Der große Erfolg der "Sappho" hatte zu einer Besserung der äußeren Umstände Grillparzers geführt. Eine Anstellung als Theaterdichter des Burgtheaters ermutigte ihn zum Schaffen neuer Werke. Es bedrückte ihn die allgemeine Lage der deutschen Bühne. Die in Deutschland verbreitete Ideologie, zu der Grillparzer sich im Widerspruch sah, war die Romantik, besonders die heute längst vergessenen Seitentriebe, die Ritterstücke und die bürgerlichen Dramen. Diese Unsicherheit wirkte auf den empfindsamen Dichter so sehr zurück, daß seine Gesundheit angegriffen wurde. Auch seine Mutter war dringend erholungsbedürftig und so entschlossen sie sich zu einem Kuraufenthalt. Sie wählten Baden bei Wien. Dort entdeckte Grillparzer in seinem Zimmer im mythologisches Lexikon von Hederich einen Artikel über Medea.
Grillparzer kannte die Geschichte dieser berüchtigten Zauberin sehr wohl. Doch erst der recht trockene Artikel des Lexikons ließ schlagartig vor ihm das neue Werk erstehen. Sogleich aber war ihm auch klar, daß sich der ungeheuere Stoff nicht in einem einzigen Drama bewältigen ließ. Der Gedanke einer Trilogie tauchte in ihm auf. An sich liebte er diese ausgedehnte Form nicht, die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man mit Stücken, die über einen einzigen Abend hinausgingen, Schwierigkeiten haben mußte. Aber er war auch überzeugt, daß sein Ruf und sein dichterisches Ansehen beim Theater und Publikum gefestigt genug waren, daß er erwarten konnte, man würde ihm auch ein solch ungewöhnliches Werk zubilligen. So entschloß er sich zur Trilogie.
Er begann zunächst mit ausführlichen Studien über frühere Bearbeitungen der Sage. Dazu zählen der Apollodorus (2. Jahrhundert v. Chr.), die Werken des griechischen Geographen Strabo (etwa 60 vor bis 20 nach Chr.), das unvollendete Epos "Argonautica" des Gaius Valerius Flaccus, Tragödien von Seneca und Euripides, die Fabeln des Hyginus und Werke Ovids, Homers und Hesoids. Er kannte wahrscheinlich auch die 1797 entstandene Oper "Medee" von Luigi Cherubini, die zwischen 1815 und 1817 mit viel Erfolg in Wien gespielt worden war, und möglicherweise auch das zur gleichen Zeit aufgeführte Melodram von Friedrich Wilhelm Gotter (l746-l797). Es ist auch mehr als wahrscheinlich, daß ihm die ,,Medea" des Stürmers und Drängers Friedrich Maximilian Klingers (1752-1831) nicht unbekannt war.
Die Arbeit ging zuerst zügig vonstatten. Schon im Oktober 1818 war die erste Tragödie, "Der Gastfreund", ein ein-aktiges Werk, beendet. Noch im gleichen Monat schrieb er auch die ersten drei Akte des zweiten Teils, "Die Argonauten" nieder. Der gewaltsame Tod der Mutter und eine Italienreise unterbrachen die Arbeit. Am 8. November 1819 begann er die Niederschrift des dritten Teiles der Trilogie, am 27. Januar 1820 war sie beendet. Den vierten und fünften Akt der "Medea" hatte Grillparzer in je zwei Tagen abgeschlossen. Gegen Mitte Oktober desselben Jahres stellte er die abschließende Überarbeitung fertig.
Die Uraufführung fand am 26. und 27. März 1821 Im Hofburgtheater statt. Die berühmte Sophie Schröder spielte die Medea was aber nur dadurch möglich wurde, daß alle Stellen in den Argonauten gestrichen wurden, die sich auf den jugendlichen Liebreiz Medeas bezogen, da die Schröder bereits das 50. Lebensjahr überschritten hatte und auch in ihrer Jugend nie schön war. Schon jetzt erkannte man die Schwierigkeit, die darin liegt, daß die jugendliche Medea der ,,Argonauten" und die um 10 Jahre ältere, gereifte und vom Leid gezeichnete Medea des dritten Teiles von der gleichen Schauspielerin dargestellt werden sollen. Der Erfolg des Werkes reichte bei weitem nicht an den der ,,Sappho" heran. Schon die zweite Aufführung, ausgerechnet die, deren Einnahmen Grillparzer als Honorar zugedacht waren, spielte sich vor mehr als halbleerem Haus ab. Das Interesse erlahmte rasch. Das Berliner königliche Theater, auf das Grillparzer große Hoffnungen gesetzt hatte, lehnte nach dem geringen Wiener Erfolg vorläufig eine Aufführung ab. Im Mai 1822 erschien Das goldene Fließ bei Wallishauser in Wien. Die erste Aufführung in Berlin fand am 19. August 1826 statt, es gab aber nur den dritten Teil.
Es hat sich eingebürgert, den dritten Teil, ,,Medea" allein zu spielen. So lange Grillparzer lebte, ist außerhalb Österreichs nur die ,,Medea" gespielt worden. Die ganze Trilogie wurde nur 9 mal, ,,Medea" aber 37 mal zu Grillparzers Lebzeiten am Burgtheater gespielt. Die anfänglichen Befürchtungen Grillparzers für seine Trilogie haben sich also bis zu einem gewissen Grad erfüllt.
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