Das erste Werk, das tatsächlich den Namen "Utopie" trug und damit auch Namensgeber für eine ganze Literaturgattung wurde, ist Thomas Morus' "Utopia". Das Wort selbst leitet sich her aus dem griechischen "u-topia", das soviel wie "Nirgendland" oder "Nichtland" bedeutet, aber nicht in der klassischen Literatur belegt ist, sondern eine humanistische Neubildung zu sein scheint.
Sir Thomas Morus (lateinisierte Form von More) lebte von 1478 - 1535 in Großbritannien. Er machte eine steile Karriere, zunächst als Rechtsanwalt, später als Politiker. Heinrich VIII. erhob ihn 1529 zum Lordkanzler. Zum Bruch mit dem König kam es, als dieser sich vom Papst lossagte und selbst den Titel \"Oberstes Haupt der Kirche Englands\" annahm. Morus verweigerte ihm daraufhin die Gefolgschaft und wurde dafür des Hochverrats angeklagt. 1535 starb er durch das Schafott.
In seinem Werk läßt Morus, offensichtlich basierend auf Platon und angeregt von den Entdeckungen Amerigo Vespuccis, die Insel "Utopia" aus den Tagebuchaufzeichnungen eines fiktiven "Raphel Hythloday" entstehen. Auf dieser Insel ist es gelungen, durch völlige materielle Gleichheit eine staatliche Organisation zu schaffen, die keine inneren Konflikte kennt.
Dabei besteht "Utopia" aus zwei Teilen: einer, später gestalteten, einführenden Rahmenhandlung und der eigentlichen Gesellschaftsfiktion. Der erste Teil geißelt hauptsächlich die Zustände im Großbritannien der damaligen Zeit, der Zweite beschreibt im Kontrast die perfekte Organisation des idealen Staates.
Kritik wird an der höfischen Schmeichelei, an den kriegerischen Auseinandersetzungen, am herrschenden Strafrecht, an der Ausbeutung des Volkes und schließlich auch am König selbst geübt. Die Wurzel allen Übels ist nach Morus' Ansicht aber das Privateigentum.
Der Reisende Hythloday erzählt nun von der Insel "Utopia", auf der jegliches Privateigentum abgeschafft ist, die Zahlen beherrschen alles, das höchste Ziel ist die buchstäbliche "Berechenbarkeit" der Dinge als Grundlage jedes Entwurfes. Alle Bürger müssen den Ackerbau erlernen, hiernach die jeweils wichtigen Berufe als individuelle Spezialisierung.
Geld wird nur für Import und Export sowie für die Kriegsführung benötigt. Die Ehegesetze sind teilweise drakonisch, das Beamtentum wird als "Väter" bezeichnet. Die Religion wird eher liberal gehandhabt, einige wenige, als besonders fromm befundene, Männer dürfen das Priesteramt ausüben.
Um eine solche Gesellschaft zu erhalten, muß eine organisierte Erziehung gewährleistet sein. Jedes Kind bekommt in "Utopia" eine wissenschaftliche Grundbildung, auch Erwachsene bilden sich zeitlebens weiter. Kinder, die man für besonders begabt befindet, werden ausgesondert und von körperlichen Aufgaben befreit, um sich geistigen Ämtern zu widmen.
An einigen Stellen finden sich offensichtlich auffällige Ähnlichkeiten zu Platons Staatsgebilde, zum Beispiel bei der Frage des Eigentums, der Berufswahl oder dem Erziehungssystem.
Morus war sich aber auch bewußt, daß für ein solches System ein gewisser Preis zu bezahlen wäre. In diesem Entwurf ist die Voraussetzung für die Autarkie des geschlossenen Systems als zufriedenes Bürgertum die beinahe imperialistische Ausbeutung von Kolonien und Nachbarstaaten.
Mit den Idealen, die Morus ersonnen hatte, lieferte er sich auch persönliche Vorgaben für sein eigenes politsches Wirken am Hofe Heinrichs VIII., zum Beispiel im Briefverkehr mit Martin Luther. Daß er seine Ansichten so unnachgiebig vertrat, könnte auch einen Grund für seine spätere Hinrichtung.
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