Vieles passiert an religiösen Daten. Mathildes Vater stirbt am Palmsonnabend , einen Tag vor Mathildes Einsegnung. Am 24. Dezember wird Hugos und Mathildes Verlobung bekanntgegeben. Hugo stirbt am zweiten Ostertag und wird am dritten Osterfeiertag begraben. Dies ist sehr unwahrscheinlich, hier ist Fontane wie auch bei der Namensgebung der Personen nicht mehr Realist, sondern Symbolist. Die Wahl der Daten könnte auf den archetypischen Charakter der Erzählung hindeuten. Auch die Namen haben eine Bedeutung. Ein Beispiel: Der Landrat vermutet in Mathildes Mutter eine Adlige. Kann es da Zufall sein, dass diese den Brief an ihre Tochter mit \"Adele Möhring, geb. Printz\" zeichnet. Als Hugo schwer krank wird, sind erstaunlich viele Ärzte um ihn besorgt. Ein Doktor Birnbaum (37), ein Doktor Bolle (40) und schliesslich ein Doktor Stubbe (49). Auch bei den Pastoren scheint der Zufall zugeschlagen zu haben, sie heissen Neuschmidt, Messerschmidt und Hartleben. Bezeichnenderweise hält Pastor Hartleben die Rede zur Hochzeit. Schliesslich ist es Prediger Lämmel, der die Rede zu Hugos Begräbnis hält.
Das Talent des Vaters als Buchhalter scheint sowohl auf seine Frau wie auch auf Mathilde, die beide gute Rechnerinnen sind, abgefärbt zu haben. Selbst die ansonsten ungebildete Mutter scheint zumindest mit Zahlen umgehen zu können. -> S. 36 Das Rechnen scheint durchwegs als das Charaktermerkmal des Kleinbürgertums, wie auch die skeptische, ängstliche Grundeinstellung. So rechnen auch die alte Runtschen und ihre Tochter Ulrike ferner die Schmädicke stets ihren Vorteil aus.
Ein weiteres Leitmotiv ist das Profil Mathildes, welches sie schöner erscheinen lässt, als sie wirklich ist. -> S. 6
Auch die Zweifel sind ein Leitmotiv, das ganze Buch ist voll von skeptischen Äusserungen. Die Spannung basiert fast ausschliesslich darauf, ob sich diese Bedenken bestätigen werden oder nicht.
6. Themen
Der Roman behandelt viele sehr wichtige Themen, wie Klugheit, Weiblichkeit, Ehe, Politik und Erfolg. Eines der Hauptthemen ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Was eigentlich ist Männlichkeit bzw. Weiblichkeit ? Welches sind die Qualitäten der Frau, welche die des Mannes ? Wie sind die Geschlechter innerhalb der Gesellschaft berücksichtigt ? Zwingt die Gesellschaft die Geschlechter in Rollen, die den Eigenarten des jeweiligen Geschlechts zuwiderlaufen ? Diese und viele weitere Fragen werden anhand Mathildes und Hugos thematisiert. \"Mathilde Möhring\" ist auch als gesellschaftskritischer Roman zu lesen. Fontane als Analytiker einer Gesellschaftsschicht zeigt uns das Kleinbürgertum und dessen typische Problemfelder. Die gehobenen Kreise erscheinen nur am Rande. Trotzdem lebt der Roman von der Spannung zwischen gesellschaftlich ungleichen Partnern. Mathilde versucht durch die Ehe \"dem tristen Dasein einer Zimmerwirtin zu entrinnen und zu Wohlhabenheit aufzusteigen.\" Ihr gelingt es, die Schranken des Kleinbürgertums zu überschreiten. Gleichzeitig schildert der Roman die Entwicklung mehrerer Persönlichkeiten, hauptsächlich diejenige der Hauptperson Mathilde Möhring.
7. Erzählweise
Fontane erzählt hauptsächlich personal. -> S. 11 Oft bekommt der Text auch dramatischen Charakter, da viele Gespräche, meist in Form der Dialoge, wiedergegeben werden. \"Der Schwerpunkt der Darstellung liegt nicht auf dem Hergang der Begebenheiten, sondern auf deren Reflexion im Medium des Gesprächs.\" Fontane ist nicht der Erzähler, welcher den Leser an der Hand durch die gesamte Erzählung führt. Er hält sich diskret im Hintergrund, zeigt dem Leser banale Situationen in der Alltagswelt des Kleinbürgertums, und überlässt ihm die Denkarbeit.
Fontane gilt als \"Meister der Mitteldistanz\", d.h. er ist als Erzähler nahe genug am Geschehen, um Details noch zu erkennen und gleichzeitig weit genug entfernt, um den Überblick zu behalten. Zur Untermauerung dieser These ein Vergleich zwischen dem Bb und MM: -> Anfang Birnbaum -> S. 6 MM
Neben der normalen Erzählung mit den Dialogen kommen auch Repräsentanten anderer Gattungen vor. Dies sind zum einen zwei Zeitungsartikel , zum anderen zwei Briefe .
Fontane bleibt seinem realistischen Stil fast durchwegs treu. -> 11/12 Doch wirken diese Stellen zu sehr aufgesetzt, ja sie unterbrechen fast den eigentlichen Erzählfluss.
Wie im \"Birnbaum\" ist das Wetter symbolisch für die Handlung. Am Wetter kann man genau ablesen, was bald passieren wird. Rein erzähltechnisch unterstützt es die Stimmung in der Erzählung. -> S. 42 (auch 94/109/24, insbesondere den Mond beachten !)
Die Erzählzeit ist das Präteritum; lediglich auf der letzten Seite wechselt sie ins Präsens. Dieser Schluss gibt \"den im Roman dargestellten Tendenzen und Problemen den Charakter der Unabgeschlossenheit und überlässt sie einer Entwicklung, über die der Erzähler nicht mehr verfügt.\"
(Ein lustiges Detail sind die grammatikalischen Auswahlsendungen Fontanes, wenn er überflüssige Elemente in eckige Klammern setzt. Bsp.: S. 14)
8. Stimmung
Die Stimmung der Erzählung ist sehr schwer in Worten zu fassen. Ich würde sie als eigenartig und merkwürdig bezeichnen. Durchwegs liegt eine gewisse Spannung in der Luft, etwas Unbekanntes scheint im Hintergrund zu warten, doch der erwartete Knalleffekt bleibt gänzlich aus.
9. Persönliche Meinung
\"Mathilde Möhring\" ist ein sehr interessanter, relativ unbekannter, Roman, der sehr viel hergibt und an dem man bei jeder wiederholten Lektüre neues entdecken kann.
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