2.1 Sein Leben und literarisches Schaffen im Umriß
Ulrich Plenzdorf wurde am 26. Oktober 1934 in Berlin-Kreuzberg als Sohn eines Arbeiters geboren. Nach dem Abitur 1954 beginnt er das Studium des Marxismus - Leninismus am Franz - Mehring - Institut in Leipzig. In den Jahren 1955-58 arbeitet er als Bühnenarbeiter und tritt anschließend bis 1959 als Soldat in die nationale Volksarmee ein.
Von 1959 bis 1963 nimmt er erneut ein Studium auf, dieses Mal an der Filmhochschule Babelsberg mit der Fachrichtung Dramaturgie. Es folgen Arbeiten als Szenarist und Filmdramaturg im Auftrag des DEFA-Studios für Spielfilme.
Seit Ende der 70er Jahre verfaßt Plenzdorf neben dieser Arbeit auch Drehbücher für westdeutsche Fernsehfilme, wobei er unter anderem auch Vorlagen anderer Autoren bearbeitet, so Martin Stades historischen Roman "Der König und sein Narr", Erich Loests in der DDR umstrittenen Gegenwartsroman "Es
geht seinen Gang" und Martin Walsers Novelle "Ein fliehendes Pferd". International bekannt wird Plenzdorf 1973 durch sein Bühnenstück \"Die neuen Leiden des jungen W.\" (Uraufführung: 18.5.1972, Landestheater Halle).
Neben anderen Auszeichnungen erhält der Autor für dieses Werk den Heinrich - Mann - Preis der Akademie der Künste. Plenzdorf zählt zu einer Gruppe jüngerer Filmautoren, die sich in dokumentarisch angelegten Spielfilmen kritisch mit der DDR-Gegenwart auseinandersetzen. Dieses zentrale Anliegen durchzieht Plenzdorfs künstlerisches Schaffen, wie z.B. in seinem zweiten Film "Karla", in dem es um die Konflikte einer Junglehrerin mit den bürokratischen Strukturen im Bildungswesen der DDR geht. Dieses bereits im Jahre 1965 begonnene Projekt darf durch ein Verbot der SED im selben Jahr nicht beendet werden.
Vier Jahre später entsteht der Film "Weite Strassen - stille Liebe". Hier greift Plenzdorf erneut die Probleme junger Leute in der DDR auf. Das 1976 uraufgeführte Stück "Buridans Esel" thematisiert die Krise der mittleren DDR-Generation.
Nach dem Theaterstück "Die neuen Leiden des jungen W." erscheint das Werk "Die Legende von Paul und Paula" und wird zum größten Publikumserfolg der DEFA. Ähnlich wie Edgar Wibeau fordert hier die Hauptperson Paula die Erfüllung ihres persönlichen Glücksanspruchs, ganz im Sinne Plenzdorfs verfolgter Linie des "dokumentarischen Spielfilms\".
Im Jahre 1990/91 verfilmt Plenzdorf die Erzählung \"Unvollendete Geschichte\". Durch die politische Entwicklung verliert diese Fluchtgeschichte jedoch ihre Brisanz und bleibt ohne größere öffentliche Resonanz. Im selben Zeitraum entsteht auch das Drehbuch "Hüpf, Haschen, Hüpf" (1991), welches den Einsatz von Polizei und Staatssicherheit in der DDR thematisiert und von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste mit dem Fernsehpreis prämiert wird.
Zunehmend bedeutsam wird für Plenzdorf die Zensur. Zwischen 1949 und 1971, in der Ära Ulbrecht, gelten schon öffentliche Distanzierung und milde Kritik als staatsfeindlich, was zur Folge hat, daß die Liste der verbotenen Bücher sehr lang wird. Literatur hat die Aufgabe, gesellschaftliche Verhältnisse positiv erscheinen zu lassen, das Darstellen von Problemen soll nicht zu ihrer Intention werden.
Aufgabe der Künstler ist es, dem Leben vorauszueilen und durch ihr Schaffen Millionen Menschen für die großen Aufgaben des Sozialismus zu begeistern.
Erst um 1971, in der Ära Honecker, wird die Zensur etwas großzügiger gehandhabt, da sich die DDR wirtschaftlich stabilisiert hat. So wird es Ulrich Plenzdorf jetzt möglich "Die neuen Leiden des jungen W.\" zu veröffentlichen, obwohl darin die Lebensumstände in der DDR nicht gerade systemkonform betrachtet werden.
Plenzdorf selbst faßt dieses zusammen, indem er sagt, daß eine entscheidende Rolle in dem Werk "der äußere Druck" gespielt habe, da er viele Jahre lang wegen "Zurückweisung des Stoffes" sich nicht frei verwirklichen konnte.
2.2 Zwischenbilanz - der Schriftsteller in seiner Zeit
Vergleicht man Plenzdorfs Werke miteinander, können verschiedene Gemeinsamkeiten und Schwerpunkte erkannt werden. So ist ihm die Form einer Dokumentation sehr wichtig. Er versucht damit, auf reale Mißstände in der DDR hinzuweisen. Besondere Betrachtung finden hierbei Themen wie Bildungspolitik, das Lebensgefühl jugendlicher Bürger oder die persönliche Selbstverwirklichung im real existierenden Sozialismus. Diese Punkte charakterisieren Plenzdorf deutlich als einen engagierten Autor, der die DDR-Gesellschaft kritisch betrachtet.
Andererseits ist Plenzdorf genau dieser Gesellschaft entwachsen, die darauf ausgelegt ist, Konformität zu schaffen. Nach diesen Normen und Maßstäben ist er erzogen, durch den Umgang mit seinen Mitmenschen geprägt und von politischer Ideologie beeinflußt worden. Die daraus resultierende weltanschauliche Position läßt sich daher treffend mit der Aussage von Edgar Wibeau umschreiben: "Kein einigermaßen intelligenter Mensch kann heute was gegen den Kommunismus haben" .
Mit der Satz: "Ich bin rot bis auf die Knochen", bestätigt Plenzdorf selbst seine sozialistische Grundeinstellung und verdeutlicht gleichzeitig, daß es grundsätzlich falsch ist, "Die neuen Leiden des jungen W." als "Anti-DDR-Stück" zu interpretieren.
Plenzdorf fordert vielmehr die Demokratisierung des sozialistischen Gesellschaftssystems, vergleichbar mit zeitgleichen Kritikern wie z.B. R. Havemann oder W. Biermann.
Er ist für den Sozialismus/ Und für den neuen Staat/ Aber den Staat [...] / Den hat er gründlich satt
Sein Lebenslauf zeigt jedoch einen höheren Grad von Anpassung an die bestehende Gesellschaft als der z.B. von W. Biermann und erscheint sogar systemkonform.
[...] Plenzdorf ist alles andere als ausgeflippt.
Man muß Plenzdorf trotzdem weniger als gesellschaftliches Produkt, sondern vielmehr als Individuum betrachten, welches sich mit seinem Umfeld kritisch auseinandersetzt. So unterscheidet er zwischen Schein und Wirklichkeit, indem er kritisch feststellt, daß "einer dem Abzeichen nach Kommunist ist und zu Hause seine Frau prügelt" .
Als ein Individuum gliedert er sich in die Gesellschaft ein, stimmt mit den sozialistischen Idealen überein, verarbeitet sein konkretes Umfeld aber doch eher kritisch - distanziert (was wiederum die Form der Dokumentation zeigt), als daß er sich ihren Strukturen unterwirft.
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