Europäische Union Die Entwicklung der Europäischen Union basiert auf dem Vertrag von Maastricht.
Die EU als das gemeinsame politische Dach der europäischen Integration basiert auf drei so genannten Pfeilern: auf der EG als dem ersten und wichtigsten Pfeiler und wirtschaftlichem Fundament, auf der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als dem zweiten und der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (JI) als dem dritten Pfeiler. Der erste Pfeiler repräsentiert die vergemeinschaftete Dimension, der zweite und der dritte Pfeiler sind auf der Ebene der Regierungszusammenarbeit angesiedelt.
2.1 Europäische Gemeinschaft
Die Europäische Gemeinschaft (nicht zu verwechseln mit den Europäischen Gemeinschaften) wurde durch den Titel II des EU-Vertrages ("Bestimmungen zur Änderung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Hinblick auf die Gründung der Europäischen Gemeinschaft") aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) geschaffen und gegenüber der EWG mit weiter reichenden Kompetenzen und Aufgaben ausgestattet. Aufgabe der EG ist laut dem reformierten EWG-Vertrag (EG-Vertrag) die Errichtung des Binnenmarktes und die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion - die Kernstücke der EU überhaupt - sowie darauf aufbauend die Sorge um eine "harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, . den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten". Die Kompetenzen der EG konzentrieren sich entsprechend auf den wirtschafts- und finanzpolitischen Bereich: die Ausgestaltung des am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Binnenmarkts, die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion, die mit der Einführung des Euro in elf der 15 EU-Staaten am 1. Januar 1999 die dritte und letzte Stufe erreichte (siehe Europäische Währungsunion), die gemeinsame Agrarpolitik, die etwa die Hälfte des gesamten EU-Haushaltes beansprucht, die gemeinsame Strukturpolitik inklusive der Verwaltung der Strukturfonds etc.
Je nach Bereich verfügt die EG über mehr oder weniger weit reichende, von den Mitgliedsstaaten übertragene Rechtssetzungskompetenzen. Besonders in den in hohem Maße vergemeinschafteten Bereichen, in denen sich die Mitglieder zu einer "gemeinsamen Politik" verpflichtet haben - wie etwa der Wirtschafts- und Währungsunion und der gemeinsamen Agrarpolitik - können die Organe der Gemeinschaft Recht setzen, das unmittelbar für alle Mitgliedsstaaten und alle natürlichen und juristischen Personen der EU gilt, ebenso wie für die Gemeinschaft und ihre Organe selbst. Neben diesen so genannten Verordnungen kann die Gemeinschaft auch Richtlinien erlassen, ebenfalls rechtsverbindliche Anordnungen, die von den Mitgliedern in jeweils nationales Recht umgesetzt werden müssen.
Durch die Verträge von Maastricht und Amsterdam wurden die Kompetenzen der EG in einigen Bereichen deutlich erweitert, z. B. in der Beschäftigungs- und Sozialpolitik (so wurde durch die Aufnahme des Sozialabkommens in den Amsterdamer Vertrag eine gemeinsame Sozialpolitik institutionalisiert), in der Umweltpolitik sowie im Hinblick auf die Transeuropäischen Netze und die Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung. Durch den Amsterdamer Vertrag wurden zudem einige wichtige Aspekte aus dem dritten Pfeiler in die Kompetenz des vergemeinschafteten Bereichs übertragen, und zwar die Asyl-, die Flüchtlings- und die Visapolitik, die Außengrenzenkontrollen, die justitielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und die Bekämpfung von Betrügereien zu Lasten des EU-Haushaltes (Titel IV des revidierten EG-Vertrags).
Bei all ihren Tätigkeiten und Initiativen folgt die Gemeinschaft dem im EG-Vertrag festgeschriebenen Prinzip der Subsidiarität, d. h., sie wird in Bereichen, für die nicht ausschließlich sie zuständig ist, nur dann tätig, wenn ein Vorgehen der Gemeinschaft wirksamer ist als Maßnahmen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene. Daneben unterliegt die Tätigkeit der Gemeinschaft den Prinzipien der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit, d. h., ihre Maßnahmen dürfen nicht über das zur Verwirklichung der Vertragsziele Notwendige hinausgehen. Durch diese Maximen soll eine möglichst große Bürgernähe bei den Entscheidungen gewährleistet und Zentralismus und Bürokratie in einem angemessenen Rahmen gehalten werden.
2.1.1 Organe
Plenarsaal des Europäischen Parlaments Die Plenarsitzungen des Europäischen Parlaments finden in der Regel in Straßburg statt. Die Mitglieder des Parlaments werden seit 1979 direkt von der Bevölkerung der EG- bzw. EU-Mitgliedsstaaten für fünf Jahre gewählt; die Sitze werden unter den Mitgliedsstaaten im Verhältnis zu ihrer jeweiligen Einwohnerzahl verteilt. Die Abgeordneten schließen sich nicht in Länderfraktionen zusammen, sondern bilden länderübergreifende politische Blöcke.Sarah Erringon/Hutchison Library
Erweitern
Die supranationalen Organe der EG bzw. der EU insgesamt sind im Wesentlichen identisch mit denen ihrer Vorgängerorganisation EWG bzw. Europäische Gemeinschaften; durch die Verträge von Maastricht und Amsterdam wurden jedoch ihre Aufgaben und Kompetenzen teilweise modifiziert, und es kamen einige neue Gemeinschaftsorgane hinzu. Oberstes Entscheidungs- und Gesetzgebungsorgan ist der Rat der Europäischen Union (Ministerrat), wichtigstes Exekutivorgan ist die Europäische Kommission. Das Europäische Parlament, die direkt gewählte Volksvertretung der EU, hatte vor Gründung der EU außer haushaltspolitischen kaum Kompetenzen; seither wurden seine Befugnisse als legislatives und Kontrollorgan deutlich ausgeweitet. Die Judikative der EU liegt beim Europäischen Gerichtshof, die Kontrolle der Haushaltsführung beim Europäischen Rechnungshof. Zur Überwachung des Europäischen Währungssystems wurde 1994 das Europäische Währungsinstitut gegründet, das am 1. Juli 1998 von der Europäischen Zentralbank abgelöst wurde. Nur beratende Funktion haben der Wirtschafts- und Sozialausschuss und der durch den Vertrag von Maastricht gegründete Ausschuss der Regionen; sie müssen allerdings in allen sie betreffenden Fragen vom Ministerrat und der Kommission gehört werden. Ebenfalls durch den Vertrag von Maastricht neu geschaffen wurde das Amt des Europäischen Bürgerbeauftragten, bei dem jeder Bürger der EU Klage gegen Missstände, Willkür oder Versäumnisse der Organe und Institutionen der Gemeinschaft einreichen kann. Oberste, die politischen Leitlinien vorgebende Instanz der EU, jedoch kein Organ im eigentlichen Sinne, ist der Europäische Rat, das institutionalisierte Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU.
2.2 Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) entstand aus der 1969/70 entwickelten und erst 1986 in der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) vertragsrechtlich institutionalisierten Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ). Im Vertrag von Maastricht (Titel V) wurde die EPZ zur GASP weiterentwickelt. Die GASP, eines der drei zentralen Elemente der EU, bedeutet gegenüber der EPZ institutionell und inhaltlich eine erhebliche Vertiefung; sie ist jedoch noch keine tatsächliche gemeinsame Außenpolitik der EU und ersetzt keinesfalls die jeweils nationale Außenpolitik ihrer Mitglieder. Ziel der GASP ist im Wesentlichen die Verwirklichung einer sich auf alle Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik beziehenden gemeinsamen Politik einschließlich einer verteidigungspolitischen Komponente, die in Form der Integration der Westeuropäischen Union (WEU) in die EU verwirklicht werden sollte. Die GASP ist auf der zwischenstaatlichen Ebene, d. h. auf der Ebene der Regierungszusammenarbeit, angesiedelt, wird jedoch zunehmend auch auf die supranationalen Organe der EU verlagert.
Die Grundsätze und Leitlinien der GASP werden vom halbjährlich tagenden Europäischen Rat festgelegt; im Rat "Allgemeine Angelegenheiten", dem Rat der Außenminister, wird dann die gemeinsame Außenpolitik konkret abgestimmt. Dafür stehen der GASP mehrere Instrumente zur Verfügung: In "gemeinsamen Standpunkten", vom Ministerrat entwickelt, legen die Mitglieder für zentrale außenpolitische Bereiche gemeinsame Richtlinien fest, die von den Mitgliedern in ihren nationalen Außenpolitiken befolgt werden müssen. Des Weiteren kann der Ministerrat "gemeinsame Aktionen" beschließen, etwa die Entsendung von EU-Beobachtern oder von EU-Sonderbeauftragten vornehmlich in Krisenregionen, um dort die wirtschaftlichen Maßnahmen der Union politisch (beobachtend, vermittelnd etc.) zu begleiten. Während bei "gemeinsamen Standpunkten" Einstimmigkeit notwendig ist, kann über die Durchführung "gemeinsamer Aktionen" auch mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden, obwohl gerade die Außenpolitik traditionell die Souveränität der Einzelstaaten besonders tangiert. Der Vertrag von Amsterdam führte ein weiteres Instrument der GASP ein: die "gemeinsame Strategie", in der der Europäische Rat die grundsätzlichen Linien der Außenpolitik festlegt und über deren Durchführung der Ministerrat ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann. Gegenüber Drittstaaten wird die GASP von der so genannten Troika vertreten, der der jeweils amtierende Ratsvorsitzende und sein turnusgemäßer Nachfolger angehören sowie der durch den Vertrag von Amsterdam geschaffene Hohe Beauftragte für die GASP, der in Personalunion als Generalsekretär des Ministerrates fungiert. Vor In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrags bestand die Troika aus dem amtierenden Ratsvorsitzenden, seinem Vorgänger und seinem Nachfolger, d. h., das die Außenpolitik vertretende Gremium setzte sich halbjährlich neu zusammen; durch den Hohen Beauftragten für die GASP sollte nun der Außenpolitik der EU größere Kontinuität, Geschlossenheit und Effizienz verliehen werden.
Vor dem Hintergrund des Kosovo-Konfliktes erhielt die in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam angelegte Option auf die Erweiterung der GASP um eine verteidigungspolitische Komponente und die Integration der WEU neue Brisanz. Auf ihrem Gipfeltreffen Anfang Juni 1999, kurz vor dem Ende des Kosovo-Krieges, beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU, der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU größeres politisches Gewicht zu verleihen und politische und militärische Strukturen zu schaffen, die es der EU erlaubten, selbständig und unabhängig von den USA im europäischen Raum Krisenmanagement zu betreiben. Dazu wurde zum einen der Prozess der Integration der WEU in die EU forciert (u. a. auch daran erkennbar, dass der Hohe Beauftragte für die GASP, Javier Solana, im November 1999 zugleich das Amt des Generalsekretärs der WEU übernahm); zum anderen beschloss der EU-Gipfel im Dezember 1999 den Aufbau einer 60 000 Mann starken europäischen Eingreiftruppe bis 2003, die in der Lage sein sollte, die so genannten Petersberger Aufgaben, die 1992 für die WEU definiert worden waren, zu erfüllen, d. h. für Frieden schaffende und Frieden sichernde Maßnahmen sowie humanitäre Aktionen in Europa eingesetzt werden kann - jedoch ausschließlich mit UN-Mandat. Anfang 2000 begann die EU mit der Vorbereitung institutioneller Strukturen für ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik, und auf ihrem Gipfeltreffen im Dezember 2000 gründete sie formell ein Politisches und ein Sicherheitspolitisches Komitee, einen Militärausschuss und einen Militärstab als institutionelle Grundlagen für ein gemeinsames sicherheitspolitisches und militärisches Handeln.
In Bezug auf Planungskapazitäten, Ausrüstung und sonstige logistische Strukturen, über die weder die WEU noch die EU-Mitglieder in ausreichendem Umfang verfügten, war vorgesehen, auf die entsprechenden Einrichtungen der NATO zurückzugreifen - die USA machten dies sogar zur Bedingung für ihre Zustimmung zu der neuen europäischen Verteidigungsstruktur. Die Türkei allerdings, NATO-Mitglied und schwieriger EU-Beitrittskandidat, blockierte die Kooperation zwischen NATO und EU; sie forderte u. a. die volle Beteiligung bei Entscheidungen der EU über den Einsatz der Eingreiftruppe. Dies aber lehnte die EU ab. Die Position der Türkei in Bezug auf die NATO-EU-Kooperation wurde vielfach als Versuch interpretiert, die EU zu einer forcierten Behandlung ihres Beitrittsgesuchs zu veranlassen. Ende 2001 lenkte die Türkei schließlich ein - gegen eine Reihe Zugeständnisse seitens der EU. Nun aber stellte sich Griechenland dem Kompromiss zwischen der EU und der Türkei entgegen; Griechenland befürchtete eine Einflussnahme der Türkei auf die GASP und die Eingreiftruppe.
2.3 Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres
Der dritte wesentliche Pfeiler der Union, der ebenso wie die GASP auf der Ebene der Regierungszusammenarbeit angesiedelt ist, ist die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (JI), für die es vor der Gründung der EU noch keinerlei formellen Rahmen gegeben hatte. Die JI wurde durch Titel VI des EU-Vertrages institutionalisiert. Ziel der JI ist die Schaffung "eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", in dem für jeden Bürger der EU Sicherheit und Freizügigkeit gleichermaßen gewährleistet sein sollen. Verwirklicht werden soll dies in erster Linie durch die völlige Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und durch den Ausbau der inneren Sicherheit, z. B. durch gemeinsame Verbrechensbekämpfung und die Verbesserung der Kontrolle an den Außengrenzen. Zugleich wird durch den Amsterdamer Vertrag das Schengener Abkommen zum Abbau der Binnengrenzen, das bisher nicht in die EU integriert war, in den institutionellen Rahmen der EU überführt.
Konkret umfasst die JI die Bereiche Asyl-, Visa- und Einwanderungspolitik, Kontrolle an den Außengrenzen, justitielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen, polizeiliche Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus und des internationalen und organisierten Verbrechens. Während zunächst, d. h. seit dem Vertrag von Maastricht, die genannten Bereiche vollständig in die Zuständigkeit der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit fielen, wurden durch den Vertrag von Amsterdam verschiedene Bereiche dem vergemeinschafteten Sektor und den entsprechenden Gemeinschaftsorganen übertragen; auf der Ebene der Regierungszusammenarbeit verblieben die polizeiliche Zusammenarbeit und die justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen.
Die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres findet zu wesentlichen Teilen im Ministerrat statt: Hier konsultieren sich die Mitgliedsstaaten in Angelegenheiten der JI, und hier koordinieren sie ihre Zusammenarbeit. Als Instrumente stehen dem Rat der "gemeinsame Standpunkt", die "gemeinsame Maßnahme" und das "Übereinkommen" zur Verfügung und seit dem Vertrag von Amsterdam auch der "Rahmenbeschluss". Seine Entscheidungen muss der Rat einstimmig treffen, Durchführungsbestimmungen zu gemeinsamen Maßnahmen können auch mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Rahmenbeschlüsse entsprechen in etwa den EU-Richtlinien, d. h., sie sind für die Mitgliedsstaaten verbindlich. Durch den Vertrag von Amsterdam wurden die Befugnisse einiger Gemeinschaftsorgane hinsichtlich der JI deutlich gestärkt: Das Europäische Parlament hat bei allen Rahmenbeschlüssen, Übereinkommen und anderen Beschlüssen ein grundsätzliches Anhörungsrecht, und der Europäische Gerichtshof ist für die Überwachung der Auslegung der die JI betreffenden Vertragsbestimmungen zuständig. Der Kommission kommt nach wie vor neben den Mitgliedsstaaten ein Initiativrecht bei der Gesetzgebung zu, und sie wird generell an der JI beteiligt. Des Weiteren wurde Europol durch den Vertrag von Amsterdam mit erweiterten operativen Befugnissen ausgestattet.
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