Sturm und Drang (1767 - 1785) Inhalt: 1.) Allgemeines 2.) Aufklärung und Sturm und Drang 3.) Geschichte 4.) Wegbereiter 5.) Vertreter 6.
) Denkweise 7.) Ziele 8.) Geniezeit/Genieepoche 9.) Religion 10.) Themen und Gegenstände 11.) Drama 12.
) Epik 13.) Lyrik 14.) Göttinger Hain 1.) Allgemeines - von der Zeit des Erscheinen der Herderschen Fragmente bis zur Wandlung Goethes und Schillers - Protestbewegung junger Intellektueller/Jugendbewegung ð stammten aus unteren Gesellschaftsschichten - literarische, keine politische Revolution - alle Schriftsteller des S&D lehnten Leben nach gesellschaftlichen Normen und praktischen Vernunfsregeln ab - rebellierten gegen alte, überkommene Institutionen und gegen die Generation der Väter - suchten nach einer Form der Selbsterfüllung - das Schauspiel "Sturm und Drang" (1776) (ursprünglich: "Wirrwarr", von Genieapostel Christoph Kaufmann so benannt) von Friedrich Maximilian Klinger gab der Epoche seinen Namen - füllte nur einen kurzen Zeitraum aus - erlangte aber dennoch europäische Bedeutung und hatte großen Einfluss und weltreichende Wirkung auf die weitere Entwicklung der deutschen Literatur (1) - Glauben an Kulturfortschritt und Tradition wurde gebrochen - neue Weltgefühl vergöttlichte Natur - dem Kulturmensch wurde Naturmensch als etwas Höheres entgegengestellt - Kunst war für S&D nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Offenbarung - Zentren: Frankfurt, Göttingen, schwäbischer Raum 2.) Aufklärung und Sturm und Drang - wurde oft als Gegenbewegung zur Aufklärung gesehen - es wurde behauptet: "die Geniezeit sei eine irrationale Bewegung , die der Vernunft und Verstandeskultur der Aufklärung mit Gefühl und Empfindung begegnet und diese an die Stelle jener setzte. Dieser Eindruck ist aber falsch: Die Verstandeskultur der Aufklärung wird nicht durch den Gefühlskult der empfindsamen Stürmer und Dränger ersetzt, sondern ergänzt.
Die Theoretiker und Dichter der Epoche sind von der Aufklärung geprägt und erzogen, als Söhne von Pfarrer und Kleinbürgers sind sie den Denkstrukturen des 18. Jahrhunderts so stark verpflichtet, dass sie sich kaum davon lösen mögen." (Ulrich Karthaus) - S&D ist Intensivierung der Aufklärung - es wurden wesentliche Tendenzen der Aufklärung gesteigert - aus nüchterner Naturbeobachtung wurde tiefe Naturverbundenheit, begeistertes Naturerleben - S&D: natur vergöttlicht, A:Natur wegen des naturwissenschaftlichen Fortschritts entgöttlicht - aus populär-philosophischen Bemühungen wurde volksnahes Rebellieren - aus einem vernunftmäßigen Freiheitsbegriff wurde ein leidenschaftliches Freiheitsbegehren - stärkere Kritik an Despotismus (Gewaltherrschaft) und Kleinstaaterei, an Feudalismus und gesellschaftlichen Konventionen 3.) Geschichte - um 1750 wurde offene Kritik am ausschweifenden Leben der verantwortungslosen und verschwenderischen Fürsten immer lauter - Kämpfe zwischen Feudalismus, der seine Position noch behauptet und dem emporsteigenden Bürgertum ð S&D beschleunigte bürgerliche Emanzipation - Landwirtschaft geriet in schwere Krise durch geringe Produktivität ð schreckliche Hungersnöte - viele kleine Fürstentümer: kein Zusammengehörigkeitsgefühl - große ständische Unterschiede in allen Bereichen - USA: Unabhängigkeitskrieg mit England - Interesse der Stürmer und Dränger an der älteren deutschen Geschichte ð suchten nach Zeiten und Zuständen, in denen der einzelne noch nicht dem bevormundenen Zugriff einer allmächtigen Obrigkeit ausgesetzt war 4.) Wegbereiter - besonders vier Persönlichkeiten, die mit ihren Anregungen und den Impulsen, die von ihren Werk ausgingen, zu Wegbereitern des S&D wurden a) Johann Georg Hamann (1730 - 1788) - wirkte vor allem mit seinen Hinweisen auf eine natürlich, volkstümliche, sinnlich-einfältige Dichtung - hob immer wieder das irrationale, Doppelsinnige, die sinnliche Seite des konkreten Lebens hervor - schuf Lehre von der Einheit von Leib, Seele, Geist und Sinnlichkeit - diese Einheit offenbarte sich vor allem in der Sprache - menschliches Sprechen sei nur ein Abglanz göttlichen Sprechens - Gebrauch der Sprache mache den Menschen zum Schöpfer - Sprache sei die Mutter der Vernunft - Poesie die Muttersprache des Menschengeschlechts b) Johann Kaspar Lavater (1741 - 1801) - philosophisch-theologischer Schriftsteller - gemüt- und fantasievoller Epiker, Lyriker und Dramatiker - dichterische Werke (stark abhängig von Klopstock und Gleim) spiegeln irrationale Gedanken und Gefühle eines Schriftstellers wider - reichen von empfindsamen Rebellentum und orthodoxer Gläubigkeit bis zu abergläubischer Beschränktheit c) Johann Heinrich Merck (1741 - 1791(Selbstmord)) - in seinen Werken fehlt das ungestüme Rebellieren - vielseitiger und stets aktiver Mensch - leidenschaftlich kämpfte er für Ideale der bürgerlichen Freiheit, gegen soziale Unterdrückung der Bauern d) Johann Gottfried Herder (1744 - 1803) - hatte großen Einfluss auf seine Zeitgenossen - von seinen Dichtungen, Legenden, Parabeln und Gedichten ist wenig lebendig geblieben - befähigter Nachdichter à Vermittler der Weltliteratur - Begründer einer neuen deutschen Geschichtsphilosophie - verachtete "nüchterne Verstandeskultur" der Aufklärung - wollte Formen geschichtlichen Lebens nicht beherrschen oder verändern, sondern verstehen und deuten 5.) Vertreter - meisten Dichter standen durch Briefwechsel in Verbindung und veranstalteten private Lesungen im kleinem Kreis ð wurde von G.
E. Lessing heftig kritisiert Johann Wolfgang Goethe (1749 - 1832) (3) ð universeller Denker mit stärkstem Einfluss auf die europäischen Literatur und Geistesgeschichte der Neuzeit ð Naturforscher ð seine Werke sind mustergültig für S&D Jakob Michael Lenz (1751 - 1792) ð Theologiestudium in Königsberg (war dort u.a. Kants Schüler) ð zählte neben Klinger und Wagner zum persönlichen Freundeskreis Goethes ð gilt als die bedeutendste Begabung (abgesehen von Goethe) des S&D ð seine Werke über seine Zeit hinaus bedeutend (2) Heinrich Leopold Wagner (1747 - 1779) ð studierte Rechtswissenschaft ð Freund Goethes ð typischer Dramatiker neben Klinger und Lenz ð aber: weniger bedeutend ð betriebsamer Mitläufer des S&D ð seine Dramen zeigen soziale Missstände, Ungerechtigkeit, die durch Klassengegensätze hervorgerufen wurden ð Darstellung mutete naturalistisch an, aber hatten wenig Tiefe, gelungen: Charakterzeichnung Johann Christopher Friedrich von Schiller (1759 - 1805) ð Arbeit an "Don Carlos" weckte sein Interesse an Geschichte ð schrieb große historische Abhandlungen, nahezu alle folgenden Dramen haben historische Stoffe zum Inhalt Christian Friedrich Daniel Schubart (1739 - 1791) ð literarischen Leistungen auf 2 Gebieten: journalistischen Tätigkeiten, lyrische Schaffen ð beeinflusste den jungen Schiller ("Die Räuber") ð nahm in "Deutscher Chronik" auf volkstümlicher Weise zu allen politischen und kulturellen Ereignissen Stellung Friedrich Maximilian Klinger (1752 - 1831) ð Freund Goethes ð militärische Laufbahn (war u.a. Generalmajor) ð gab dem S&D mit "Wirrwarr" seinen Namen Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (1737 - 1823) ð Rechtwissenschaftsstudium ð Tragödie "Ugolino" (1767) (erste Dichtung leidenschaftlichem und ungestümen dramatischen Stils => "shakespearisieren") ð Kritiker und Theoretiker ð Stellte Grundforderungen der neuen Poetik auf: Genie, Originalität, kraftvolle Empfindungen, Leidenschaft im Sinne Shakespeares und gegen den französischen Klassizismus 6.
) Denkweise - Ablehnung von Vernunft - Streben nach Natürlichkeit - Suche nach Identität - Gefühlsbetontheit - Kritik an Missständen auf der Bühne - Innere Zerrissenheit - Umbruch/Radikalität - antisystematisch/antigelehrt - Umsturz von Geschmack und Moral 7.) Ziele - versuchte die Probleme der Menschen und der Politik in Formen von Schauspielen zu lösen, da der vorherrschende Despotismus keine andere Handlungsmöglichkeit zuließ - Dichter deckten widersprüchliche Situation des Bürgertums auf und stellten sie in ihren Werken dar - brennenden Fragen der Gesellschaft wurden von jungen Dichtern aufgegriffen: 1.) die Schranken der Ständeordnung, Kampf um Freiheit der Liebe ð Friedrich von Schiller - "Kabale und Liebe" (1784) 2.) die drückende Last der Bauern, Eheverbot der Offiziere ð Jakob Michael Reinhold Lenz - "Soldaten" (1776) 3.) das Recht des Einzelnen auf Selbstverwirklichung gegen die bestehende Gesellschaftsordnung ð Schiller - "Die Räuber" (1781) ð Johann Wolfgang Goethe - "Götz von Berlichingen" (1773) - blieb jedoch oft nur beim Versuch Probleme zu lösen - adligen Stand haben Stürmer und Dränger nie in Frage gestellt - Mensch soll ohne Begrenzungen (Gesetze, Gebote, Traditionen, ..
.) leben - ging ihnen um eine Vermittlung bzw. Versöhnung von Vernunft und Gefühl, Ratio und Natur 8.) Geniezeit/Genieepoche - Überordnung des Genies über kritischen Kopf - Lavater: "Aussprecher unaussprechlicher Dinge", "Licht der Welt" - Herder: "Urkraft", "Erfinder" - Kant: "Der Genius ist der einem Menschen eigentümlich bei der Geburt mitgegebene, schützende Geist, von dessen Eingebung jene originalen Ideen stammen." - Genie wird von seinem Herz geleitet 9.) Religion - religiöse Vorstellungen beeinflussten nachhaltig Philosophen und Schriftsteller ð Johann Georg Hamann und Johann Gottfried Herder - Religion = gelebte Erfahrung à sollte den ganzen Menschen erfassen - Herder/Goethe: Werke Gottes nicht nur in der Bibel, sondern auch in Natur - Ablehnung einen durch den Vernunft abgeleiteten außerweltlichen Gott - Gott als konkrete Kraft in der Welt/im Menschen wenn: Gott den Sinnen/Gefühlen offenbart ð Goethe - "Prometheus", "Ganymed" 10.
)Themen und Gegenstände - Familienbeziehung - Zerrissenheit des Menschen - Ständeunterschied - Freiheitsproblematik - Erscheinung eines "negativen Helden" - Gegensatz zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit ð bildete "faustisches Lebensgefühl" 11.) Drama - bevorzugte Gattung - Tragödie und Tragikomödie - Vorbild: William Shakespeare - leidenschaftliche Engagement der Autoren konnte sich so am besten entfalten - festen Regeln der klassizistischen Tragödie wurden ignoriert - Konflikt zwischen Naturmensch und der bestehenden Kultur - drei Einheiten wurden durchbrochen ð drei Einheiten: nach Aristoteles: ð Einheit der Handlung (Durchführung eines Grundmotivs ohne ablenkende Episoden und Nebenhandlungen) ð Einheit des Ortes (kein Wechsel der Schauplätze) ð Einheit der Zeit (Handlung darf nur in einem eng begrenzen zeitlichen Rahmen laufen (24 Stunden durften im Idealfall nicht überschritten werden)) 12.) Epik - neigte zur autobiografischen Darstellung (Tagebuch, Brief) ð persönliche Aufzeichnungen bieten beste Möglichkeit, Gefühle auszudrücken und Leser zu ermöglichen, das Erzählen feiner zu deuten und nachzuempfinden ð Romane dieser Art sind oft Selbstanalysen, die auf persönlichen Erlebnissen, Empfindungen oder Gefühle der Autoren beruhen ð Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" ð Verbindung aus äußerst subjektive Erzählweise mit der Darstellung einer engen Naturverbundenheit und deutlicher Gesellschaftskrititk - Roman verliert an Bedeutung - "Ardinghello und die glücklichen Inseln" von Wilhelm Heinses (LEBENSDATEN!!!) ð Betonung des Rechts auf Leidenschaft und Sinnlichkeit 13.) Lyrik - erstmals gesellschaftlicher Bezug ignoriert - scheinbar einfache, dem Volkslied nahe stehende Sprache ð Goethes "Sesenheimer Lieder" (1771) ð Erlebnis der Natur verband sich mit Erlebnis der Liebe - Balladen wurden gepflegt (bot Möglichkeit der Darstellung des Wirkens irrationaler Kräfte) - Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 - 1803) machte Hymen und Oden beliebt ð Helden (meist aus der Antike stammend) beschrieben und besungen ð Formvorschriften gibt es nicht, freier Rhythmus, keine Reimform, Variation der Zeilenlänge, keine gleiche Anzahl von Hebungen und Senkungen - hervortreten der persönlichen Gefühls- und Erlebnisdichtung ð meiste schlicht in Sprache und Form ð aber angefüllt mit persönlichen Empfinden ð hohes Maß an spürbarer Lebensechtheit ð Goethes "Prometheus" (1771) - Form nicht mehr äußerlich regelmäßig, sondern individuell und unregelmäßig - Inhalt bestimmte Klangbild - klassische Vorbilder sowie kunstvolle metrische und strophische Formen traten zurück 14.) Der Göttinger Hain - 1772 schloss sich eine Gruppe avantgardistisch (für eine neue Idee kämpfend) dichtender Studenten zusammen - Freundschaftsbund - verehrten den "göttlichen" Klopstock ð verkörperte für sie das Ideal des freischöpferischen Schriftstellers - übernahmen sein moralisch-patriotisches Sendungsbewusstsein - nannten sich in Anlehnung an die Ode "Der Hügel und der Hain" (1767) von Klopstock (darin zog Klopstock den nordischen Dichter dem klassizistischen Poeten vor) - Kopf der Gruppe was Christian Heinrich Boie (1744-1806) ð weniger bedeutend als Dichter, aber als Anreger und Vermittler - weiter Mitglieder: - Johann Heinrich Voß (1751 - 1826) ð seine Homer-Übersetzungen sind bis heute maßgeblich - Ludwig Christoph Heinrich Hölty (1748 - 1776) ð bedeutendster Lyriker des Göttinger Hains - Johann Martin Miller (1750 - 1814) ð meisten seiner Liebes-, Natur- und Freiheitslieder sind inhaltlich und formal ohne große Bedeutung ð - Später die Grafen Christian und Friedrich Leopold Stolberg (1748 - 1821), (1750 - 1819) - gaben sich in badisch-patriotischer Begeisterung nordische Namen ð Haining (Hölty), Minnehold (Miller), Werdomar (Boie) - setzen sich leidenschaftlich, fast militant für deutsche Tugend, Unschuld, wahre Empfindungen und Freiheit ein
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