Als sieh vor rund 3000 Jahren die Griechen an der Westküste Anatoliens, in der heutigen Türkei, festsetzten fanden sie in den Heiligtümern der einheimischen Bevölkerung eine uralte Göttin der Fruchtbarkeit, die Große Mutter Kleinasiens vor. Man hat zahlreiche Bilder dieser Göttin ausgegraben. Sie trägt einen engen Rock, der mit Tiergestalten besetzt ist, eine hohe Kopfbedeckung, die eine entfernte Ähnlichkeit mit der Tiara des Papstes hat.
Die Griechen haben die fremdartige Fruchtbarkeitsgöttin übernommen und umbenannt. Sie machten die Große Mutter Kleinasiens zu der ihnen vertrauten Artemis.
Artemis, die Göttin der Jagd, beschützte nicht nur die in der Wildnis lebenden Tiere, auch die gebärenden Mütter und ihre Säuglinge. Die kleinasiatische \"Artemis\" erschien eben nicht als leichtgeschürzte Jägerin mit Pfeil und Bogen, vielmehr als geheimnis- und hoheitsvolle Nährmutter der Natur. Der marmorne Artemis-Tempel zu Ephesus wurde als \"die vornehmste, größte und schönste Weihestätte des Erdkreises\" bezeichnet. Nach der Eroberung der Stadt bot der Lyder-König sofort an, den beschädigten Tempel schöner und größer wiederherzustellen und die dazu nötigen Säulen zu stiften.
König Krösus legte großen Wert darauf, gerade bei den Griechen angesehen zu sein.
Krösus wurde von dem Perserkönig Kyros 546 v. Chr. besiegt. Derselbe Kyros nahm sieben Jahre später Babylon kampflos ein.
Die Perser hatten nichts dagegen, daß am Artemis-Tempel zu Ephesus weitergebaut wurde. Die Arbeiten an dem damals größten griechischen Tempel haben rund 120 Jahre gedauert. Eine doppelte Säulenreihe umgab die Cella, 107 Marmorsäulen von 18 Meter Höhe, ein Säulenwald. Die Decken und der Dachstuhl des Tempels waren aus Zedernholz, den berühmten Zedern des Libanon, die Engeltüren aus poliertem Zypressenholz. Die glänzenden Marmorböden spiegelten den Goldschmuck der Wände. Das Haus war von leuchtenden Farben erfüllt.
Niemand konnte voraussehen, daß nicht Naturgewalt und nicht die Furie des Krieges, daß ein Verbrechen das Heiligtum zerstören würde, ein Verbrechen, das sich, wie vom Verbrecher geplant, dem Gedächtnis der Nachwelt einprägen würde. 356 v. Chr. brannte der Tempel lichterloh.
Ein Psychopath namens Herostrat, der an krankhafter Geltungssucht litt, hatte das Gotteshaus angezündet, aus dem einzigen Wunsch heraus, mit dieser Wahnsinnstat von sich reden zu machen. Die Epheser haben bei Todesstrafe verboten, den Namen des Brandstifters jemals auch nur zu nennen. Der halbverrückte Frevler hat sein Ziel dennoch erreicht. Noch heute wird Zerstörung aus Geltungssucht als eine \"Herostratentat\" bezeichnet.
Die Göttin, so hieß es, habe bei der Geburt Alexanders des Großen in Pella der mazedonischen Königsresidenz bei Tessaloniki, heilend eingreifen müssen. In der Nacht, in der der Artemis-Tempel bis auf die Grundmauern niederbrannte, soll Alexander der Große geboren sein. Aus dem Schutt heraus sollte der Tempel wiedererstehen, am gleichen Ort, in gleicher Größe und Pracht, womöglich noch schöner, noch großartiger.
22jährig stand Alexander der Große vor dem neuen, damals noch lange nicht fertigen Artemis-Tempel, der später als eines der Sieben Weltwunder bezeichnet wurde. Er nahm, gleichsam unter den Augen der Artemis, eine Truppenparade ab, so wie Napoleon vor den Pyramiden tat. Er bot den Ephesern an, den Weiterbau zu finanzieren. Sie lehnten vorsichtig ab. Der Tempel der Artemis zu Ephesus war viermal größer als das Parthenon zu Athen. Er war das größte Heiligtum im griechischen Raum. Seine Ausstattung war die allerkostbarste, bestand aus Marmor und Gold. Praxiteles soll am Schmuck mitgearbeitet haben. Von 133 n. Chr. an ist Ephesus dem Imperium Romanum eingegliedert. 263 n. Chr. überfallt eine Gotenschar die Stadt. Sie plündert den Artemis-Tempel und steckt ihn in Brand. Vor hundert Jahren erst stieß der englische Archäologe John Turtle Wood nach jahrelangem Suchen in 6 Meter Tiefe auf die versunkenen Reste des Tempelfundaments. Von der Herrlichkeit des fünften Weltwunders ist heute nichts mehr zu sehen. Geblieben sind ein paar Säulenrollen in einem verschilften Tempel.
|