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deutsch artikel (Interpretation und charakterisierung)

Skizze eines produktorientierten interpretationsansatzes -


1. Drama
2. Liebe

Mit dem 1904 verfaßten Professor Unrat, dessen Niederschrift nach eigener Aussage des Autors nur wenige Monate in Anspruch nahm, wandte sich Heinrich Mann unmittelbar der deutschen Provinz zu. Bislang hatte er die bürgerliche Gesellschaft in seinen seit 1900 veröffentlichten Romanen vorwiegend an ihrem ästhetischen Erscheinungsbild gemessen und ihren spätzeitlichen Verfallszustand analysiert.
Zunächst scheint sich die Geschichte eines wilhelminischen Schullehrers in einer norddeutschen Kleinstadt (die im übrigen nicht schwer als das Lübeck des Schülers Heinrich Mann zu vertifizieren ist) scheint sich den Schulsatiren Wedekinds, Thomas, Hauptmanns und Hesses zuzuordnen. Das Werk als eine karikierende Schulsatire zu verstehen, wird vor allem durch die entstandene Filmfassung Carl Zuckmayers von 1931 unter dem Titel Der "Blaue Engel" unterstrichen. Doch eine werkgetreuere Interpretation vermag die Doppelsinnigkeit der in siebzehn Kapiteln aneinandergereihten Einzelzehnen zu beschreiben - entgegen der im Film nivellierten Schlußwendung (ein Gymnasiallehrer endet auf klägliche und mitleiderregende Weise).
Der Anschein, satirischer Lächerlichkeit, wird zunächst dadurch bewahrt, daß ein tyrannischer, verknöcherter Lehrer auf der nächtlichen Jagt nach seinen ihm verhaßten Schülern die Sängerin und Barfußtänzerin Rosa Fröhlich kennenlernt, sich in sie verliebt und deswegen seine Stellung verliert. Doch daß diese "Lebensfeindliche" Lehrerfigur ihre bürgerliche Umwelt enthemmt und eine anarchistische Revolte gegen sie unternimmt, verstört das Lachen des Lesers und läßt an der anfänglichen Übereinstimmung mit dem Autor Zweifel aufkommen. Eine bislang wenig beachtete Äußerung Heinrich Manns ("Unrat, dieses lächerliche Scheusal ... hat doch einige Ähnlichkeit mit mir"; s.o.) und die groteske Umkehrung der kleinstädtischen Verhältnisse - Agressionslust, strammer Nationalismus und Autoritätsgläubigkeit schlagen in blinde Anarchie um - weisen darauf hin, daß die Hauptfigur nicht nur als typiesiertes Objekt der Satire, sondern auch als Vexierbild des Satirikers zu verstehen ist. So stellt sich der Roman als sozialpathologische Studie dar, in der die psychologische Motivation des Leidens und Handelns den einzelnen auch dann noch prägt, wenn er den politischen Mechanismus seiner Gesellschaft durchschaut und dagegen revoltiert.
Raat ordnet sein Verhältnis zu den Schülern psychologisch dem selben Machtprinzip unter, das er - ein glühender Chauvinist (s.o.), der "über die Pflichttreue, den Segen der Schule und die Liebe zum Waffendienst" Aufsätze schreiben läßt - politisch vertritt. Seiner tyrannischen Herrschsucht, die sich in drakonischen Strafen ungerechten Zensuren und sinnwidrigen Anordnungen widerspiegeln, entspricht innerer Ohnmacht und Triebverdrängung.
Er verirrt sich auf der Suche nach widerborstigen Schülern in die Spelunke "Zum blauen Engel", wo die leichtlebige "Künstlerin" Rosa Fröhlich gastiert, und aus der Sucht heraus, die Schüler zu "fassen", es den vermeintlich Aufsässigen zu "beweisen", in einen fremdartigen, verwirrend-erotischen Dunstkreis; so wird seine Machtvorstellung allmählich von bislang zurückgedrängter, triebhafter Sinnlichkeit unterhöhlt. Je öfter er bei Rosa Fröhlich verkehrt, je mehr seine autoritäre Stellung bei den Schülern dadurch untergraben wird, desto näher rückt er den von ihm Unterjochten; der in seiner Macht geschwächte Tyrann begegnet seinen Untertanen auf der gleichen Stufe: als ein Untertan. Als dann schließlich "die überreizte Zärtlichkeit des Menschenfeindes" über alle Hemmungen und Konventionen siegt und Unrat die nach Sicherheit sich sehnende Fröhlich heiratet, ist seine bürgerliche Stellung verloren. Verteidigt der anfangs im Prozeß noch die geheiligten Güter staatserhaltender Gesinnung, so bricht im folgenden der Haß auf die bürgerliche Gesellschaft, die ihn geprägt hat, durch: In einer geifernden Rede wendet sich Raat gegen die großbürgerliche Kaste, den dekadenten Adel und die korrumpierten Kleinbürger, wie sie sich in den drei pubertierenden Sündenböcken Lohmann, von Erzum und Kieselack repräsentativ wiederfinden.
"Auf neue, unvorhergesehene Weise" dehnt sich nun Unrats Kampf aus, als er nach einem lehrreichen Aufenthalt an der See mit seiner Frau in die Stadt zurückkehrt. Darüber hinaus mußte er durch einen Seitensprung Rosas erkennen, das erotische Libertinage sowohl die Bürger, als auch ihn selbst fesselt und unversehens zu Untertanen macht. Aus seiner "Villa vor dem Tor" macht er eine Stätte nächtlichen Vergnügens und verbotener Glücksspiele, was natürlich zu noch mehr Getuschel innerhalb der Stadt führt.
Je mehr Unrat die "Entsittlichung der Stadt vorantreibt, desto mehr fällt er jedoch seiner eigenen Rachsucht zum Opfer. Seine Seele, "ihre Abgrundflüge, ihr fürchterliches Auskohlen, ihr über alles hinaus selber Verdammtsein", legt die Disposition des Satirikers bloß, der - wie seine Hauptfigur - an dieser von ihm analysierten Gesellschaft leidet. Jedoch kann "all dies fanatisch Überkochende", in expressionistischen Metaphern zum Sprachbild abgründiger Dämonie erhöht, nicht letztendlich die Gesellschaft gefährden, da die vormalige bürgerliche Fassade der Wohlanständigkeit renoviert werden kann, als Unrat eine Brieftasche stiehlt und dabei verhaftet wird.
Die doppelte Negation, der Satire auf die kleinstädtisch-bürgerlichen Verhältnisse und dem Vexierbild des "Menschenfeindes", steht in diesem Roman, zum ersten mal in Heinrich Manns Werk, eine Figur gegenüber, die sich in dem Roman später ausformulierter demokratischer und sozialethischer Utopie fügt: In der Gestalt Rosa Fröhlich, dem Mädchen aus dem Volk, beschrieb der Autor, noch weitgehend ironisch gebrochen, eine Repräsentantin humanen "Mitleids"; in der Figur des jungen Literaten Lohmann, durch den der Erzähler den Professor analysieren läßt und der mit dem Lübecker Schüler Heinrich Mann verblüffende Ähnlichkeiten aufweist, stellt er kritisch den wirklichkeitsfernen Ästheten dar und festigt seinen Standort als sozialkritischer Realist.
Professor Unrat findet sein stoffliches und thematisches Pendant in dem 1914 fertiggestellten "Der Untertan", in der das Tyrann-Untertan-Verhältnis von Mann vor der selben Lübecker Kulisse wieder aufgegriffen wurde, indem er aber weitaus schärfer gegen den Untergang liberaler Humanität protestierte.

 
 

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