Wie die Grafik 2.1 und die Tabelle zeigen wird das Stück immer wieder von Zwischenspielen und Liedern unterbrochen. Alle Zwischenspiele sind als verfremdend zu beurteilen. Die laufende Handlung wird unterbrochen und der Zuschauer wird desillusioniert, er wird daran erinnert, daß es sich um ein Theaterstück handelt. Außerdem werden in ihnen darüber hinaus Denk- oder Reflexionsanstöße gegeben.
Die berühmten drei Einheiten von Zeit, Raum und Handlung werden (typisch für das epische Theater) somit in diesem Stück nicht eingehalten. Zwischen den einzelnen Szenen sind immer wieder Zeitsprünge zu erkennen.
In den fünf "Wang-Zwischenspielen" wird die Handlung aus der Sicht Wangs kommentiert. Außerdem werden hier Zwischenzeitbeschreibungen gegeben: "Im Dienste der Verfremdung beleuchten sie die zwischen den Handlungsszenen liegenden Zeiträume in der Form des epischen Berichts."
In den beiden Shen-Te-Zwischenspielen kommentiert diese das Geschehen der Handlung aus ihrer Sicht.
Auch die in 2.1 aufgeführten Lieder sind als Verfremdungseffekt zu beurteilen, da hier ebenfalls das Geschehen auf der Bühne unterbrochen und kommentiert wird. Bei den Lieder handelt es sich inhaltlich um poetische Reflexionen von Einzelaspekten der Stückproblematik.
Die Handlung des Stückes wird somit ständig auf verschiedene Arten kommentiert und diskutiert. Dies geschieht durch Songs, direkte Kommentare der Schauspieler (Shen Te) an das Publikum und durch die Zwischenspiele, in denen die Götter und Wang über die abgelaufenen Ereignisse diskutieren. Man kann hier von einem Lehrtheater sprechen. Die Handlung des Stückes dient als Argument und als Beweis für die Intention des Stückes.
In der 8. Szene gibt es eine Art episches Theater im epischen Theater. Frau Yang, die Mutter von Sun, berichtet dem Publikum, wie sich ihr Sohn von einem "verkommenen Menschen in einen nützlichen verwandelt" hat. Diese erzählende Rückblende wird durch kleine eingeschobene Szenen illustriert, die sie wiederum kommentiert. Diese Demonstration verfremdet die Erzählung durch ihren Kontrast zum Gesagten. Die Folge ist, daß sie genau im umgekehrten Sinn überzeugend wirkt. Sun ist in der Fabrik auf Kosten anderer aufgestiegen und betätigt sich jetzt selber im Dienst der Ausbeutung.
Dieser Bericht von Frau Yang kann als eine zweite Perspektive gesehen werden. Sie komprimiert 3 Monate gelebte Zeit in eine Szene erzählter und gespielter Zeit:
Die vergangene Zwischenzeit zwischen den kurzen, eingeschobenen Szenen wird durch ihren Bericht überbrückt bis die erlebte Gegenwart des Stückes erreicht wird. Hierdurch wird eine zweite Sicht auf die Dinge oder eine zweite Erzähl-Perspektive geschaffen: eine direkte und eine durch Frau Yangs Ausführungen.
Diese Aufnahme einer zweiten Perspektive, die eine Mehrsträngigkeit der Zeit und des Raums zur Folge hat, ist ein typisches Gestaltungsmerkmal von Brecht.
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