Um Konjunkturprognosen zu erstellen, betrachtet man normalerweise die realen Schwankungen des Sozialproduktes. Die Schwankungen weisen eine gewisse Regelmäßigkeit in Form von Wachstumszyklen auf. Ein solcher Zyklus dauert ungefähr 8 bis 9 Jahre und läßt si ch in vier Phasen unterteilen. Am Anfang steht stets ein kräftiger Aufschwung, der vom Tiefpunkt ausgeht. Es folgen dann eine Phase langsam abnehmender Wachstumsraten und dann ein erneuter Anstieg bis zum Gipfelpunkt. Nach diesem setzt die vierte Phase de s Abschwungs bis zum neuen Tiefpunkt ein. Aufgrund dieses Verlaufs läßt sich von einer vierphasigen M-Form der Wachstumszyklen sprechen.
Zeichnet beispielsweise die laufende Entwicklung des realen Bruttoinlandsproduktes von Vierteljahr zu Vierteljahr in den Jahren 1982 bis 1993 auf, so erkennt man die M-Form dieses 5.Wachstumszyklus durch die Verbindung der Hoch- und Tiefpunkte der Verlaufs punkte. Über diesen Zeitraum lassen sich folgende Feststellungen treffen.
. Die 1.Phase begann ungefähr Ende 1981 und dauerte bis Mitte 1984 an.
. Ende 1984 (Beginn von Phase 2) gingen die Wachstumsraten zurück und erreichten schließlich 1987 ihren Tiefpunkt (Übergang von Phase 2 zu Phase 3)
. Ab Ende 1987 (Beginn von Phase 3) nahmen die Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes wieder zu und erreichten Anfang 1990 (Ende Phase 3) ihr absolutes Maximum im 5. Wachstumszyklus. Ab Mitte 1990 (Beginn Phase 4) nahmen die Wachstumsraten sehr stark ab. Anfang 1992 werden die Wachstumsraten negativ, d.h. das reale Bruttoinlandsprodukt geht absolut zurück.
Die hohen negativen Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes Mitte und Ende 1992 führten zu der Annahme, daß man sich in der tiefsten Rezession seit der Nachkriegsentwicklung befinde. Betrachtet man jedoch die Abschwungphasen der vergangenen fünf Abschwun gphasen, so läßt sich diese Behauptung kaum aufrecht erhalten. Mit Ausnahme des 1. Wachstumszyklus wurden bei allen anderen Abschwungphasen die Wachstumsraten ähnlich stark negativ. Allerdings ist im 5. Konjunkturzyklus die Steilheit des Abschwungs wesent l ich größer, d.h. er verläuft über einen relativ kurzen Zeitraum. Dies führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu der Überbewertung des Abschwungs von 1992. Im 3.Quartal 1993 begann dann der 3. Konjunkturzyklus mit seiner 1.Phase. Am Anfang des Jahres 1995 läß t sich der Übergang von Phase 1 in Phase 2 ansetzen. Die Konjunktur verläuft seit diesem Zeitpunkt jedoch zuwider jeder Theorie. Anstelle eines normalen und der Theorie entsprechenden langsamen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes in Phase 2 brach die Indus tr ieproduktion dramatisch ein. Gleichzeitig hat sich jedoch die Kapazitätsauslastung seit dem 1. Quartal 1995 weiter erhöht. Dies ist ein eindeutiger Widerspruch. Um diesen aufzuklären, bedarf es einer genaueren Betrachtung der anderen wirtschaftlichen Da ten . Ein starker Rückgang der Auftragseingänge aus dem Ausland aufgrund des schwachen Dollars hat primär zu einer Abkühlung des Geschäftsklimas sowie des Verlaufes der Industrieproduktion geführt. Auch aus dem Inland ist keine Belebung der Industrieproduk tion zu erwarten, weil die Inlandsnachfrage seit Jahren gleichgeblieben ist. Dies wird auch an den langfristig nahezu konstanten Einzelhandelsumsätzen deutlich. Daher war der Aufschwung seit Mitte 1993 auch hauptsächlich durch die steigende Nachfrage aus d em A usland begründet. Diese geht nun ebenfalls zurück. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sieht ebenfalls nicht besonders gut aus. War die Arbeitslosigkeit trotz guter Konjunktur in den Jahren 1993 und 1994 durch Rationalisierungen zur Erhaltung der Konkurrenz fähig keit gegenüber dem Ausland nur minimal gesunken, so wird sie nun wieder steigen. Dies zeigen auch die neuesten Zahlen. In den Sommermonaten ist die Zahl der Arbeitslosen nur um ca. 10000 zurückgegangen, d.h. sie ist saisonbereinigt gestiegen. Im Gege nsatz zu der Entwicklung dieser Konjunkturmerkmale steht jedoch weiterhin die steigende Kapazitätsauslastung. Eine Erklärung für diesen Widerspruch liefert bestenfalls die Umstellung der deutschen Industriestatistik. Anfang 1995 wurde die bisherige Branche nglied erung und Gewichtung durch eine Neue ersetzt. Genau seit diesem Zeitpunkt tritt auch der nicht zu erklärendende Widerspruch zwischen der Entwicklung der Industrieproduktion und der Kapazitätsauslastung auf. Die Statistiker versuchen nun die neuen Ri chtlini en auch auf die Jahre 1991 und 1994 anzuwenden und so wieder einen brauchbaren Vergleich zu ermöglichen. Dies ist allerdings nur bei einem Bruchteil der Daten möglich. Genaue Wirtschaftsdaten sind jedoch unbedingt notwendig, weil die private Hausha lte ihre n Konsum und die Unternehmen ihre Investitionen vielfach nach den Konjunkturprognosen richten. Im Extremfall könnten die falschen Statistiken daher zu einem weitgehenden Konsumverzicht der Haushalte und damit zu einer lang anhaltenden Wirtschaftsk rise führ en.
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