Das Kind Liselotte ist ein Schlingel, eine lebende Herausforde¬rung an die guten Manie¬ren, die man den jungen Damen zu der Zeit einschärft. Sich nicht zu bewegen oder still zu sein ist eine wahre Marter für sie, die so unru¬hig ist. Alle, die sie gekannt haben, beschreiben sie übereinstimmend als eine \"recht schroffe Natur\". Sie selbst wird später zugeben: \"In meiner Kindheit war ich ein wenig mutwillig.\" Das pfiffige kleine Mädchen macht gerne Streiche und läßt sich durch die Schliche der Erwachsenen nicht täuschen.
Mit Gewalt kann man bei ihr nichts erreichen, wie sich bei ihrer ersten Gou¬ver¬nante herausstellt. Die zweite Gouvernante schafft es durch aufrichtige Zunei¬gung und durch das Sich-Wenden an ihr Herz und ihren Verstand, den kleinen Wild¬fang zu zähmen.
Aber Liselotte ist von frühester Kindheit an in einen Familienkonflikt verwic¬kelt. Sie ist, ohne zu begreifen, Zeuge der Zwietracht ihrer Eltern. Alles ist aus zwi¬schen dem Kurfür¬sten Karl Ludwig und seiner Frau Charlotte.
Sie ist hübsch, elegant, legt Wert auf Kleider, Schminke und Schmuck. Das übrige hat für sie wenig Bedeutung. Um ihre Kinder kümmert sie sich nicht mehr als die anderen großen Damen des 17. Jahrhunderts, außerdem hat sie beschlossen, daß ihr zwei Kinder reichen: sie hat keine Lust, jedes Jahr einen kleinen Pfalz¬grafen zur Welt zu bringen, der ihr die Figur verdirbt. Deshalb verbietet sie ihrem Mann den Zutritt zu ihrem Zimmer.
Die Folgen waren leicht vorauszusehen. Der frustrierte Gatte entdeckt unter den Hof¬damen seiner Frau die zwanzigjährige Luise von Degenfeld. Er nimmt sie offiziell zur Maitresse, und aus ihrer Beziehung gehen acht Kinder hervor.
Liselotte leidet sehr unter den Streitereien ihrer Eltern. Glück¬licher¬weise be¬schließt Karl Ludwig, Liselotte seiner Schwester Sophie aus Hanno¬ver anzuver¬trauen. Man kann sich fragen, was der Grund dieser Trennung war. Sollten dem Kind die Szenen erspart werden, die sich seine Eltern gegenseitig liefer¬ten? Wollte man die Sorge seiner Erzie¬hung loswerden? Es endgültig von seiner Mutter entfernen und es in der Familie des Vaters aufziehen? Diese drei Grün¬de dürften die Entscheidung Karl Ludwigs bestimmt haben, der seine Tochter liebt, seine Frau hasst und in seinem Privatleben und mit seinen Verantwort¬lichkeiten als Staatsoberhaupt Sorgen genug hat. Sich von einem sechsjährigen Kind zu entlasten, das in Hannover glücklicher sein würde als in Heidel¬berg, ist unter diesen Umständen verständlich.
Die durch und durch normale Sophie gewinnt den lustigen, übermütigen Blond¬schopf sofort lieb. Die Zuneigung ist gegenseitig.
In Hannover beginnt ein anderes Leben (\"die besten Jahre meines Lebens\"). Elisa¬beth Char¬lot¬te wird bis an ihr Lebens¬ende eine strahlende Erinnerung an diese Zeit behal¬ten, die ent¬schei¬dend war für die Entwicklung ihrer Intelligenz und ihrer Sensibili¬tät. Die Herzogin Sophie will keine Hofpuppe aus ihr machen, sondern ein aufrechtes, freimüti¬ges, gebildetes, zur Heuchelei unfähiges Mädchen. Das Zeremo¬niell wird für sie auf ein Mini¬mum reduziert. Liselotte ist weiterhin sehr lebhaft und wissensdurstig.
Sie ist zwölf, als ihr Vater beschließt, sie wieder zu sich zu nehmen, da seine Verhält¬nisse wieder \"geordnet\" sind, nachdem Kurfürstin Charlotte nach Kassel zurückgekehrt ist. Ein harter Schlag für sie, die verzweifelt ist, sich von ihrer Adoptivfamilie losreißen zu müssen. Aber alles in allem ist das Leben in Heidel¬berg nicht unangenehm. Sie verschlingt Bücher, sie studiert die Lebensweise der Tiere, sie macht endlose Spaziergän¬ge aufs Land,...
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