In diesem Kapitel sollen die Reaktionen der Unternehmen auf die geänderten gesamtwirtschaftlichen Bedingungen und die daraus resultierenden Strategien aufgezeigt werden. Die Auswirkungen auf die Beschäftigung wird auch untersucht.
3.3.1 Strategien der Rüstungsunternehmen
Die geänderten gesamtwirtschaftlichen Bedingungen nach dem Ende der UdSSR verursachten verschiedene Reaktionsmuster und Strategien bei den Rüstungsunternehmen in Rußland. Die entwickelten Strategien ähneln denen der westlichen Rüstungsunternehmen. Die Situation der Rüstungsunternehmen in Rußland stellt sich aber wesentlich schlechter dar. Zu einem weil "ziviles Marketing-Know-How" aufgrund der schlechten Finanzlage nicht einfach eingekauft werden kann, was auch für das Stichwort "Diversifikation" gilt . Zum anderen weil ein großer Teil der Betriebe ausschließlich Rüstungsgüter hergestellt haben. Und wenn zivile Produktion in einem Rüstungsbetrieb vorhanden war, betrug der Anteil selten mehr als fünf Prozent.
Es können nun zwei wesentliche "Strategie-Blöcke" unterschieden werden. Der erste Block beinhaltet die "Strategie des Überwinterns" und der zweite die "Strategie der Ausweitung der zivilen Produktion"
Unternehmen, die der Strategie des Überwinterns anhängen, gehen davon aus, das die Rüstungsproduktion langfristig fortgesetzt wird. Im Vordergrund steht dabei der Export von Rüstungsgütern. Der Rüstungsexport war einer der wenigen Wirtschaftszweige in der UdSSR, der wirklich dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt war. Und für einige Unternehmen könnte diese Strategie aufgehen. Der Konversionsberater von Präsident Jelzin Maley forderte im Februar 1992, daß der russische militärisch-industrielle-Komplex zu einer Waffenexportindustrie umgewandelt werden soll. Diese Forderung kann aber langfristig die Lösung der wirtschaftlichen Probleme verhindern. Reformen werden hinausgeschoben.
Hinzu kommt, daß durch den Export der nationale Auftragseinbruch nicht ausgeglichen werden kann.
Einige Rüstungsunternehmen glauben an eine baldige Fortsetzung der nationalen Rüstung. Die ablehnende Haltung gegenüber Konversion und Veränderungen im allgemeinen hat ihre Wurzeln nicht nur in den schlechten Zukunftsaussichten sondern auch in der Realitätsferne und Inflexibilität des Managements. Die Hoffnungen der Unternehmen richten sich auf staatliche Subventionen, mit denen das monentane "Produktions-Tal" überbrückt werden soll. Einschneidene Produktions- und Strukturveränderungen stehen für die Unternehmen, die der Strategie des Überwinters anhängen, nicht zu Debatte.
Die Ablehnung von Veränderungen hängt zum einem mit (fragwürdigem) Prestige zusammen und zum anderen mit der Angst, wenn im "Ernstfall" ihre Produktion gebraucht werden sollte, nicht in der Lage zu sein, Rüstungsproduktion zu betreiben.
Andere Rüstungsunternehmen setzen auf die Ausweitung der zivilen Produktion. Zu einem versuchen "High-Tech"-Rüstungsunternehmen sowie im "Dual-use"-Bereich tätige Unternehmen, ihre technische Erfahrung in zivile Produkte einzubringen. Es handelt sich hauptsächlich um Unternehmen, die in den Bereichen Nachrichtentechnik, Luft- und Raumfahrt und Schiffbau tätig sind. Schiffbauunternehmen können häufig westliche Aufträge bekommen, weil eine arbeitsintensive "Großschiff-Fertigung" wegen der niedrigen Löhne in Rußland aktraktiv ist. Zum anderen gibt es Unternehmen, die ihre bisherigen Produktionspotentiale nicht ohne weiteres für eine zivile Produktion nutzen können. Sie haben Schwierigkeiten mit einer Umstellung aud zivile Produkte. Zwar werden Konsumgüterproduktionen ausgebaut, die in der Vergangenheit schon vorhanden waren, weil der Staat den Rüstungsunternehmen schon zur Zeit der UdSSR "zivile Produktion verordnete", jedoch ist die Produktivität dieser zivilen Bereiche im Vergleich zu traditionell zivilen Unternehmen gering. Die geringe Produktivität liegt an der Geringschätzung von zivilen Produktionsalternativen sowie dem Prestigedenken der Rüstungsfirmen. Aber auch an der Notwendigkeit des Einsatzes anderer Technologien. So wurde versucht, in einem ehemalige Geschoß-Unternehmen Schuhe herstellen zu lassen oder Kaffemühlen bei einer Firma des Schwermaschinenbaus zu fertigen.
Bessere Aussichten auf Erfolg haben zivile Alternativen, wenn sie von den betroffenen Unternehmen selber vorgeschlagen worden sind. Ein Beispiel ist die Werft "Baltiskij
Zavod", die den Innenausbau ihrer Kriegsschiffe selber vorgenommen hatte und nun dieses Wissen für den Bau von Möbeln gebrauchen kann.
Aber auch kleine Kontruktionsbüros haben gute und auch marktfähige Produktideen. Ihr Manko ist, daß sie nur über einen kleinen Musterbau verfügen und nicht über Kapazitäten zur Serienfertigung.
Aufgrund der oben dargestellten Sachverhalte bezüglich der Möglichkeiten der Produktionumstellung kommt Petra Opitz zu folgendem Fazit: "Eine direkte Ausrichtung der vorhandenen Potentiale auf zivilen Bedarf ist nur in den seltensten Fällen möglich, ansosnten unsinnig. Notwendig ist die grundsätzliche Umgruppierung vorhandenen Wissens und konzentrierte Ausrichtung auf neue zivile Zielsetzungen. (...) In der fehlenden Bereitschaft zur Produktionsaufnahme (Serienfertigung) spiegelt sich ein weiterer hemmender Effekt wider - die Geringschätzung des entstehenden russischen Binnenmarkts"
3.3.2 Auswirkung auf die Beschäftigung
Aussagen über die Auswirkung der Auftragsrückgänge im Rüstungssektor sowie der ansatzweisen Umstellung auf zivile Produktion zeichnen ein zum Teil widersprüchliches Bild der Beschäftigungslage.
Petra Opitz schreibt, daß obwohl nur für 2/3 der Beschäftigten Arbeit vorhanden ist, kaum Entlassungen stattfinden. Viele Mitarbeiter bleiben als Kurzarbeiter in den Betrieben. Entlassungen hat es nur bei Leuten im Vorruhestandsalter sowie bei Frauen gegeben. Rentable Betreibszweige "füttern" die Kurzarbeiter mit durch. Auf Massenentlassungen wurde wegen der Angst vor politischer Instabilität sowie der geringen Vorbereitung der Bevölkerung auf dieses Phänomen verzeichtet. Die Folge davon ist, daß der Durchschnittsverdienst in der Rüstungsindustrie sich inzwischen am unteren Ende des allgemeinen Durchschnittsverdients bewegt.
Das BICC hingegen berichtet von einem starken Rückgang der Beschäftigung im Rüstungssektor. Der Rückgang ist aber unterproportional zu dem Rückgang der Rüstungsproduktion. Die Beschäftigung im Rüstungssektor sank von 1991 auf 1992 um 9%
während die Produktion um 37% zurückging. Von 1992 auf 1993 sank die Beschäftigung um 12% und die Produktion um 30%.
Abb. 3-3: Rückgang der Produktion und Beschäftigung
Quelle: BICC Report 3, April 1995, Seite 57, zitiert nach "Center for Economic Forecasting"
Das Diagramm macht aber einen Trend deutlich: Während der Rückgang der Produktion abnimmt, nimmt der Rückgang der Beschäftigung zu.
Ein weiteres Problem der Rüstungsindustrie ist das Abwandern der Fachleute in andere Branchen, was von der Rüstungsindustrie z.T. mit Unverständnis quittiert wird. Man erkennt nicht, daß die Qualifikation der Mitarbeiter dann zerstört ist, wenn sie nicht mehr gebraucht wird.
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