Themenwahl
Über welches Buch ich meine Maturarbeit schreiben wollte, war mir ziemlich schnell klar. Denn Der Name der Rose ist ein wahres Wunderbuch: Es entführt den Leser in eine ferne Welt, die, je nach Betrachter und Betrachtungsweise, eine grundverschiedene sein kann. Dies ist das Ergebnis davon, dass dieses Buch auf so mannigfaltige Weise gelesen werden kann: Einerseits ist es eine klassische Detektivgeschichte, gleichzeitig ein historischer Roman; einige lesen Umberto Ecos Erstlingswerk als eine - hinter der Handlung versteckte - erkenntnistheoretische Philosophiearbeit, insbesondere über die Theorie der Namen, oder als theologisches Manifest über den Reichtum des Papstes. Andere erkennen im Namen der Rose eine Schrift, in der Eco sich auf die politische Gegenwart bezieht. Und tatsächlich, auch 1978, als der Roman zu entstehen begann, gab es in Italien immer noch seltsame, aber bedeutsame Ränkespiele um die Macht, wurden noch Päpste ermordet (oder zumindest einer, woran ich jedoch nicht zweifle) und wurden ebenso erbitterte ideologische Kämpfe ausgetragen wie in jenen Tagen, als das Jahr des Herrn 1327 sich neigte. Es ist wahrscheinlich diese Vielfalt, die mich dazu veranlasst hat, Umberto Ecos Buch als Gegenstand meiner Arbeit zu wählen.
Warum habe ich aber genau den Aspekt der Bedeutung der Namen gewählt? Das rührt daher, dass sich am Beispiel der Namen einige wichtige Gesichtspunkte des Romans gut zeigen lassen, so etwa die historische Seite des Buches, aber auch die oben genannt und bewunderte Vielschichtigkeit. Entscheidender aber war, dass ich zufälligerweise, ich weiss nicht mehr wo, den Namen \"Jorge Luis Borges\" gelesen habe. Und diese Maturarbeit hat mich eine gute Gelegenheit gedünkt, meine Neugier zu befriedigen, wer dieser Mann war und was er in einem Buch, das im Mittelalter spielt, zu suchen hat.
Somit ist meine Fragestellung komplett: Welches sind die Bedeutungen der Personennamen in Umberto Ecos Name der Rose? Da allein dieses Thema schon recht weitläufig ist, werde ich mich im Laufe der Arbeit auf zwei der Namen konzentrieren.
Vorgehensweise
Nun gut, jetzt weiss ich, warum ich mein Thema gewählt habe. Aber wie ich das tun soll, ist eine andere Frage. Doch vorweg: Ich setzte voraus, dass Du, unbekannter Leser, das Buch Ecos gelesen hast. Denn ich halte es für unmöglich und nicht sinnvoll, eine brauchbare Zusammenfassung des ganzen Werks in diese Arbeit zu schreiben. Sie würde zuviel Platz brauchen und zuwenig der Detailkenntnisse und der Faszination enthalten, die zum Verständnis dieser Seiten wohl notwendig sind.
Ich habe meine Arbeit in vier Teile gegliedert. Das erste Kapitel besteht aus dem, was ich an Allgemeinem über die Namengebung im Namen der Rose herausgefunden habe. Der darauf folgende Abschnitt enthält über einige der wichtigsten Personen in zusammengefasster Form das, was ich über ihre Namen Aufschlussreiches entdeckt habe. Dieses zweite Kapitel ist eigentlich eine Zusammenfassung eines Grossteils meiner Erkenntnisse über die einzelnen Namen. Der dritte und der vierte Abschnitt behandeln je einen der Namen genauer. Beide stehen als Beispiel für eine der zwei Gruppen von Namen, wie sie im folgenden ersten Kapitel dieser Arbeit beschrieben wird.
Jetzt aber genug der Erklärungen, nun beginnt der wirklich wichtige Teil.
1. Allgemeines über die Namen
Man kann die Personen, die in Umberto Ecos Name der Rose auftreten, so glaube ich, in zwei Gruppen trennen. Die kleinere Gruppe ist diejenige, deren Namen weit weniger interessant sind. Es sind jene Leute, die in Wirklichkeit gelebt haben. Ihre Lebensdaten und Ansichten entsprechen dem, was tatsächlich war, was sie tatsächlich dachten. Und manchmal redeten sie sogar so, wie sie tatsächlich sprachen: Äusserungen von ihnen sind - zum Teil mehrere Seiten lange - Zitate aus ihren Werken und Schriften. Da der Autor an diesen Namen nicht viel ändern konnte, weil sie ihm durch die Geschichtsbücher vorgegeben waren, ist es nicht allzu sinnvoll, gross an ihnen herumzuinterpretieren. Bei einigen dieser Personen ist es jedoch interessant, ihren Hintergrund und ihre Stellung in der früheren Zeit zu erfahren. Einerseits, um jene Epoche ein wenig eingehender kennenzulernen und andrerseits, um Ecos Buch ein bisschen besser zu verstehen. Als Beispiel hierfür habe ich Bernard Gui, den Inquisitor, gewählt, den ich weiter unten in der Arbeit noch genauer vorstellen werde. Des Weiteren gehören in diese Kategorie der historischen Figuren: Ubertin von Casale, Michael von Cesena, Bertrand del Poggeto sowie all die anderen Politiker, Theologen und Häretiker, die zwar nicht sämtliche direkt in der Abtei anwesend sind, in die politischen und religiösen Querelen der damaligen Zeit aber ebenso verwickelt waren.
Zur anderen, beflügelnderen Namensgruppe gehören - mit Ausnahme des Mädchens, da ihr Name unbekannt bleibt - alle übrigen Charaktere des Buches. Es sind dies Personen, die nie gelebt haben. Alle ihre Namen sind solche, die im Mittelalter, wenn nicht häufig, so doch möglich gewesen wären. Denn genauso wie alle Aussagen der Akteure sagbar sein mussten, wäre, wenn Eco die Leute mit modernen Namen ausgestattet hätte, die gesamte, so akribisch realistisch konstruierte Welt seines Werks zerbröckelt. Ebenso mussten, da die Klosterbrüder aus verschiedenen Nationen stammten, alle Mönche aus einem Ort stammen, der ihrem Herkunftsland entsprach und in dem es zu jener Zeit ein grösseres Kloster gab, das ihnen ihren Zunamen geben konnte. Und für alle Personen galt in gleicher Weise, dass auch ihr Vornamen für ihre Heimat zumindest nicht untypisch sein durfte.
Umberto Eco ist nicht nur leidenschaftlicher Mediävist, und hat deshalb ein beinahe unendlich breites Wissen über das Mittelalter, er ist auch Professor für Semiotik , das heisst er kann auf weitläufige Kenntnisse über verborgene Zeichen zurückgreifen. Es wäre erstaunlich, wenn es in den Namen seines Buches keine versteckten Bedeutungen gäbe. Und tatsächlich habe ich einige entdeckt. Woher die Namen nun abgeleitet sind, ist sehr unterschiedlich. Teils sind es literarische Anspielungen sowohl auf Autoren als auch auf Werke, teils historische Andeutungen. Manchmal gibt es wahrscheinlich auch Verbindungen zu den Bedeutungen oder der Etymologie der Namen, wenngleich ich nicht sehr viele davon entdeckt habe.
2. Spezielles über die Namen
Wie oben gesagt, werde ich in diesem Kapitel all das verzeichnen, was ich über die einzelnen Namen in Ecos Buch herausgefunden habe. Es ist nicht bei jeder Person viel, oft auch gar nichts, und meistens beruhen meine Feststellungen auf reiner Vermutung.
2.1. Die fiktiven Namen
Zuerst zum wohl bekanntesten Beispiel der Anspielungen im Namen der Rose: William von Baskerville und Adson von Melk. Beide Namen enthalten einen Bezug zu Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes: Bei William ist es der Nachname, der dem Buch Der Hund von Baskerville entlehnt ist, bei seinem jugendlichen Begleiter der Vorname, der ähnlich ausgesprochen wird, wie der Name des Assistenten von Sherlock Holmes, Dr. Watson. Auch inhaltlich passt dies perfekt, da die beiden Akteure Ecos nach dem selben Muster handeln, wie ihre literarischen Vorbilder: William versucht mit scharfem Verstand und genauer Beobachtung komplexe Rätsel zu lösen, während sein Adlatus zwar mit aufmerksamem Geist die Belehrungen seines Vorbilds aufnimmt, aber trotzdem nie wirklich die ganz grossen Geheimnisse zu lüften vermag. Nicht nur die Strategie (alles Unmögliche ausschliessen, damit schliesslich nur noch die Wahrheit übrig bleibt) verbindet den ehemaligen Inquisitor mit dem Meisterdetektiv von Scotland Yard. Auch die Lupe, in Form der Vitra ad legendum und die Pfeife Sherlock Holmes\' als das Kraut, das William immer wieder am Wegrand sammelt, hat Eco in seinem Werk geehrt.
Nun zu Abbo von Fossanova, dem Abt. Möglicherweise ist es zu simpel, aber \"Abbo\" bedeutet \"Abt\", und damit wäre der erste Namen schon erklärt. Der Nachname ist da schon interessanter, denn er könnte gar nicht anders sein als er ist. Bekanntlich hat der Abt in seiner Jugend die Leiche des heiligen Thomas von Aquin die Treppe seines Heimatklosters hinuntergetragen. Und da der heilige Thomas der Geschichtsschreibung zufolge in Fossanova das Zeitliche segnete, muss dies der Herkunftsort des Oberhaupts unseres Klosters sein und er seinen Namen von dort mitgenommen haben. (Natürlich könnte es auch umgekehrt sein, dass Eco aus einem anderen Grunde den Namen Fossanova gab, und die Geschichte mit dem Heiligen in der Wendeltreppe nur als ein zufälliger, spassiger Nebeneffekt entstanden ist. Allerdings halte ich dies für eher unwahrscheinlich.)
Die nächste Vermutung, die ich habe, betrifft Malachias von Hildesheim. Sein Vorname ist wohl eine Anspielung auf den heiligen Malachias, welcher derjenige ist, der in seinen Schriften die Abfolge der zukünftigen Päpste prophezeite, von denen einer der viel genannte Papa Angelicus sein sollte. Einen direkten Zusammenhang zur Person des Buches konnte ich allerdings nicht erkennen. Ebenso wenig scheint mir sein Nachname direkt etwas mit der heiligen Hildegard, die im Namen der Rose mehrere Male erwähnt wird, zu tun zu haben.
Bei Severin von St. Emmeram frage ich mich, warum er speziell streng (\"severus\" heisst streng) sei könnte, Nicolas von Morimond hat seinen Vornamen vielleicht vom heiligen St. Nikolaus, weil er ebenso brav und hilfsbereit wie dieser ist. Von Alinardus weiss ich, dass sein Vornamen arabischen Ursprungs ist, was mich für einen christlichen Mönch jener Zeit doch aussergewöhnlich dünkt. Was ich über Jorge von Burgos weiss, ist weiter unten in einem eigenen Kapitel nachzulesen. Venantius von Salvemec, der Experte fürs Griechische, dessen Vorname auf Lateinisch \"der Gejagte\" bedeutet, hat offenbar das \"Salve me\" in seinem Nachnamen (Natürlich, dachte ich, aber warum?).
Die nächste Andeutung habe ich in Benno von Uppsalas Heimatort entdeckt. Ich vermute, dass Benno nach der Stadt benannt wurde, in der Carolus Linnaeus im 18. Jahrhundert als erster Forscher versuchte, die Pflanzenwelt, und damit das Leben an sich, in Kategorien zu ordnen, was für die Wissenschaft einen revolutionären Schritt in Richtung Moderne darstellte. Diese Klassifizierung scheint mir ganz in Bennos, zumindest anfänglich, aufklärerischem Sinne zu sein.
In Aymarus von Alexandrias Namen erscheint die ägyptische Stadt, die einst mit knapp einer Million Schriftrollen die grösste Bibliothek der Menschheit beherbergt haben soll. Aber auch diese Büchersammlung brannte ab, in einem Krieg kurz nach Cäsars Tod.
Dann wäre da noch der missgestaltete Salvatore, dessen Namen \"Erlöser\" heisst und der zwar einem scheinbaren Erlöser folgte, selber aber wohl doch keiner ist. Gleich ironisch dürfte Remigius' Nachnamen sein, bei dem man, nachdem man zwei Buchstaben leicht abgeändert hat (von Varagine zu Vergine), eine Jungfrau auf Italienisch findet
Schliesslich noch der Name, der mich fast am meisten zu faszinieren vermag: der Name des Mädchens, der einzigen weiblichen Person, die in der Abtei auftritt. Obwohl sie in jener Zeit für Adson, vielleicht neben William, die wichtigste Person überhaupt ist, weiss er nicht einmal, wie er sie nennen soll. Und der Name wäre das einzige gewesen, was er anbeten hätte können und ihm von ihr geblieben wäre. Aber das Mädchen ist so arm, dass sie nicht einmal einen Namen besitzt, und hätte jemand wie sie einen besessen, wäre er längst vergessen, weil sie nur Volk war, weil es sich nicht gelohnt hätte, sich ihrer zu erinnern.
2.2. Die historischen Personen
Hier einige kleine Anmerkungen zur Stellung von einzelnen historischen Persönlichkeiten, die im Namen der Rose auftreten. Im Allgemeinen hält sich Umberto Eco sehr streng an die historischen Geschehnisse, die einzige Abweichung ist die Zusammenkunft, um die sich der ganze Roman dreht.
Michael von Cesena wurde wegen seinen Äusserungen im Armutsstreit von Papst Johannes XXII., wie in Ecos Buch zu lesen, an seinen Sitz in Avignon zitiert. Nachdem Michael verhaftet worden war, gelang es ihm zusammen mit William von Ockham, der im Namen der Rose ebenfalls Erwähnung findet, zu Kaiser Ludwig IV. nach Bayern fliehen. Später wurde Michael jedoch wegen zahlreicher Streitschriften gegen Papst, Kurie und die papsttreuen Minoriten exkommuniziert und zu lebenslänglicher Klosterhaft verurteilt.
Roger Bacon, das grosse Vorbild Williams, wurde später bekannt als derjenige, der das Schwarzpulver nach Europa brachte. Jacques Fournier, ein Kollege Bernard Guis, von dem William in einer Nebenbemerkung sagt, dass er noch hoch hinaus wolle, wurde später als Papst Benedikt XII. Nachfolger von Johannes XXII. (demselben, den Adson im Namen der Rose schon auf der ersten Seite so schlimm beschimpft).
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