Für die Darstellung der grossen Entwicklungslinien der chinesischen Bevölkerung zu Beginn unserer Zeitrechnung ist verhältnismässig gutes Zahlenmaterial vorhanden. Für die Daten aus der Zeit vom 10. – 17. Jh. ergibt sich jedoch ein Unsicherheitsfaktor daraus, dass der Begriff der Familie und der fronpflichtigen Männer in erster Linie fiskalische Bedeutung hatte und nicht notwendigerweise den demographischen Gegebenheiten entsprach. Das Bild, das sich aus den Volkszählungen der Jahre +2 und 140 (den besten der älteren Zeit ) ergibt, zeigt sehr deutlich das Ende eines langen Besiedlungs- und Urbarmachungsprozesses, dessen Beginn auf etwa zwei oder drei Jtsd. vorher zur Zeit der neolithischen Revolution anzusetzen ist. Mit einer Bevölkerung von 50 – 60 Mio. schien China ein demographisches Gleichgewicht erreicht zu haben.
Zu Beginn des 13. Jh. mag China etwa 100 – 120 Mio. Einwohner gezählt haben, von welchen mehr als die Hälfte in den südlichen Provinzen ansässig war. Man weiss nur wenig über die Auswirkungen der mongolischen Eroberung am Ende des 13. Jh. Es ist nicht sicher, ob sie wirklich die Katastrophe war, als welche sie die Geschichtsschreibung darstellt. Jedoch ist Tatsache, dass das Land bei seiner Befreiung von den nomadischen Eroberern (1360) mindestens 40% der Bevölkerung verloren hatte. Vom Ende des 17. Jh. bis 1830 verdreifachte sich die Bevölkerung von 140 auf 400 Mio. Ein solcher Bevölkerungszuwachs erinnert stark an die gegenwärtige Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt. Er ist besonders bemerkenswert, weil er unmittelbar der europäischen Bevölkerungsexplosion voranging, ohne jedoch mit einer technischen oder industriellen Revolution in Zusammenhang zu stehen. Er erfasste das gesamte Gebiet Chinas, vor allem aber die halbtrockenen Provinzen des Nordwestens, wo die Bevölkerungszahl sich zwischen dem 16. Und 18. Jh. vervierfachte.
Das Fehlen einer sorgfältigen Dokumentation der Bevölkerungsentwicklung Chinas nach 1850 erschwert genaue Aussagen. Nachdem China 1850 430 Mio. Einwohner zählte, trat eine lange Zeit der Stagnation, sogar des Bevölkerungsrückgangs ein. Die meisten Beobachter am Ende des Kaiserreichs oder zu Beginn der Republik schätzten die Einwohnerzahl auf 400 Mio. Die Volkszählung von 1908, die allerdings unter sehr mangelhaften Bedingungen durchgeführt wurde, bezifferte die Einwohner des Kaiserreiches auf 374 Mio., eine Zahl, die jedoch sofort angezweifelt wurde. Verschiedene spätere Schätzungen schwanken um 450 Mio.
In der ersten Hälfte des 20. Jh. zeigte China die meisten der charakteristischen Merkmale eines unterentwickelten Landes. Vorwiegend landwirtschaftlich ausgerichtet, hatte es die Folgen der Bevölkerungsexplosion des 18. Jh. nicht überwinden können. Zweierlei fällt besonders auf: die ländliche Übervölkerung und das geringe Durchschnittsalter. Die Übervölkerung machte sich allerdings nicht, wie oft behauptet wird, in allen Landesteilen gleichermassen bemerkbar, da sie sehr ungleich verteilt war. In Bezug auf die durchschnittliche Lebenserwartung befand sich China jedoch im Gegensatz zu dem ehemaligen Britisch – Indien in einer sehr viel besseren Lage. Mit einer mittleren Lebenserwartung von 34 Jahren würde China heute sogar einen verhältnismässig guten Platz im Vergleich zu den Staaten der Dritten Welt einnehmen. Die Schwankungen der Sterblichkeitsziffern lassen sich schwerer rekonstruieren. Während der ersten Hälfte des 20. Jh. blieb China, das Land der Hungersnöte und Naturkatastrophen, weder vom Bürgerkrieg noch von den traditionellen Zyklen der Trockenheit und Überschwemmungen verschont. Man kann höchstens sagen, dass unter normalen Bedingungen die Sterbequote bei etwa 30‰ lag. Diese verhältnismässig hohe Zahl war durch eine Säuglings- und Kindersterblichkeit von etwa 300‰ bedingt, d.h., dass nur zwei von drei Kindern älter als 5 Jahre alt wurden, ein Verhältnis, das etwas günstiger liegt als die vergleichbaren Zahlen des ehemaligen Britisch-Indien.
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