Frank der Fünfte
Im Jahre 1958 entstand Friedrich Dürrenmatts Werk "Frank der Fünfte". Es trägt den Untertitel "Oper einer Privatbank", wobei Dürrenmatt diesen Untertitel 1980 in "Komödie einer Privatbank" umänderte.
Frank V. ist der Chef einer Privatbank, deren Devise lautet, nie ein ehrliches Geschäft abzuwickeln. Kunden und auch Mitarbeiter, die auf ihr Recht bestehen beziehungsweise die drohen, die dubiosen Geschäftsabwicklungen zu verraten, werden kaltblütig ermordet. Jedoch hat Frank V. das Geschäft seiner Urväter in den Ruin gezogen. Er beschließt daher seinen Tod vorzutäuschen, damit er mit seiner Gattin Ottilie einen friedlichen Lebensabend genießen kann. Das Ehepaar rechtfertigt sich auch für seine Taten:
FRANK V Was wir getan haben, haben wir für unsere Kinder getan.
Es wird viel über Bankgeschäfte gesprochen und auch gesungen, jedoch erfährt man als Zuseher nur von drei der dubiosen Taten, der Rest wird nicht näher erläutert. Hervorhebenswert ist dabei, dass die drei Bankgeschäfte, von denen berichtet wird, auch noch misslingen.
Die Situation spitzt sich jedoch zu, als die Bank von einer unbekannten Person erpresst wird. Die Angestellten müssen nun ihr Privatvermögen der Bank spenden, um zu deren Rettung beizutragen: "Wer sich weigert wird erschossen. " Am Schluss stellt sich heraus, dass der Sohn von Frank V., von dem die Eltern angenommen haben, dass er über die dubiosen Bankgeschäfte nichts weiß, der Erpresser ist. Er will als Frank der Sechste gemeinsam mit seiner Schwester Franziska an die Macht.
Dürrenmatt sagt selbst über die Hauptfigur Frank V:
[...] Nur ist Frank der Fünfte ein Ungeheuer besonderer Art, ein Verbrecher aus Feigheit, der sich in die Welt des Geistes flüchtet, um dort seine Ruhe zu finden, [...].
[...] Frank ist die Gestalt eines Menschen in einer Welt, in der einer den anderen umbringt und in der man seine Handlungsweise so rechtfertigt: damit es unsere Kinder besser haben, den Idealen zuliebe - eben dem Geschäft zuliebe.
Auffällig an diesem Stück ist, dass jede der mitspielenden Figuren einen Namen trägt. Dies ist bei Friedrich Dürrenmatt ja nicht die Regel, wie man zum Beispiel bei "Der Besuch der alten Dame" oder "Untergang und neues Leben" sieht.
Zudem ist dieses Werk das erste, in dem sich Friedrich Dürrenmatt zentral mit dem Thema Wirtschaft und Geld auseinandersetzt. Man merkt gewisse Ansätze beim "Besuch der alten Dame", wo die Bürger einer Kleinstadt morden, um Geld von der Milliardärin zu bekommen. Auch in dem Prosatext "Grieche sucht Griechin" schneidet Dürrenmatt das Thema an, jedoch bleibt es ein Randthema.
Eine weitere Besonderheit in diesem Drama sind die Lieder, die Friedrich Dürrenmatt verwendet. Es kam ihm der Gedanke, dass die Welt in der wir leben nicht mehr mit den Mitteln zu beschreiben war, mit denen Shakespeare einst beschrieb. Er meinte eine andere Sprache, andere Verfremdungen und Verzerrungen zu benötigen
Dürrenmatt sagte selbst:
Ich kam vom Wunsche nicht mehr los, etwas Wildes, Groteskes, Shakespearehaftes zu schreiben, ein Stück für die Gegenwart.
Es lockte ihn das Abenteuer, das Chanson als dramaturgisches Mittel einzusetzen, darüber hinaus meinte er auch, dass ohne diese "Frank der Fünfte" keine Handlung hätte.
Dürrenmatt stellte selbst einmal über das Stück fest, dass es keine politischen Themen behandle. Er wolle damit nur zeigen, dass die meisten Menschen seiner Zeit als Angestellte in Firmen und Banken tätig sind, teilweise seien sie sogar verheiratet mit ihrem Geschäft.
Ein wesentlicher Aspekt dieses Dramas besteht darin, wie Dürrenmatt den Untergang der Privatbank beschreibt. Dabei spielen die satirischen Elemente eine große Rolle.
Im zweiten Abschnitt des Dramas unterhält sich Frank V. mit einem Pfarrer, da er befürchtet bald sterben zu müssen:
PFARRER MOSER Mein Sohn.
FRANK V. Beichten.
PFARRER MOSER Ich höre, mein Sohn
FRANK V. Ich habe die Witwen und Waisen zu wenig unterstützt.
PFARRER MOSER Nicht der Rede Wert.
FRANK V. Die Armen und Obdachlosen.
PFARRER MOSER Nicht der Rede wert.
FRANK V Die Mohammedaner-Mission.
PFARRER MOSER Nicht der Rede wert.
Das Abstrakte an dieser Situation ist, dass der Pfarrer die Sünden Franks nicht für schwerwiegend hält. Der Pfarrer gehört vermutlich der protestantischen Glaubensrichtung an, da diese in der Schweiz sehr stark vertreten ist. Ähnlich wie in der katholischen Kirche gilt auch für diese Glaubensrichtung die Nächstenliebe als besonders hervorzuheben. Daher ist es sehr verwunderlich, dass der Priester die Beichte Franks so unberührt hinnimmt.
Auch wenn man die Szene weiterverfolgt, merkt man keine Seelenregung des Pfarrers. Hier besteht nun die Möglichkeit, dass er inzwischen so abgestumpft ist, dass es ihn nicht mehr kümmert, was seine Schäfchen treiben.
Eine andere Interpretationsmöglichkeit besteht darin, dass Pfarrer Moser ein Eingeweihter ist. Er kennt die dubiosen Geschäftsabwicklungen der Bank und wird von Frank nur pro forma gerufen, um zumindest den Anschein eines guten Willens zu zeigen.
Das erinnert ein wenig an Niccolo Machiavellis Werk "Il principe", wo er beschreibt, wie ein Fürst zu leben hat. Ein Merkmal dabei ist, dass der Fürst sich zum Schein tugendhaft geben und auch hin und wieder wohltätig sein soll, ohne jedoch wirklich an die Barmherzigkeit zu glauben.
Man kann zwar Frank V. nicht direkt mit einem Fürsten vergleichen, doch bestehen einige Parallelen zu Niccolo Machiavelli, die von Dürrenmatt vielleicht bewusst eingebaut wurden.
Ein paar Szenen weiter beschließt Ottilie, Franks Ehefrau, einen neuen Angestellten einzustellen und sagt dabei Folgendes:
Päuli Neukomm. Du bist definitiv in unserer Bank aufgenommen.
Dein Einbruchsversuch war lobenswert, wenn auch dilettantisch geplant, der Tresorschlüssel tadellose Arbeit.
Auffallend ist, dass der neue Angestellt Päuli Neukomm nur deswegen die erhoffte Arbeit bekommt, weil er in der Bank einbrechen wollte. Diese Aussage Ottilies ist sehr paradox, da kein Arbeitgeber eine Person einstellen würde, die schon in der Probezeit das Unternehmen bestiehlt.
Ottilie nennt Neukomms Einbruchsversuch lobenswert, was darauf schließen lässt, dass sie in diesem Metier einiges an Erfahrung gesammelt hat. Sonst könnte sie nicht wissen, wie ein lobenswerter Einbruchsversuch aussieht. Man könnte dies in der Hinsicht deuten, dass die Bank der Verbrecherszene nahe steht.
Kurze Zeit später erfährt Neukomm, dass sein tot geglaubter Arbeitgeber Frank V. noch am Leben ist und dass dessen Sarg mit der Leiche eines Freundes beerdigt worden ist:
HÄBERLIN Doch Heini Zurmühl wollte uns erpressen.
KAPPELER Wir mussten ihn umlegen.
SCHMALZ Ich. Im Keller.
PÄULI Mörder.
FRANK V. Geschäftsleute in Bedrängnis, mein Sohn.
Bei dieser Szene kristallisiert sich deutlich die Bedeutung einer Redewendung heraus: für etwas über Leichen gehen. Die Angestellten, aber auch die Besitzer dieser Bank, dürften diese Redewendung stark verinnerlicht haben. Sie morden um Erfolg zu haben, um ihre Bank zu unterstützen und um möglichst viel Gewinn zu machen. Man hat das Gefühl, als wäre ihnen nichts heilig, sie würden vermutlich sogar ihre Familie verraten, falls es nötig sein sollte.
Die anwesenden Personen erklären Neukomm auch, warum sie all diese dubiosen Geschäfte durchführen:
DIE EINEN Was wir schieben und erraffen
DIE ANDEREN Was erpressen wir und schaffen
DIE EINEN Morden, prellen und betrügen
DIE ANDEREN Wuchern, stehlen, hehlen, lügen
ALLE Tun wir nur, weil wir es müssen
Möchten Gutes tun. Doch eben
Wollen wir im Wohlstand leben
Müssen wir Geschäfte machen
Und in dieser rohen Welt
Hat der Arme nur zu lachen
Für sein Geld.
Sie rechtfertigen sich damit, dass sie es tun müssen. Auch sagen, oder besser gesagt singen sie, dass sie Gutes tun möchten. Die Frage dabei ist nur, ob der Weg, den sie gewählt haben der richtige ist.
Eine sehr treffende Aussage beinhaltet das Chanson, nämlich dass die Welt oft eine rohe Angelegenheit ist und dass vor allem arme Menschen, die nichts zu lachen haben, nur wegen des Geldes für diese Gefühlsregung zu haben sind.
Man könnte diesen Chanson auch als einen Angriff auf das Schweizer Bankwesen betrachten. Die Schweiz ist sehr stark mit Banken verknüpft, sie ist sogar berühmt dafür. Doch ein Merkmal daran ist auch, dass man in der Schweiz ein anonymes Nummernkonto haben kann. Folglich ist sie für dubiose Geldabwicklungen gut zu gebrauchen, vor allem die Mafia und Drogendealer erfreuen sich an diesem Vorteil. In letzter Zeit wurde auch bekannt, dass sogar Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands Geld auf einem Schweizer Nummernkonto gebunkert haben.
Doch mit der Schweiz wird nicht nur das Bankwesen assoziiert, sondern auch Wohlstand, der durch dieses entsteht. Man könnte sie sozusagen als Basis für den Wohlstand betrachten. Dieser wird auch in dem Chanson angesprochen.
In einer weiteren Szene sitzen die Angestellten der Frank'schen Bank in einem nahegelegenen Caféhaus und unterhalten sich. Der Personalchef Egli spricht mit einem der Schalterbeamten:
Herr Gaston Schmalz, ich sah dich gestern deinen alten VW parkieren. Du willst dich offenbar nicht in Schulden stürzen, sparen, unabhängig von uns werden, keine Widerrede, du schaffst dir nächste Woche einen Mercedes an, der dich am Rande des Ruins halten wird, wie es sich gehört.
Das Absurde an dieser Situation ist, dass der Personalchef von seinem Angestellten verlangt im Ruin zu leben, so wie es sich gehört. Er will nicht, dass es ihm gut geht und er mit seinem Geld so haushält, wie es vernünftig ist. Ihm ist es lieber wenn er ein Statussymbol, einen Mercedes zum Beispiel, besitzt, als wie einen VW, der als ein billigeres Auto gilt.
Doch dem Personalchef geht es auch darum, dass der Angestellte weiterhin abhängig ist von der Bank. Dieses bringt dem Unternehmen eine gewisse Macht über seinen Arbeitnehmer. Es geht aber auch um das Geschäft. Der Angestellte Gaston Schmalz benötigt für den Kauf eines Mercedes einen Kredit, den er sich bei der Bank leiht und diese verdient dann an ihm. Unwichtig ist, ob er das Statussymbol wirklich benötigt.
Dem Personalchef scheint es nicht wirklich zu kümmern, ob seine Angestellten ein gutes Leben führen und Spaß an ihrer Arbeit haben. In einem optimal geführten Unternehmen liegt es im Aufgabenbereich eines Personalchefs eben diese Anforderungen zu unterstützen und dafür Sorge zu tragen, dass es seinem Personal an nichts mangelt.
Diese Szene zeigt, wie sehr die einzelnen Personen in die Machenschaften der Bank verstrickt sind. Für sie zählt nicht die einzelne Person und deren Sorgen und Wünsche, sondern nur das Geld und die persönliche Bereicherung. Und wie vorher schon festgestellt, würden die Angestellten und Inhaber der Bank dafür über Leichen gehen.
Doch der Personalchef hat nicht nur an Schmalz etwas zu bemäkeln:
Brusttee, Vichywasser, Birchermüsli. Wie in einem Sanatorium geht's
hier zu. In meiner Jugend, heiliger Bimbam, da war um diese Zeit die ganze Bande knallbesoffen. Kein Wunder. Wir waren noch Kerle. Doch ihr?
Das Abstrakte daran ist wieder, wie sehr doch die Stellenbeschreibung eines normalen Bankangestellten von den gezeigten abweicht. Normalerweise erwartet man sich von einem Bankangestellten, dass er höflich, kompetent und vor allem nüchtern ist. Dies ist ein von Dürrenmatt eingefügter Widerspruch, der zeigt, dass der Schein nach außen trügen und man nie wissen kann, wie es im Inneren, in der Persönlichkeit eines Menschen aussieht.
Auch die Meldung von Egli, dass sie damals alle noch Kerle waren, zeigt von Machogehabe. Das hingegen zeugt wieder von einem gewissen Rollendenken. Doch hier erkennt man in gewissen Graden das des Mannes. Ein echter Kerl ist schon am Vormittag "knallbesoffen", wie es der Personalchef so beeindruckend formuliert. Ein echter Mann fährt einen Mercedes, veruntreut Geld und kümmert sich nicht um die Gefühle anderer.
Doch Eglis Rede endet nicht hier, er führt sie mit folgenden Worten weiter:
EGLI - bei euch drei Schalterbeamten auf eurem ruhigen Posten mit euren
kleinen Schwindeleien ist die Gefahr, ehrlich zu werden, riesengroß! Dann haben wir die Schlamperei! Etwas Disziplin, meine Herren, Herrgott noch mal, ist die Bank einmal liquidiert, könnt ihr meinetwegen allesamt in die Heilsarmee einrücken, aber bis dahin habt ihr Gauner zu bleiben, ich appelliere am euer Gewissen.
Das interessante an diesem Abschnitt ist, dass Egli es als Gefahr betrachtet, ehrlich zu werden. Für ihn zählt wirklich nur das Geld, sonst nichts. Er war vermutlich noch nie in seinem Leben ehrlich und anständig. Oder er war es, hat es aber, seit er bei der Privatbank angestellt ist verlernt. Er ist so verankert in diesem Schema, dass er gar keine Möglichkeit sieht zu anders leben. Ihm ist nichts anderes bekannt. Das Fazit, das man daraus ziehen könnte ist, dass man nur mit Gaunereien wirklich etwas verdienen kann.
Egli betrachtet es auch als nicht erfolgsversprechend, ehrlich zu sein. Man könnte sogar vermuten, es wäre für ihn eine Schande, einen Angestellten zu beschäftigen, der ehrliche Absichten hat. Doch all dem liegt, wie schon vorher erwähnt, die Wahrscheinlichkeit zu Grunde, dass er das Frank'sche Bankwesen und Denken so verinnerlicht hat, dass es für ihn als eine Art Ideologie gilt, die nicht mehr zu bezweifeln ist.
Der Personalchef appelliert an das Gewissen seiner Angestellten. Doch zieht er nicht die Möglichkeit in betracht, dass diese anders denken könnten als er und seinen Appell an die Unehrlichkeit negativ auffassen.
Ein Angestellter der Bank tritt vor und erklärt die verstrickten Machenschaften der Bank:
BÖCKMANN [...] Wir leben, leider Gottes, in einem Rechtsstaat. Uns fehlt
durchaus der fördernde Hintergrund einer allgemeinen Korruption, auf die wir uns berufen könnten, unsere Geschäftsmaximen sittlich zu untermauern. Wir können mit keinen bestochenen Finanzminister oder obersten Polizeichef aufwarten, nicht einmal mit bestechlichen Revisoren, nein, um uns herum herrscht die lauteste, brutalste Ehrlichkeit, mit gewissen Einschränkungen, möglich, doch nicht von uns feststellbar.[...]
Böckmann bedauert, in einem Rechtsstaat zu leben. Ihm wäre es lieber, die Bank könnte ohne Regelung ihren Geschäften nachgehen. Aus dem Zitat geht auch hervor, dass er sich einen bestechlichen Finanzminister und Polizeichef wünscht. Vermutlich wäre die Frank'sche Privatbank auch nie so tief gesunken, wären all diese Voraussetzungen gegeben.
Es wäre interessant zu wissen, wie der Staat aussehen müsste, in dem solch dubiosen Geschäftsbedingungen erlaubt wären. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die Bank nicht trotzdem zugrunde gehen würde, da ja alle Geschäfte und Institutionen betrügen würden.
Faszinierend ist auch, dass Böckmann die Ehrlichkeit, die herrscht, als laut und brutal bezeichnet. Ehrlichkeit ist brutal und oft hart. Wenn man zu jemand ehrlich ist, stoßt man ihn meist vor den Kopf, verletzt seine Gefühle und kratzt sogar oft an seiner Würde. Doch laut? Eine Möglichkeit der Deutung dieser Aussage besteht darin, dass Böckmann damit eine versteckte Andeutung an die Medien weitergibt. Diese bringen nämlich oft die Wahrheit, zumindest so wie sie sie sehen. Auch wenn ein Skandal geschieht, wird dies aufgebauscht und der Öffentlichkeit lautstark mitgeteilt.
Einige Szenen weiter unterhält sich Frank mit seiner Ehefrau Ottilie. Er ist es leid, sich verstecken zu müssen und hadert mit seinem Leben:
FRANK V. Ich bin kein Bankdirektor, ich bin leider ein durch und durch guter
Mensch.
Nicht nur, dass Frank es bedauert ein guter Mensch zu sein, er sieht darin auch eine Beeinträchtigung hinsichtlich der Ausübung seines Berufes. Für ihn ergibt sich nur die Möglichkeit als Bankdirektor korruptiv zu sein, dubiose Geschäfte zu betreiben und andere zu betrügen. Frank scheint der Meinung zu sein, dass er als guter Mensch für die Tätigkeit als Bankdirektor ungeeignet ist.
Die einzelnen Angestellten treten zusammen und unterhalten sich über ihre dubiosen Bankgeschäfte. Sie zählen dabei jeweils auch auf, welche Leiden sie in Kauf nehmen, um der Bank zu dienen. Aus Platzgründen soll hier nur ein Beispiel genannt werden:
KAPPELER Als Niels Magen
Kopenhagen
Die Bilanz bezweifelt hatte
Packte ich ihn nicht in Watte
Schickte Gift der alten Ratte
Mit den Zweifeln war es Schluss
Ihr wurdet erlöst so
Doch ich? Darmverschluss!
Die einzelnen Personen versinken in Selbstmitleid, doch keiner bedauert seine Taten. Sie zählen die unterschiedlichsten Krankheiten auf, wie zum Beispiel eben Darmverschluss, Herzinfarkt, Impotenz, etc. Sie wollen damit vermutlich demonstrieren, wie viel sie von sich selbst hergegeben haben. Jeder Einzelne lebt in den Glauben, derjenige zu sein, der am meisten der Bank gedient hat, dem sie am meisten zu verdanken hat. Beweisen wollen sie dies eben mit ihren Krankheiten. Vermutlich sind sie auch der Meinung, dass die Kundgabe dieser, sie vor den anderen besser dastehen lässt.
Doch Dürrenmatt spricht damit ein Problem an, das jeder Angestellte kennt: die Stressbelastung im Berufsalltag. Diese führt oft zu den von den Angestellten genannten Krankheiten, doch kommen meist, wie hier nicht erwähnt, Rückenschmerzen und Augenbelastung, durch zu langes verweilen vor dem Computer, hinzu.
Ein anderer wichtiger Aspekt, der in diesem Chanson angesprochen wird, ist, dass jeder einzelne der Bankangestellten einen Mord begangen hat. Dies lässt sich hier aus Platzgründen nicht belegen, doch kann es in dem Werk nachgelesen werden.
Eine andere Interpretation liegt darin, wie eingebildet die Angestellten der Frank'schen Privatbank sind. Keiner denkt an den anderen oder sagt irgendein beruhigendes Wort. Nein, sie unterbrechen sich gegenseitig und schimpfen sogar, dass der andere ja nur eine Lappalie vorschürzt und gar nicht wirklich leidet.
Bei dieser Unterhaltung spricht auch wieder Egli, der Personalchef, zu seinen Angestellten und hält ihnen eine Moralpredigt:
EGLI [...] Pflichtbewusstsein, ihr Gauner, Kameradschaftsgeist, ihr Halunken,
Verantwortungsgefühl, ihr Mörder! [...]
Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass Egli die genannten Eigenschaften Gruppen zuschreibt, von denen man es am wenigsten erwartet.
Gauner haben, wenn sie dem gängigen Stereotyp zugeordnet werden können, nicht besonders viel, man könnte sogar sagen, kein Pflichtbewusstsein.
Genauso wirft sich die Frage auf, wie viel Kameradschaftsgeist ein Halunke hat. Wie schon beim Gauner erwartet man sich auch hier keine Erfüllung des genannten Eigenschaftswortes. Wenn, dann erwartet man sich das genaue Gegenteil.
Am Absurdesten ist das Verantwortungsgefühl beim Mörder. Kein Mensch, wenn er ein Verantwortungsgefühl hat, würde einen Menschen töten. Denn dieses Gefühl sagt schon voraus, dass man sich um andere, ob Mensch oder Tier, kümmert und seine Pflichten wahrnimmt.
Natürlich können die einzelnen Eigenschaftswörter auch ausgetauscht werden. Auch ein Mörder hat kein Pflichtbewusstsein genauso wie ein Gauner kein Verantwortungsgefühl hat.
Die Bank gerät immer mehr in Bedrängnis das nötige Geld aufzutreiben, doch es gibt einen Lichtblick: Eine junge Dame hat sich gemeldet, die für die Bank arbeiten könnte. Doch zuvor berichtet der Personalchef von einer Person, die als möglicher Kandidat in Frage kam:
EGLI [...] Zwar erwies sich der Banknotenfälscher in Linz als eine Niete, der
Schuft ist ein ehrlicher Graphiker geworden, [...]
Das Groteske daran ist, dass Egli den Banknotenfälscher als Schuft bezeichnet, weil er Graphiker geworden ist. Er wusste nie, wie man einen ehrlichen Beruf ausübt. Für ihn zählt nur das Leben für die Frank'sche Privatbank. Wenn es nach ihm ginge, müssten wahrscheinlich alle Menschen Gauner und Betrüger sein. Die Ehrlichkeit des Graphikers entspricht nicht seinen Wertkategorien.
In diesem Drama erfährt man auch von zwei Geschäftsabwicklungen. Bei dem einen verkauft ein Angestellter einen Berg und erzählt dem Käufer, der sei voller Uranvorkommen, was jedoch gelogen ist. Doch wie das Schicksal so spielt, entdeckt der Käufer doch Uran in dem Berg und wird über Nacht reich. Er sucht den Verkäufer erneut auf, um ihn von seinem Glück zu berichten und erwähnt dabei Folgendes:
PIAGET [...] Das hochgradigste Uran weit und breit, großartig, Professor Stab
ist schon gestorben. Auch mich hat's erwischt, bin überglücklich, [...]. In drei Wochen bin ich hin. Sehen Sie. Zieht den Hut, zeigt seinen Kahlkopf. Die Haare sind schon ausgefallen. Großartig. Die Glatze strahlt im Dunkeln. Leben Sie wohl, ich bin überglücklich, ich fahre nach Mailand zum Euratom und dann in die Grube.
Es ist absurd, dass sich ein Mensch so freuen kann, obwohl er bald sterben wird.
Man könnte sagen, der Käufer Piaget ist vor Freude über seinen plötzlichen Reichtum verrückt geworden. Für ihn zählt nur mehr das Geld. Sogar der Tod eines Professors, der ihn auf seinen Berg begleitet hat, kümmert ihn nicht. Vermutlich weiß er gar nicht, was er mit dem Geld alles machen soll. Doch das Groteske an dieser Situation ist, dass er trotz bevorstehenden Todes überglücklich ist. Es amüsiert ihn scheinbar sogar, dass er eine Glatze trägt, die sogar im Dunkeln leuchtet.
Dies könnte man in dem Sinne deuten, dass er nur auf das Geld fixiert ist und darüber alles andere vergisst.
Wenige Augenblicke später betritt eine Dame die Bühne, die ebenfalls von der Frank'schen Privatbank hereingelegt wurde. Doch auch bei ihr hat sich ihr Unglück in Glück umgewandelt. Ihre Pension, die eigentlich von einem Mitarbeiter der Bank hätte angezündet werden sollen, brannte von alleine nieder und die Versicherung, die auch unter der Frank'schen Leitung steht, musste zahlen.
Auch sie ist von ihrem Glück überfordert und sagt:
FRAU STREULI [...] Hurra, Verbrennungen ersten, zweiten, dritten Grades, Sie
sehen selber wie ich aussehe, ich leide grauenvoll, es ist prächtig, unsagbar, was ich durchmache. Ich juble sozusagen andauernd, kolossal, wie das brennt. Nicht zum Aushalten. Könnte vor Freude den Verstand verlieren und vor Schmerzen irrsinnig werden. [...]
Dieses Zitat kann parallel mit dem vorigen interpretiert werden, da auch hier die Dame sich nur mehr auf das Geld fixiert und auf nichts anderes mehr. Die Schmerzen sind für sie etwas nebensächliches, sie amüsiert sich nur über sie.
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