Förderung ist kein Gebot aufgrund eines festgestellten Lerndefizits, Förderung muss vielmehr allen Schülern und Schülerinnen - auch den hochbegabten - zukommen.
Eigentlich hat in Europa eine deutliche schulpolitische Wende erst in den 80er Jahren eingesetzt. Heute können wir feststellen, dass in fast allen europäischen Ländern Begabungsforschung betrieben und Begabtenförderung realisiert wird. Da auf diesem Gebiet ein erheblicher Nachhholbedarf besteht, ist es außerordentlich wichtig, dass es eine gute Abstimmung zwischen Bildungspolitik, Wissenschaft und Schule gibt. Es sollte individuell zugeschnittene Förderprogramme im Hinblick auf eine harmonische und ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung geben.
Wissenschaftliche Statistiken weisen aus, dass rund 2,5 bis 5 % aller Kinder jedes Jahrgangs generell hochbegabt sind und weitere 25 % überdurchschnittliche Begabungen in speziellen Bereichen haben. Aus Gründen der Chancengleichheit sollte man den Unterricht nicht nur am Durchschnitt einer Klasse und am sogenannten unteren Bildungsgrad orientieren, sondern auch am oberen. Leistungsstärkere Schüler sollen die gleiche pädagogische Zuwendung bekommen, wie leistungsschwächere. Man will die Integration beider Gruppen. Man sollte Schüler verschiedener Begabung nicht prinzipiell voneinander trennen, sondern aufeinander zuführen. Das Recht einer optimalen Förderung wird schwachen Schülern nie abgesprochen, aber auch hochbegabte Kinder und Jugendliche haben dieses Recht auf eine ihren Anlagen entsprechende Förderung. In der Volksschule ist es schon möglich, dass überdurchschnittlich begabte Kinder Schulstufen überspringen. Setzt man dies in der Unterstufe und Oberstufe in den weiterführenden Schulen fort, so würden sie prinzipiell mit fünfzehn Jahren maturieren können.
Damit sich das Begabungspotential soweit als möglich entfalten kann, ist der junge Mensch auch auf die Hilfe seiner Umwelt, also der Eltern, Lehrer, Trainer angewiesen. Der Glaube, dass Hochbegabte sich auf Grund ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten im Zweifelsfall auch allein, ohne fremde Hilfe, durchsetzen würden, ist ein verhängnisvoller Irrtum.
Im Sinne einer gerechten Förderung aller, muss daher jeder Mensch seinen persönlichen Anlagen entsprechend gefördert werden - Hochbegabte genauso wie weniger Begabte. Dies ist nur durch ein differenziertes Bildungs- und Ausbildungsangebot, sowie ergänzende Fördermaßnahmen möglich. Nicht nur im Interesse des Individuums, sondern auch im Interesse der Gesellschaft verdienen es auch besonders Begabte gefördert zu werden. Junge Menschen brauchen Möglichkeiten zur individuellen begabungsgerechten Entfaltung, denn unsere Industriegesellschaft ist auf Kreativität und Leistungsfähigkeit von Spitzenbegabungen angewiesen. Man könnte zum Beispiel Freigegenstände für besonders begabte und interessierte Schüler mit entsprechenden Anforderungen gestalten, wobei aber Teilnahmevoraussetzung ein ausgezeichneter oder guter Schulerfolg sein sollte. Aber es sollten auch andere Schüler, die nur für einen bestimmten Kurs große Begabung oder Interesse haben, auf Antrag zu so einem Kurs zugelassen werden. Das Überspringen von Schulstufen als mögliche Begabtenförderung ist im Schulunterrichtsgesetz bereits geregelt, wobei bei der Entscheidung die Schulpsychologen und die Schulaufsicht eingebunden werden müssen. Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass das Überspringen einer Klasse das soziale Erleben hochbegabter Kinder nicht negativ beeinflusst, dass es sehr viel mehr positive Folgen als negative nach sich zieht. Wir können es uns nicht leisten, die Talente hochbegabter verkümmern zu lassen. Wenn sie ihre Fähigkeiten nicht entfalten können, kommt es langfristig zu weniger Spitzenleistungen in Wissenschaft, Wirtschaft, politischem und kulturellem Leben. Die Förderung besonders begabter und motivierter junger Menschen gehört zu den wichtigen Aufgaben unseres Bildungssystems. Für die immer komplexeren Herausforderungen unserer Welt brauchen wir Menschen, die mit hoher Kompetenz, wacher Intelligenz und sozialer Verantwortung zu denken und zu arbeiten gelernt haben. Ihr Wissen und ihre Kreativität stellen für jedes Land die Zukunft der industriell-wirtschaftlichen Entwicklung dar. Dazu müssen wir Begabungen systematisch entdecken und fördern. Die Förderung besonders begabter Kinder und Jugendlicher ist ebenso eine Verpflichtung für den demokratischen Staat wie die Förderung der Leistungsschwachen. Begabtenförderung soll eine Chance zur optimalen Entwicklung großer Talente, die mit einem Wachsen sozialer Verantwortung zwingend verbunden ist, sein.
In Deutschland gibt es bereits Kurse in welchen hochbegabte Kinder und Jugendliche gefördert werden. Buben und Mädchen, die diese Angebote nutzen wollen, müssen zunächst einen wissenschaftlich anerkannten, standardisierten Intelligenztest absolvieren. Nur Kinder die einen IQ von mindestens 120 haben werden aufgenommen. Das geschieht, um normal begabte Kinder vor allzu ehrgeizigen Eltern zu schützen, da sonst in den Kursen überwiegend die Kinder ehrgeiziger Eltern wären, und Kinder mit einem niedrigeren IQ wären so in den Kursen überfordert. Um den Vorsprung vor ihren normal begabten Mitschülerinnen und Mitschülern nicht zusätzlich zu vergrößern, wird in den Kursen kein Schulwissen vermittelt. Statt dessen lernen die hochbegabten Kinder und Jugendlichen den Umgang mit dem Computer oder Sprachen wie Chinesisch, befassen sich mit philosophischen, mathematische, physikalischen oder Wirtschaftsfragen.
Mindestens ebenso wichtig wie die geistige Auslastung ist, dass die Kinder in den Kursen andere Hochbegabte treffen.
"Hier in der Schule hast du es ja leicht gehabt, immer der Erste zu sein. Im Seminar findest du aber andere Kameraden, lauter begabte oder sehr fleißige Leute, die sich nicht so spielend überholen lassen. Du begreifst das?"(2)
Mit normal begabten Gleichaltrigen tun sich viele Hochbegabte nämlich schwer. Die Psyche eines hochbegabten Kindes ist anders, als die eines normalen. Weil sie anders sind und sich anders verhalten, werden hochintelligente Buben und Mädchen oft abgelehnt, sind einsam und isoliert. Es tut den Kindern gut zu sehen, dass andere genauso schnell und weiträumig denken können wie sie selbst. Außerdem merken die Mädchen und Buben in den Kursen, dass sie nicht immer die besten und die schnellsten sind.
"Was er lernte und leistete, maß er stets nur an den Leistungen der Mitschüler, und er wäre lieber mit halben Kenntnissen Erster als mit doppelten Zweiter gewesen."(3)
Für viele Kinder ist dies eine neue Erfahrung, die sie zunächst betroffen macht. Sie müssen lernen, damit umzugehen.
In Schottland gibt es die "Cademuir International School", in welcher hochbegabte Schüler zwischen acht und achtzehn Jahren aus ganz Europa studieren. Die Besonderheit dieser Schule ist, dass für jedes Kind ein ganz individueller Stundenplan zusammengestellt wird. Es gibt keine Klassen sondern Fachgruppen, wo Schüler nicht ihrem Alter, sondern ihren Fähigkeiten entsprechend gemeinsam lernen.
In Österreich gibt es die "Sir-Karl-Popper-Schule", die speziell für Hochbegabte zugeschnitten ist, für Schüler ab der 5. Klasse am Wiedner Gürtel in Wien und die "Schumpeter-HAK" in der Handelsakademie im 13. Wiener-Bezirk. Die Förderung außergewöhnlicher Fähigkeiten müsse jedoch wesentlich früher beginnen. Mit fünfzehn Jahren gibt es keine hochbegabten Kinder mehr.
Die Begabung ist dann irgendwo verloren gegangen, geschrumpft wie ein Muskel. In Österreich schätzt man die Zahl der hochbegabten Kinder auf rund 25.000, das sind zirca 2 - 3 % aller Schüler. Der Handlungsbedarf ist also groß.
Ein Bekannter von mir geht auf keine "normale" Schule mehr, denn dort hat er sich gelangweilt, weil er immer ein bisschen schneller war als die anderen. Heute geht er auf die Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte im 4. Wiener Bezirk am Wiedner Gürtel. Wer dort in die Oberstufe aufgenommen wird, muss einen beinharten Intelligenztest bestehen, der sogar Hochbegabte zum Schwitzen bringt, weil kaum einer der Kandidaten damit fertig wird. Was man damit bezwecken will, ist, herauszufinden, wie ein Kind denken kann. Überprüft werden Logik, Gedächtnis, Wissen und Teamfähigkeit. Die hochbegabten Jugendlichen müssen erst einmal verkraften, dass man beim Test in der Zeit nicht fertig wird. Obwohl es die Schüler nicht recht zugeben wollen, die Anforderungen an sich selbst sind sehr hoch. So kommt es vor, dass die Mädchen und Burschen oft mehr tun wollen, als sie eigentlich müssten. Anstrengen müssen sich die Schüler hier jedoch allemal. In dieser Schule zählt hauptsächlich die Mitarbeit, auf Hausübungen kommt es nicht so sehr an. Dafür verbringen die Schüler mehr Zeit in der Schule. Die Freunde aus der alten Schule haben ständig Zeit für Freizeitaktivitäten, aber die Hochbegabten haben plötzlich keine Zeit mehr. Mit dem Lernen ist es jetzt recht viel geworden. Zum ersten Mal fühlen sich die Hochbegabten wie normale Schüler, und müssen sich auch einmal plagen. Früher waren sie es immer gewöhnt, mit Schlampereien durchzukommen. Hier muss man sich schon zusammenreißen. An der Sir-Karl-Popper-Schule nehmen Lehrkräfte an speziellen Schulungen teil, und der Stundenplan kann von den Schülern individuell gestaltet werden. Statt eines Klassenvorstandes gibt es einen "Coach", der auf die verschiedensten Probleme seiner Gruppe eingeht. Man merkt, dass diese Schüler zwar kreativer sind, dafür aber oft hyperaktiv und besonders sensibel. In der alten Schule wurden viele der Kinder als "Streber" bezeichnet und gehänselt und sie schämten sich sogar für gute Noten. Diese Schule ist ein Neustart für sie. Natürlich kommt es auch in dieser Schule hin und wieder zu kleineren Problemen, da im selben Haus auch ganz "normale" Klassen geführt werden. Immerhin steht den Hochbegabten eine bessere Ausstattung zur Verfügung, das Image riecht nach Elite. Genau das hören die hochbegabten Schüler nicht so gern, weil sie sich eben nicht als Genies betrachten, sondern als ganz normale Jugendliche, die ebenso müde sind in der ersten Stunde und das Lernen auch einmal satt haben. Ebenso wenig sind ausgezeichnete Noten an der Tagesordnung. An der Sir-Karl-Popper-Schule sind übrigens die Mädels in der Überzahl. Schluss mit der männlichen Bildungselite! Man will dort keinen Streber heranzüchten, sondern starke Persönlichkeiten, die in dieser Umgebung besonders gefördert werden. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass es neuen Schülern zu viel wurde. Wenn ein Kind immer der Star war und in der neuen Schule leidet, ist das sinnlos. Man will niemanden Schaden zuführen. Das kann leicht passieren wenn Eltern zu viel von ihren Schützlingen erwarten. Deshalb wird beim Eignungstest genau darauf geachtet, ob der Schüler die Aufnahme wirklich möchte. Die Kinder an der Schule wünschen sich vor allem Kreativität ausleben und von den Mitschülern akzeptiert zu werden. Auch von ihrer Zukunft haben viele schon eine konkrete Vorstellung. Wie aber Studien zeigen, machen Absolventen von Schulen für Hochbegabte nicht häufiger Karriere als andere Maturantenklassen.
Aber nicht nur die Sir-Karl-Popper-Schule fördert Hochbegabte, sondern auch in der Handelsakademie im 13. Wiener-Bezirk gibt es ab dem Schuljahr 2000 eine Klasse speziell für hochbegabte Schüler, die Schumpeter-HAK. In einem ganzheitlichen Ansatz bietet die Schumpeter-HAK eine intensive Verknüpfung von Allgemeinbildung und Berufsbildung. Neue Ansätze des unternehmerischen Denkens und Handelns in der Schule zeigen sich in den Methoden, die den Unterricht bestimmen. Hier finden sich Fallstudien, Unternehmenssimulationen, Ideenworkshops, Übungsfirmenarbeit, projektorientierter Unterricht mit Praxiskontakten und das Portfolio-Studienbuch, das wichtigste Kommunikationsmedium zwischen Schülern, Lehrern und Eltern. Es besteht aus einem Informationsteil mit allgemeinen Unterrichtsdaten, einem Lernprofil-Teil mit Lerninhalten und Arbeitszeiten, sowie einen Feedback-Teil. Dieser soll ein Bild vom jeweiligen Stand der Entwicklung der Schüler geben. Durch Team-Teaching und gemeinsames Coaching von Schülergruppen wird jeder einzelne Schüler gefördert. Erstmals gibt es an der HAK auch verpflichtende Wirtschaftspraktika aber auch Work-Experience im Ausland. Weiters werden den Schülern noch Freigegenstände wie Philosophie, Psychologie, Soziologie, eine 3. lebende Fremdsprache, Ökomanagement, Politische Ökonomie und Wirtschaftsgeografie und Fit for Life - Gesundheitsförderung angeboten.
Alle Schüler, die sich für die Aufnahme an der Schumpeter-HAK bewerben, müssen einen Begabungs- und Kreativitätstest in einem Assessment Center machen. Danach erfolgt ein persönliches Aufnahmegespräch durch ein Lehrerteam und die Endauswahl findet letztendlich im Rahmen einer Lehrerkonferenz statt. Alle jene, die nicht in die Schumpeter-HAK aufgenommen werden, haben schon einen sicheren Platz im 1. Jahrgang der Handelsakademie. Voraussetzung für die Aufnahme an der Schumpeter-HAK ist ein ausgezeichneter oder guter Erfolg im Abschlusszeugnis der 4. Klasse Unterstufe. Dieser Schulversuch ähnelt sehr dem der Sir-Karl-Popper-Schule, nur dass der Unterricht auf Wirtschaft bezogen ist. Aber auch hier haben sie mit Vorurteilen zu leben, da ihnen eine bessere Ausstattung zur Verfügung gestellt wird, sowie die Auswahl der Freigegenstände erheblich größer ist. Aber ich glaube, dass der Großteil der Schüler in unserer Schule die Schumpeter-HAK akzeptiert hat, da sie gemerkt haben, dass sich die Schüler der Schumpeter-HAK nicht wirklich von ihnen unterscheiden. Außerdem sind sie meiner Meinung nach auch nicht wirklich "hochbegabt", denn heutzutage kann fast jeder Schüler einen guten Erfolg erreichen, wenn er sich ein bisschen anstrengt. Sie sind genauso Schüler wie wir alle, die auch an manchen Tagen keine Lust auf Schule haben. Außerdem gibt es an unserer Schule einige Klassen, die durchaus auch als Schumpeter-HAK bezeichnet werden könnten, aufgrund ihrer Leistungen, nur heißen diese Klassen nicht "Schumpeter-HAK". Dieser Schulversuch wird sich sicherlich bewähren, denn schon im 1. Jahr gab es mehr Anmeldungen als Plätze!
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