Mir persönlich gefällt diese Novelle von Stefan Zweig besonders gut. Die Erzählung ist vom Anfang bis zum Ende spannend zu lesen. Besonders gefallen hat mir die Geschichte des Dr. B. . Man kann sich richtig gut in ihn hineinversetzen. Stefan Zweig besitzt eine besondere Gabe zu erzählen. Seine Schilderungen, was für eine Paradoxie es bedeutet, gegen sich selbst Schach zu spielen, sind an Spannung kaum noch zu übertreffen:
\"Das Attraktive des Schachs beruht doch im Grunde einzig darin, daß sich seine Strategie in zwei verschiedenen Gehirnen verschieden entwickelt, daß in diesem geistigen Kriege Schwarz die jeweiligen Manöver von Weiß nicht kennt und ständig zu erraten und zu durchkreuzen sucht, während seinerseits wiederum Weiß die geheimen Absichten von Schwarz zu überholen und parieren strebt. Bildeten nun Schwarz und Weiß ein und dieselbe Person, so ergäbe sich der widersinnige Zustand, daß ein und dasselbe Gehirn gleichzeitig etwas wissen und doch nicht wissen sollte, daß es als Partner Weiß funktionierend, auf Kommando völlig vergessen könnte, was es eine Minute vorher als Partner Schwarz gewollt und beabsichtigt. Ein solches Doppeldenken setzt eigentlich eine vollkommene Spaltung des Bewußtseins voraus, ein beliebiges Auf- und Abblendenkönnen der Gehirnfunktion wie bei einem mechanischen Apparat; gegen sich selbst spielen zu wollen, bedeutet also im Schach eine solche Paradoxie, wie über seinen eigenen Schatten zu springen.\" (S. 66 f.)
Anhand dieser Zeilen sieht man schon, was für ein außergewöhnlicher Erzähler Stefan Zweig ist. Es gelingt ihm, einem auf mehreren Seiten diese Absurdität des Schachspielens gegen sich selbst spannen und packend zu vermitteln.
Ich denke, dass das Schiff, das auf dem Atlantik treibt, eine symbolische Bedeutung hat. Es ist das Bindeglied zwischen Europa und Amerika. Der Kampf Hitlers, der den größten Teil Europas unterjocht hat, gegen Europa wird sozusagen stellvertretend für den Krieg auf dem Schiff ausgetragen.
Jetzt möchte ich noch ein wenig auf die verschiedenen Charaktere eingehen, die in diesem Buch aufeinandertreffen und sich im Schachspiel begegnen:
Die Personen:
Stefan Zweig hebt aus einer großen anonymen Menge der Passagiere nur drei Personen hervor. Um sie herum gruppieren sich \"Statisten\" ohne größere Bedeutung; selbst der Erzähler, mit dem sich Stefan Zweig wohl größten Teils identifiziert, wird zum Statisten: Zweig war ebenfalls, wie der Erzähler, immer bestrebt, an allem Außergewöhnlichen teilzunehmen. Außerdem wird er als guter und vertrauenerweckender Freund und Zuhörer dargestellt.
Die erste der drei Personen ist McConnor, ein schottischer Tiefbauingenieur, der in Amerika zu beträchtlichem Reichtum gekommen ist. Er wir schon am Anfang der Novelle mit eindeutig negativen Merkmalen eingeführt, auch die Beschreibung seines Aussehens [\"... ein stämmiger Mensch mit starken, fast quadratisch harten Kinnbacken,...\"(S. 23)] lässt sofort erkennen, was für eine Abneigung Zweig gegen diese Sorte von Menschen hat. Auch werden seine Sprache und sein Verhalten als grob, direkt und unqualifiziert dargestellt. McConnor scheint sich für den Boss zu halten, der bezahlt und deshalb auch bestimmt was geschieht. Während sich der Chronist auch für den Menschen Dr. B. und seine Geschichte interessiert, ist Dr. B. für McConnor völlig gleichgültig. Er ist einfach sensationsgeil, es ist für ihn eine Genugtuung, hier einen richtigen Weltmeister Schachspielen zu sehen. Für ihn gibt es nur den Erfolg, Emotionen oder menschliche Schicksale haben für ihn keinen Stellenwert.
Herr Centovic, geboren als Sohn eines südslawischen Donauschiffers, wird nach dessen Tod als Waisenkind vom Dorfpfarrer aufgezogen. Trotz aller Bemühungen gelingt es dem Pfarrer weder, ihm Allgemeinbildung zu verschaffen, noch gelingt es ihm, dem kleinen Mirko das fehlerlose Schreiben beizubringen. Erst durch einen Zufall entdeckt der Pfarrer seine ungewöhnliche Schachbegabung. Es gelingt Centovic eine steile Karriere zu starten und bereits mit 20 Jahren ist er Schachweltmeister. Zweig schildert ihn zwar als einen ungewöhnlich begabten Schachprofi, doch schildert er auch seine sonstige Weltanschauung. Herr Centovic hat sein ganzes Leben damit verbracht, dem Schachspiel all seine Gedanken zu widmen. Ihm bleibt jeder Zugang zu eigentlichen Welt verschlossen. So wie für McConnor gibt es für den Materialisten Centovic nur den Erfolg, die persönlichen Schicksale und Tragödien von anderen Menschen lassen ihn kalt.
Dr. B. ist das genaue Gegenteil von Herrn Centovic. Einst besaß er eine unauffällige Anwalts-praxis, die in Wirklichkeit auf die Rechts- und Vermögensberatung großer Klöster ausgerichtet war. Doch als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde seine Geschäfte immer gefährlicher. Schließlich wurde er von einem NS-Spion entlarvt, von der Gestapo festgenommen und in Isolierhaft gesteckt. So wollten ihn die Nazis ohne körperliche Gewaltanwendung und mit geschickten Verhören zu einem Geständnis zwingen, in dem er alle, die für sie politisch gefährlichen Gegner, verraten sollte. Nur durch ein gestohlenes Schachbuch konnte er sich für eine Zeitlang vor dem Wahnsinnigwerden retten. Da er, gefangengenommen in Einzelhaft in einem weitgehend leeren Raum, keinen Zugang mehr zur Realität fand, war das Schach das einzige, was ihn am Leben hielt. Doch schon bald beherrschte er alle im Buch festgehaltenen Partien auswendig und begann, gegen sich selber imaginäres Schach zu spielen. Das brachte jedoch zwangsläufig eine Bewusstseinsspaltung mit sich, und barg ebenfalls die Gefahr des Wahnsinnigwerdens. Sein ganzes Leben baute sich nur noch um das Schachspiel herum auf, sogar seine Träume wurden vom Schach beherrscht.
Als er nun wieder frei ist aus seiner langen Haft, gelingt es ihm schließlich doch noch, unter seine Erfahrungen mit dem Schach und seinen Vergangenheit, einen Schlußstrich zu ziehen. Er muß seine Partie aufgeben, um sich vor der Gefahr, neuerlich in ein Schachfieber zu verfallen, zu schützen. Plötzlich entsinnt er sich, dass er nur durch den Abbruch der Partie den Weg in die Freiheit finden kann. \"Er verbeugte sich und ging, in der gleichen bescheidenen und geheimnisvollen Weise, mit der er zuerst erschienen.\" (S. 94f.)
Ich halte alle drei Personen für glaubhaft und gut dargestellt. In diesem Sinne kann ich das Buch all denen bestens weiterempfehlen, die es noch nicht gelesen haben. Und denen, die es bereits gelesen haben, rate ich, es noch einmal zu lesen. Dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre eines jeden gehören.
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