Wie unter Wasser Judith Hermann: Sommerhaus, später Erzählungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1998, 189 S. Schon der Titel dieses Erzählungsbandes ist ein erzählter Anfang. Wie alle Anfänge zu den sieben Erzählungen dieses Buches ganz sicher, ganz eigenwillig und in sich schon wie ein geschlossener Auftakt erscheinen.
Die Titelgeschichte beginnt so: ?Stein fand das Haus im Winter. Er rief mich irgendwann in den ersten Dezembertagen an und sagte: ,Hallo?, und schwieg. Ich schwieg auch. Er sagte: ,Hier ist Stein?, ich sagte: ,Ich weiß?, er sagte: ,Wie geht?s denn?, ich sagte: ,Warum rufst du an?, er sagte: ,Ich hab?s gefunden?, ich fragte verständnislos: ,Was hast du gefunden?? und er antwortete gereizt: ,Das Haus! Ich hab das Haus gefunden.?? So minimalistisch verlaufen die Erzählabläufe, in denen mehr erinnert als gelebt wird. Eine sprachliche Kargheit, die mitunter reizvoll sein kann.
Das Sommerhaus, einst ein Versprechen, war für ?später? gedacht. Doch der es fand, war ein schlechter Kenner von alten Häusern in der Uckermark. Der Traum vom Haus auf dem Land hört ja nie auf unter Großstädtern. Vielen ist es gelungen, manche haben wieder aufgegeben, andere haben sich glücklos angestellt oder sind gar abgebrannt. Die Kalamität des Großstädters zeigt sich am deutlichsten auf dem Land. Das beginnt auch hier mit den aberwitzigen Vorstellungen, vielleicht einen Salon, ein Billardzimmer, womöglich - mit Rücksicht auf die Nichtraucher - auch ein Raucherzimmer, jedem seinen eigenen Raum und so weiter.
Dieses Haus war schön, aber - ?es war eine Ruine?. Stein verschwindet, die Ruine brennt nieder, die Erzählerin ist leicht geschockt, denkt als letztes eben nur ?später?. Jenes Wort spielt insgeheim in fast allen Erzählungen dieses Bandes eine Rolle. Mit ?später?, ausgesprochen oder, was häufiger noch vorkommt, unausgesprochen wird eine stille Hoffnung auf gelingendes Leben annonciert. Judith Hermann erzählt mit großer Präzision von Leuten, die miteinander in Schwierigkeiten leben. Deren Leben kaum einen gemeinsamen Nenner hat.
Es geht dabei ziemlich emotionslos zu. Die reduzierte Sprechformel, ?Er sagte? oder ?Sie antwortete?, macht das jederzeit vorstellbar. Dennoch entsteht nie eine erzählerische Leere in diesen Geschichten. Denn es wird erinnert, was gewesen ist, wie es gewesen ist. Die starke Beziehung einer Erzählfigur zur Großmutter, die nun ein lebloses, ein poetisches Leben führt, sozusagen schon lange tot ist und noch ?lebt?. Demgegenüber beschreibt die Erzählerin, Enkelin der Großmutter, ihren Geliebten als einen leblosen, an sich selbst nicht interessierten Menschen.
Erst als das Korallenarmband der Großmutter auftaucht, kommt es zu einem Gespräch mit dem etwas fischigen ?Geliebten?. Doch was sagt er? Nur Fachliches. Und das entspricht in dieser wunderbaren Geschichte genau dem einstigen Verhalten des pragmatischen Großvaters, der die Großmutter allein ließ im fernen Petersburg. Die Männer: nur Fachleute. Die Frauen: erwarten Leben, Liebe, Gedankenaustausch. Auch auf einer Insel in der Karibik wird unter der Langeweile gelitten.
Man wartet auf den Hurrikan, malt sich ein Abenteuer aus, spielt pausenlos das Spiel ?Sich-so-ein-Leben-Vorstellen?. Dieses Spiel in der Erzählung ?Hurrikan (Something farewell)? korrespondiert mit jenem kategorisch-hoffnungsvollen ?Später? in der Titelerzählung. Man erinnert sich ans Leben, oft sind es die Vorfahren, die anderen, die in einer ganz anderen Zeit gelebt haben, an die man sich erinnert, während man selbst ein bißchen das Leben probiert, indem man es spielt. Wer Neuling auf der Insel in der Karibik ist, unterliegt der ?tropischen Depression?, staunt noch über Pflanzen und Farben, vermißt Europa und sehnt sich schon wieder danach. Hier zeigt eine Frau auch ein Alles-zum-ersten-Mal-Gesicht, also Eindruck und Verwunderung, aber eben ein nur im Gesicht erkennbares Flimmern, ein Schimmer ausgebliebenen Lebens. Dennoch sind diese Erzählungen nie langweilig, obwohl oft und ausdrücklich über die Langeweile erzählt wird.
Ein Fest ist ein Fest mit Figuren, Farben, Wein, Gesprächen, mehr gehaucht als gesprochen. Es wird eher ein Fest wie unter Wasser. Und auch das ist die ?Stimmung? dieser Texte, in denen prägnant erzählt wird, was längst vorbei ist, vorbei, noch ehe es beginnen konnte. Die Figuren haben in diesen schattig-melancholischen Situationen nicht nur etwas Marionettenhaftes, sie sind zu Marionetten geworden. Das verschafft der Erzählerin Judith Hermann aber den ihr eigenen Stil, während ihre Figuren ?wie unter Wasser? abwesend scheinen, ist sie, als Regisseurin, hellwach und immer anwesend. Wie Lichtpunkte tauchen in den Erzählungen dann Sätze auf, die weit über eine Seite hinweg ihre Wirkung haben.
Einmal sagt eine Frau: ?Glück ist immer der Moment davor.? Weil: ?Die Sekunde vor dem Moment, in dem ich eigentlich glücklich sein sollte, in dieser Sekunde bin ich glücklich und weiß es nicht.? Auch sind solche Sätze von einer Erfahrung bestimmt, die die Erzählerin ihren Figuren gar nicht zumuten möchte. So kommen diese aus einer durchgängig erlittenen Traurigkeit auch nicht heraus. Sie sind schon erschöpft, noch bevor der andere sie zu verstehen vermag. Das mag wie ganz wenig erscheinen, ist es aber nicht.
Denn über die Unmöglichkeit, miteinander zu reden und gemeinsam etwas zu erleben, kann Judith Hermann ungewöhnlich gut erzählen, für ein erstes Buch geradezu sehr gut.
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