite und Abnormitäten der Jugendlichen geworfen. Die "Ausreißer" werden oft als psychisch gestörte und leicht zu beeinflussende Persönlichkeiten dargestellt. Das Fortlaufen wird in erster Linie als Hinweis auf Verwahrlosung der Jugendlichen angesehen.
3.3 Sozialisationstheoretisches Konzept
In diesem Modell wird das Ausreißen nicht mehr als Krankheit, sondern als Problemlösungsversuch betrachtet und nicht als individuelle Abweichung gesehen, sondern auf die Hintergründe der sozialen Bezüge, wie z.B. problematische Familie oder belastende Schulsituationen der Kinder und Jugendlichen zurückgeführt. Es wird zwischen "Wegläufern", bei denen eine massive Eltern-Kind-Entfremdung vorliegt, und "Rausgeschmissenen", die von ihren Eltern ausgestoßen werden, unterschieden.
3.4 Sozialstrukturelles Konzept
Dieses Modell sucht die Ursachen des Weglaufens in unserer Gesellschaft und nicht in der Familie oder den sozialen Bezügen des Einzelnen. Nach diesem Modell führen gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse zu ungleichen Möglichkeiten, die als erstrebenswert definierten kulturellen Ziele zu erreichen. Oft sind die Chancen sehr gering, diese mit legitimen Mitteln zu erfüllen. Das Fortlaufen ist also eine Reaktion auf das Unvermögen, den kulturellen Zielen gerecht zu werden.
3.5 Konzept des labeling approach
Dieses Modell geht davon aus, dass Jugendliche, die in gewissen Hinsichten von den gesellschaftlichen Normen abweichen, deshalb aus der Gesellschaft ausgestoßen werden. Sie entwickeln keinerlei Motivation, sich in die Gesellschaft zu integrieren, sondern versuchen sich noch weiter von dieser abzugrenzen.
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