Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem Warenhaus in New York und plötzlich steht eine Person gleichen Geschlechts vor ihnen, die sie vom ersten Blick an fasziniert, obwohl sie eine solche Reaktion noch nie zuvor an sich bemerkt haben! Sie wünschen sich plötzlich nichts sehnlicher, als mit dieser Person zusammen zu sein. Genau in dieser Situation befindet sich Therese, eine der Hauptfiguren in dem Buch "Carol" von Patricia Highsmith. Sie arbeitet in einem Warenhaus, fühlt sich dort eingeschlossen ("Das Warenhaus war so durchorganisiert, wie ein Gefängnis."[1]) und freut sich auf den Tag, an dem sie endlich aus ihrem jetzigen Leben ausbrechen und ein neues beginnen kann.
Bis zu diesem Tag war Therese ein "ganz normales Mädchen". Zumindest schien es so. Mit ihren Eltern hatte sie schon lange nichts mehr zu tun. Ihre Mutter Esther Nicolas Strully hatte sie das letzte Mal mit 14 gesehen. Nun verbrachte Therese jeden Tag mit Richard, den sie auf einer Party in der Christopher Street (Die Straße ist wichtig zu erwähnen, da der heutige Tag der homosexuellen schlechthin der Christopher Street Day ist...) getroffen hatte und offiziell waren sie ein Paar. Richard liebte Therese über alles, Therese wusste jedoch, dass sie ihn nie wirklich lieben würde, auch wenn seine Eltern einer Heirat durchaus zugestimmt hätten. Sie hatte trotz Richard und 2 Männern davor noch keine sexuellen Erfahrungen. "Seit sie Richard kannte, hatte sie drei- oder viermal versucht mit ihm zu schlafen, aber mit negativem Ergebnis."[2] Zu dieser Zeit ist Therese Bühnenbildnerin und auf der Suche nach einem neuen Job, denn der im Warenhaus ist kurz nach Weihnachten wieder vorbei. Über Richard lernt sie 2 junge Männer kennen, die ihr zu Gesprächen mit Regisseuren und anderen wichtigen Leuten verhelfen - Dannie und Phil Mc Elroy.
An jenem Tag, als Carol das Warenhaus "Frankenberg" betritt, in dem Therese arbeitet, geschieht etwas, was beide vorher nie gedacht hätten. Der Grundstein für eine Beziehung wird gelegt. Als Therese Carol sieht, ist sie sofort von dieser großen, blonden, schlanken, elegant wirkenden Frau mit dem weiten Pelzmantel fasziniert. "Ihre Augen waren von einem durchsichtigen Grau, die aber wie Licht und Feuer alles andere überstrahlten und unwiderstehlich in ihren Bann zogen, und Therese konnte nicht wegsehen."[3] Carol kauft etwas bei Therese und lässt eine Adresse da, an welche die Sachen geschickt werden sollen. Als Therese die Sachen verschickt, legt sie eine Weihnachtskarte dazu, in der Hoffnung, Carol würde noch einmal an sie denken. Einige Tage später steht Carol wieder vor ihr, um sich für die Karte zu bedanken und sie zu einem Kaffee einzuladen.
Carol, die aus einer finanziell sehr gut abgesicherten Familie kommt, lebt zu dieser Zeit mit ihrem Mann in Scheidung und ihre gemeinsame Tochter Rindy, die Carol sehr liebt, lebt für einige Monate bei ihrem Vater.
Es bleibt nicht bei diesem einen Treffen. Sie kommen sich immer näher und bald verbringt Therese die Nächte in Carols Haus, welche nach der Entscheidung zur Scheidung von ihrem Ehemann alleine mit ihrer Haushaltshilfe dort lebt. Ich möchte hier nicht sagen, dass Carol eine reiche Frau ist, denn das hat einen negativen Beigeschmack. Carol ist eine sehr großzügige Frau und zeigt dies bei allen Treffen mit Therese. Sie bezahlt die Rechnungen, macht Therese Geschenke u.s.w.. Sie selbst vereint 2 Gegensätze in sich. Sie ist einerseits eine starke, ordnungsliebende Frau, deren Leben so lange Zeit geordnet war, wo alles seinen genauen Platz im Leben hatte, andererseits verliebt sie sich in eine Frau, was damals als anstößig angesehen wurde und gibt sich dieser Liebe völlig hin. Es ist, als wenn auch sie aus ihrem früheren Leben ausbrechen wollte, obwohl doch alles so perfekt schien. Die Frage, warum Carol und ihr Mann Harge sich scheiden lassen, bleibt unbeantwortet.
Therese versucht sich zwar ihre eigenen Gedanken darüber zu machen, fragt aber nicht nach: "Warum ließen sie sich scheiden? Weil Harge eine Affäre mit der Frau hatte, die Cynthia hieß?"[4] Natürlich will Therese es gerne wissen, aber sie fragt nie genau nach irgendwelchen Dingen, über die Carol nicht sprechen will. Auch dies ist ein Charakterzug, der Therese oft Ärger erspart. Sie durchschaut die Menschen, die sie mag und mit denen sie oft zusammen ist. Therese weiß genau, was ihr Gegenüber fühlt und denkt und somit weiß sie auch, wie sie sich verhalten muss, um den anderen in ihren Bann zu ziehen bzw. ihn nicht zu verletzen.
Bald lernt Therese Abby kennen, Carols beste Freundin. Immer wieder wird Therese ein bisschen eifersüchtig auf Abby ("Vielleicht war es einer dieser bruchstückhaften Sätze, die nur Carol verstehen konnte, jedenfalls richtete sie sich auf und lachte laut und heftig. Ihr Gesicht wirkte völlig verändert, und Therese dachte mit plötzlichem Neid, dass es ihr nicht gelang, sie so zum Lachen zu bringen, wie Abby es konnte."[5])
Natürlich ist die ganze Situation für Therese etwas ganz Neues und da sie Carol noch nicht sehr gut kennt, ist sie natürlich ab und an eifersüchtig auf Abby, die Carol schon seit sie beide klein waren kennt. Als Abby Therese von Carols Idee erzählt, Therese mit auf eine Reise in den Westen Amerikas mitzunehmen, geraten die Beiden in Streit. D.h. Therese wird sehr ärgerlich, während Abby ganz ruhig mit ihr redet. "Wieso wusste Abby es vor ihr, fragte sich Therese und spürte, wie sie vor Ärger rot wurde. Was sollte das alles? Hasste Abby sie?"[6] Abby mag Therese, aber Therese reagiert bei Dingen, die mit Carol zu tun haben leicht über und deshalb denkt sie, Abby hätte nur Angst, das Therese ihr Carol wegnehmen könnte.
Die beiden Frauen (Carol& Therese) bilden, was ihr früheres Leben angeht, einen starken Gegensatz. Auf der einen Seite die naive Therese, die 19 Jahre jung ist, noch nie eine feste Beziehung hatte und gerade ihre ersten Erfahrungen in sexueller Hinsicht mit Richard machen wollte und auf der anderen Seite Carol, die junge attraktive Frau mit viel Lebenserfahrung, die eine Tochter hat und sich gerade von ihrem Mann scheiden lässt. Während Therese von Anfang an klar ist, dass sie Carol liebt, braucht Carol sehr viel mehr Zeit um sich ihre Liebe zu Therese einzugestehen. Das liegt wohl daran, dass Therese noch jung und ungebunden ist, während Carol sich genau überlegen muss, was sie tut, da sie ja aus einer eher hohen sozialen Schicht stammt, wo eine solche Geschichte schnell an die Öffentlichkeit gelangen könnte und ihren Ruf somit gefährden würde. Vielleicht sind es genau diese Gegensätze, die die beiden Frauen für einander so interessant machen.
Was Richard angeht, zeigt sich mehr und mehr, dass Therese ihm gegenüber sehr kaltherzig ist. Richard versucht wieder und wieder ihre Liebe für sich zu gewinnen und schreibt ihr sogar während ihrer Reise mit Carol Briefe, die Terry (wie Richard sie nennt) jedoch unbeantwortet lässt. Richard gibt sich alle Mühe, behält das, was er über Carol und Terry weiß, für sich, um Therese nicht zu schaden. Er lädt sie zu einem Theaterstück ein, dass Terry gerne sehen will, aber anstatt ihm dafür zu danken, kritisiert sie ihn : "Sie mochte das nicht. Es war kein Ausdruck seiner Zuneigung, sondern viel mehr ein Mittel, sich bei ihr einzuschmeicheln, um irgendwie den Weg zu ebnen für die beiläufige Frage, die er ihr an jenem Abend ganz plötzlich gestellt hatte. >>Was meinst du mit du magst sie - willst du mit ihr ins Bett gehen? |