\"Der Begriff \"Novelle\" stammt aus der Sprache der Juristen und bezeichnet einen Nachtrag, der als eine Neuigkeit einer Urkunde hinzugefügt wurde. Im Zeitalter des Humanismus übertrug man diesen Begriff auf eine bestimmte Gattung von kürzeren Erzählungen; insbesondere die von Giovanni Boccaccio um 1350 geschriebeben Erzählungen des Decamerone galten in späterer Zeit als Musterbild der Gattung.
Es gibt Novellen in Versform, doch zumeist wird es sich um Prosaerzählungen handeln, inder eine neue, meist bemerkenswerte Begebenheit, zumeist ein Konflikt, in einer begrenzten und geschlossenen Form dargestellt wird. Im Gegensatz zum Märchen handelt es sich um eine tatsächliche oder zumindest mögliche Begebenheit, auch wenn phantastische Elemente vorkommen. Der Novelle fehlt die epische Breite des Romans, es ist jedoch möglich, daß sich in der häufig verwendeten Rahmenhandlung der Erzähler kommentierend und raisonierend zu Wort meldet. Durch den strengen tektonischen Aufbau ist die Novelle dem Drama verwandt und Th. Storm hat sie \"Schwester des Dramas\" genannt.\"
Als Storm im Jahre 1881 das falsche Gerücht zu Ohren kam, Georg Ebers habe sich in einem Vorwort geringschätzig über die Gattung der Novelle geäußert, schrieb Storm höchst erregt eine Verteidigung, ohne sich über die Wahrheit dieses Geredes zu informieren. So schreibt er u.a. : \"Die Novelle, wie sie sich in neuerer Zeit, besonders in den letzten Jahrzehnten, ausgebildet hat und jetzt in den einzelnen Dichtungen in mehr oder minder vollendeter Durchführung vorliegt, eignet sich zur Aufnahme auch des bedeutendsten Inhalts, und es wird nur auf den Dichter ankommen,auch in diser form das Höchste der Poesie zu leisten. Sie ist nicht mehr, wie einst, die kurzgehaltene Darstellung einer durch ihre Ungewöhnlichkeit fesselnden und einen überraschenden Wendepunkt darbietenden Begebenheit; die heutige Novelle ist die Schwester des Dramas und die strengste form der Prosadichtung. Gleich dem drama behandelt sie die tiefsten Probleme des Menschenlebens; gleich diesem verlangt sie zu ihrer Vollendung einen im Mittelpunkt stehenden Konflikt, von welchem aus das Ganze sic organisiert, und demzufolge die geschlossenste Form und die Ausscheidung alles Unwesentlichen; sie duldet nicht nur, sie stellt auch die höchste Form der Kunst. - Im übrigen geht es mit der Novellistik wie mit der Lyrik; alle meinen es zu können, und nur bei wenigen ist das Gelingen, und auch dort nur in glücklicher Stunde.\"
Die bedeutenste Dichtung der letzten Schaffensphase Theodor Storms ist die umfangreiche Novelle Der Schimmelreiter (entstanden vom Juli 1886 bis zum Februar 1888). Die Novelle ist wohl deshalb so beeindruckend geworden, weil Der Schimmelreiter in einer Landschaft spielt, die Storm aufs engste vertraut war.
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