1 Entstehung
An Hand der Briefe an Felice Bauer, läbt sich die Entstehung der Erzählung « Die Verwandlung » zeitlich verfolgen. An Felice schreibt Kafka am 17.9.1912: ,Ich bin knapp vor dem Ende meiner kleinen Geschichten und Einheitlichkeit und das Feuer zusammenhängender Stunden täte diesem Ende unendlich wohl.\" Doch im weiteren Verlauf der Arbeit wurde ihm klar, dab er den Umfang der Geschichte falsch eingeschätzt hatte; sie wuchs unter seinen Händen zu immer gröBerer Stoffülle an und entfaltete sich mehr und mehr zu einer längeren Erzählung,die ihn zu bedrücken begann. Unzufriedenheit mit dem Geschriebenen stellte sich ein: ,eine ausnehmend ekelhafte Geschichte\" heibt es in einem Briefe (Briefe an Felice, 116) ... ,es wälzt sich etwas trübe und gleichmütig fort und die notwendige Klarheit erleuchtet es nur für Augenblicke\" (Briefe an Felice, 135).
Der Mittelteil der aus drei Abschnitten bestehenden Erzählung wird in der Nacht des 30./31. Novemberabgeschlossen. Über den Beginn des dritten. Teils schreibt der Dichter am 1. Dezember an seine Braut : « Ich bin jetzt endlich bei meiner kleinen Geschichte ein wenig ins Feuer geraten, des Herz will mich mit Klopfen weiter in sie hineintreiben, ich aber mub versuchen, mich so gut es geht, aus ihr herauszubringen.\" (Briefe an Felice, 147). Am 6./7. meldet er dann den Abschlub der Arbeit. Die Entstehungszeit dieser Geschichte steht unter keinem glücklichen Stern. Befürchtungen überdas von Trennungsangst überschatttete Verhältnis zu seiner Braut, das Gefühl, von der Familie abgelehnt und vom Vater verurteilt zu sein, Alles das betrifft die biographische Situation dieser Jahre und gibt der Erzählung ihren düsteren Charakter. Der Ausspruch, er fühle sich ,mit einem Fubtritt aus der Welt geworfen\" umschreibt Kafkas innere Situation zur Zeit der Arbeit an der,,Verwandlung\" sehr deutlich; Der endgültige Druck der, « Verwandlung » verzögerte sich, wohl auch durch die Unentschlossenheit des Dichters seibst. Die « Verwandlung » erschien zum erstenmal in der Monatsschrift « Die weiben Blätter « (Hrsg. von René Schickele) im Jahre 1915.
2 Die Tiermetapher
Dab bei Kafka gewisse Motive und Metaphern immer wiederkehren ; dab er beharrlich durch sein ganzes Werk hindurch dieselben Urbilder umkreist, kann man einem nicht entgehen. Die Verwendung von Tierfiguren ist ein solches Grundmotiv seiner Dichlung. Dab es anders verwendet wird als nach der Tradition ( z.b. in poetischen Assagen), ist der KafkaForschung längst bekannt: ,Kafkas Behandlung von Tierfiguren unterscheidet sich gänzlich von der Behandlung von Tierfiguren in den traditionellen Gattungen Märchen und Fabel .
Das Käfermotiv der ,Verwandlung\" wurde schon früher in der Erzählung « Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande » (1906/7) benützt. Während dies nur eine geträumte Situation ist, gewinnt die Existenz als Tier in ,Die Verwandlung\' unbezweifelte Realität in einer Umwelt, die den sozialen Bedingungen der menschlichen Gemeinschaft unterworfen ist.
Das Tiermotiv, auberhalb der traditionellen Fabel, fand Kafka in der Literatur vor allem aber bei E.T.A. Hoffmann. Das Tier in ,Die Verwandlung\" läbt sich zoologisch nicht genau bestimmen, jedoch weisen alle wesensbestimmenden Ausdrücke auf einen groben Käfer, auf ein ungeheures Ungeziefer\', wie die erste Erwähnung im Eingangssatz lautet Kafka selbst spricht in seinen Tagebüchern von einem,,Schwarzkäfer\' (T 325), die Bedienerin in der Erzählung wiederholt von einem,,Mistkäfer\'. Gewisse Details, die von ihm berichtet werden: sein panzerartiger gewölbter Rücken, der dreiringige Thorax und der vielgliederige Unterleib kommen einer dieser Kategorien nahe. Auch das Verhalten des Tieres weist auf diese Festlegung hin: die sehr genau beschriebene Schwierigkeit, von der Rückenlage wieder in die normale Position zu kommen, erinnert an das Verhaiten von Maikäfern, Mistkäfern und ähnlichen Insekten. Auch im Hinblick auf die Nahrungsbevorzugung (,,ungeniebbarer Käse\" und ,halbverfaultes Gemüse\") kann auf eine solche Tierart geschlossen werden. Auffallend ist die Akribie in der Schilderung des Tierleibs. Soselten wir Beschreibungen von menschlichen Gestalten in Kafkas Werk vorfinden - meist begnügt er sich mit lakonischen Bezeichnungen wie,,der Mann vom Lande\", der,,Junggeselle\", der ,Diener\' u.a. - umso verwunderlicher muten in dieser Erzählung die bis zur Monotonie wiederholten Einzelheiten der Tierfiguren an. Hier feiert Kafkas Lust am Grotesken wahre Orgien in ihrer schonungslosen Darstellung von Ekel und Gestank.
Das Tiersein Iöst die Identität mit Gregor, dem Sohn und Bruder, von seiten seiner Farnilie nicht auf, obwohl von dem Verlust der Sprache und der menschlichen Verhaltungsweise gesprochen wird...\" *Ähnlich heibt es an einer Stelle der « Gespräche » : Das Tier ist uns näher als der Mensch.... Die Verwandtschaft mit dem Tier ist leichter als die mit dem Menschen.\".
3 Struktur der Geschichte
Die eigentliche Geschichte beginnt, typisch für Kafkas Erzählanfänge mit einem lapidaren Satz :Als Gregor Samsa eines Morgens aus einem unruhigen Traum erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.\" So urplötzlich bricht das Unheimliche an einem hellen
In drei Abschnitte unterteilt, wird in der vortiegenderi Erzâhlung die Konfrontierung des Alltagslebens rnitdem Aubergewöhnlichen in allen Details dargestelit. Der Finbruch des Un-Gewöhnlichen ins Gewöhnte wird mit Worten wie,,unruhig\", ,ungeheuer\'und,,Ungeziefer\'sprachlich umschrieben; schon die ersten Sätze stehen unter dern Zeichen der Vorsilbe ,un\". Mit der faktisch, ausdrücklich nicht als Traumgeschehen registrierten Verwandlung eines Menschen in ein gigantisches Ungeziefer ist Un-Geheuerliches, Un-Cewöhnliches und Unfabbares in die Weit des Geheuren, Gewöhnlichen und Fabbaren einer kleinbürgerlichen Familie eingebrochen. lm Handiungsverlauf werden die Preignisse mitgeteilt, die unter den gegebenen Voraussetzungen sich im Rahmen dieser Familie abspielen. Es handelt sich hier nicht um einen Traum sondern wird hier gleich zu G .Samsas, die der Verwandlung in einen Käfer folgen, nüchtern festgestellt:,,Es war kein Traum\". Damit widerspricht der Text allen späteren Deutungen, die Kafkas Visionen in Traumvorstellungen hineinprojizieren und sie auf diese Weise der Realität entziehen.. ,Er (der Erzähleingang) ist nicht märchenhaft, weil er gerade umgekehrt in der mârchenhaften Einkleidung als das brutal-Faktische des Anti-Märchens gemeint Wir müssen davon ausgehen, da die Erzählung weder Fabel noch Märchen ist; ihr Wesen liegt in dem Ineinander von gedachter und wirklicherwelt, in dem die empirische Wirklichkeit ebenso bezwingend bleibt wie die dichterische Vision, die in sie hineinprojiziert ist. Das ist der Sachverhalt, den anzunehmen der Dichter vorbehaltlos von uns verlangt.
Es mag naheliegend sein, die Verwandlung des Menschen in die Tiergestalt als einen Wesensverlust anzusehen. Aber gerade das läbt der Text nicht zu. Wenn sich die Familie auch über die abschreckende Verwandlung Gregors entsetzt zeigt, so liegt es ihr zunächst fern, ihn für etwas anderes als für ihren Sohn und Bruder zu halten. Zwar ist er es nicht in der gewohnten Form, sondern in einer grotesk verfremdeten Weise, die eine Gemeinschaft mit ihm unmöglich macht, aber er bleibt dennoch der Sohn und Bruder, für den man sich in gewissem Sinne noch verantwortlich fühlt. Erst im späteren Verlauf der Erzählung verblabt diese Vorstellung. Das wird deutlich, als die Schwester am Ende die Entfernung des abscheulich und unerträglich gewordenen « Es » fordert und zum Vater sagt: ,Du mubt blob den Gedanken loszuwerden versuchen, dab es Gregor ist. Dab wir es solange geglaubt haben, das ist je unser eigentliches Unglück.\"
Deutlicher noch als auf Seiten der Familie ist das intakte Identitätsgefühl bei Gregor Samsa selbst; bei aller Veränderung seiner Lebensweise ins Tierische: animalische Nahrungswahl, andersartige Fortbewegungs und Verhaltensweise, bleibt ihm sein menschliches Bewubtsein. Und obwohl er die menschliche Sprache verloren hat, ist er doch in der Lage, menschliche Gespräche in seiner Umgebung zu verstehen, ebenso wie er das Geschehen um sich herum erkennen und beurteilen kann. Der absurde Tatbestand liegt vor: er ist in ein abscheuliches Tier verwandelt, dennoch bleibt er Gregor Samsa. es scheint in der Vorstellung Kafkas . Angesichts des gegebenen Fallse scheint in der Vorstellung Kafkas jene alte anthropologische Trennung von Mensch und Tier nicht mehr zu bestehen.
Kafkas Erzählung ist in drei deutliche Abschnitte geteilt. Der Abschnitt 1 erzählt die unmittelbare Konfrontation des Aubergewöhnlichen mit dem Gewohnten und das almählich sich vollziehende Ausschlieben aus dem Gewohnten. . Unter qualvollen und fast akrobatischen Anstrengungen gelingt es dem Verwandelten ,die Tür seines Zimmers aufzuschlieben und so in den Bereich des Alltätiglichen einzudringen.. Aber das Aubergewöhnliche ist schrecklich, es hat als das ganz andere aut die Umwelt eine befremdende und ausschliebliche Wirkung: ,Er war noch mit jener schwierigen Bewegung beschâftigt und hatte nicht Zeit, aut anderes zu achten, da hörte er schon den Prokuristen ein lautes \'Oh\' ausstoben - es klang, wie wenn der Wind saust - und nun sah er ihn auch, wie er, der der nâchste an der Tür war, die Hand gegen den offenen Mund drückte und langsam zurückwich, als vertreibe ihn eine unsichtbare, gleichmäb fortwirkende Kraft.\" Durch das Erscheinen des Prokuristen seiner Firma hat sich in Gregor Samsas Famille noch eine Verschärfung der Lage für den Verwandelten ergeben. Der Prokurist der sich erkundigen soll , wird von Gregor als eine feindliche Macht empfunden.Weil seine Schwester ihm nicht hilft fühlt er sich von der Aubenwelt bedrängt. So ensteht ein lehres Raum wo nur der verwandelte Gregor Bleibt.
Der Abschnitt Il erzählt dann davon, wie das Absonderliche sich in der alitäglichen Umwelt ausnimmt: Rücksicht und Pflege führen zu keiner Annäherung, da sich der Verwandelte selbst vor der zu Anfang noch wohlmeinenden Schwester seiner Ungestalt schämt und sich bel jedem Näherkommen der vertrauten Personen unter das Sofa verkriecht. Damit ist jeder Versuch der Eingewöhnung des Auber-Gewöhnlichen in den normativen Raum des Gewohnten und Gewöhnlichen gescheitert. Der Vater- hier gesehen als Exponent und Beherrscher des gewohnt-Alltäglichen - vertritt konsequent die Absicht, des Aurbergewöhnliche nicht nur auszuschliel3en, sondern zu vernichten. Veranschaulicht wird diese Absicht in der Szene, in der er in ausbrechender Wut mit einem Apfel nach ihm wirft, was dazu beitrâgt, Gregors Ende zu beschleunigen. Das Motiv von dem Schreckbild des Vaters verdeutlicht an dieser Stelle der Erzählung offensichtlich den autobiographischen Bezug.
Die 3. Phase in der Auseinandersetzung mit dem AurberGewöhnlichen berichtet von dem Entschlur3 der Famille, es zumindest in der Distanz des abgetrennten Raumes zu dulden. Das aber erweist sich ais das Schlimmste für den Betroffenen, da es konsequent zur Achtlosigkeit führt, - ein Zustand, der z.B. den Hungerkünstler in der gleichnamigen Erzählung am Ende das Herz bricht. In der,,Verwandlung\" wird die Famille allmählich der Unterhaltung und Pflege des UnGewöhnlichen überdrüssig. Derunmittelbare Bezug, derzwischen der Famille und dem Verwandelten ursprünglich noch partiell bestanden hat, verschwindet völlig ; die Pflege wird einer Bedienerin übergeben. Kafka kennzeichnet sie aIs Kontrastfigur,-vital und widerstandsfähig, ,die in ihrem langen Leben mit Hilfe ihres starken Knochenbaues das Ärgste überstanden haben mochte\". Von ihr wird berichtet, dab sie als Einzige den Verwandelten mit,,alter Mistkäfer\'anredet. Zum Zeichen, dab das Ungewöhnliche nicht einmal mehr beachtlich, sondern verächtlich ist, gebraucht man seinen Raum als Abladeplatz für Abfall und Gerümpel. Im Zuge des Handlungsablaufs ist noch auf die Geigen-spiel Episode der Schwester hinzuweisen. Eigentlich zur Unterhaltung der Zimmerherrn, die man inzwischen zurfinanziellen Unterstützung der Familie in die Wohnung genommen hat, gedacht, übt sie eine rätselhafte Wirkung Iten aus : War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff ? Ihrn war, als zeige sich ihm ein Weg zu der ersehnten Nahrung . Hier stehen zwei metaphorische Begriffe, die im Zusammenhang gesehen werden: ,Nahrung\" und,,Musik\". Sie erscheinen in der,,Verwandlung\" an vershiedene Stellen.In der ,Verwandlung\" ist das Ergriffensein von Musik ein innerer Zustand der den Verwandelten von den Repräsentanten der normativen Weit, den Zimmerherren\" scheidet. Der Text sagt uns nur ,dab das AuberGewöhnliche unterscheidet sich - in der Betroffenheit von der Musik - radikal von den Reaktionen der normativen Welt.
Gregor wird von seiner Familie zu dem Standpunkt des ' Es ' abgesunken , und zum Zeug degradiert.Er wird als Abfall weggeschaft.
4 Autoblographische und topographische Züge der Erzählung
Die Thematik der Erzählung - wie aus der kursorischen Interpretation des Handlungsablaufs ersichtlich - ist die Konfrontation des Aurber ewönlichen mit der Ordnng des Fraglos-Gewohnten und Gewönlichen. Diese Konfrontation spielt sich im wesentlichen im privaten Kreise der Familie ab, sie berührt nur in wenigen Situationen auber-private Beziehungen (Prokurist und Zimmerherren). Dab in dieser Erzâhlung autobiographische Anknüpfungen vorhanden sind, ist nicht zu übersehen: schon der Name des Autors findet sich in der vokalen Assoziation Kafka-Samsa wieder. Verknüpfungen mit der Lebenssituation des Autors sind auch topographisch festzustellen: es handelt sich zweifellos in der geschilderten Zimmeranordnung in der ,Verwandlung\' um eine Ähnlichkeit mit der Wohnung der Kafkaschen Famille in Prag. Der Mensch, mit dem sich die schrecklichen Dinge abspielten, war eben Kafka selbst.Man kann es sich allerdings nicht so leicht machen, die in der Erzählung dargestellten familiären Beziehungen ganz wörtlich zu nehmen. In einem späteren Brief an Elli Hermann vom Herbst 1921 wird das Bild des Tiers im Zusammenhang mit der Familie erwähnt, in jenem Sinne nämlich, als sie als verzehrender ,,Organismus\" angesehen wird, den Kafka mit Kronos vergleicht, der seine Söhne auffribt.. W ie beklemmend sich diese Familiensituation auf sein Inneres legte, wie machtos er, der das Wort,,Schwäche\" sich selbst gegenüber immer im Munde führte, seinem Vater ausgeliefert war, zeigt folgende Stelle aus einem Brief an Milena:,,Gewirb, das Wohnen bei den Eltern ist sehr schlecht, aber nicht nur das Wohnen, das Leben, das Hinsinken in diesem Kreis der Güte, der Liebe, ... das Rütteln der Fliege an der Leimrute, übrigens hat auch gewib sein Gutes, einer kämpft bei Marathon, der andere im Speisezimmer, der Kriegsgott und die Siegesgöttin sind überall.
|